Glaube geht durch den Magen

(Illustration: Werner Tiki Küstenmacher)
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Werner Tiki Küstenmacher erlebte bei einer Fastenkur den grausigsten Kopfschmerz seines Lebens und erst dann die asketische Klarheit. Er tröstet sich mit Jesus, von dem gesagt wird, er sei ein »Fresser und Weinsäufer« gewesen – und lässt es sich schmecken.

Fasten ist etwas Katholisches. Das müssen wir nicht«, sagte meine Mutter und stärkte mein Gefühl, im katholischen München etwas Besonderes zu sein. Der Christian Ude, der im Haus zwei Stockwerke höher wohnte, war auch evangelisch, und bei den Udes gab es wie bei uns in den Wochen vor Ostern dasselbe sparsame Essen wie sonst im Jahr auch. Meine in Berlin geborene Mama war stolz darauf, mit Hilfe von Brotresten und Gewürzen aus einem halben Pfund Hackfleisch ein Dutzend dicke Buletten machen zu können.
Als ich in die Schule kam, wurde mir der Unterschied noch deutlicher. Meine Eltern berichteten, dass sie für mich eine moderne Gemeinschaftsschule gefunden hatten. Das freute mich, weil ich dachte: prima, zusammen mit Mädchen! Groß war meine Enttäuschung, als ich sah, dass es sich um die damals revolutionäre Gemeinschaft von katholischen und evangelischen Jungs in einer Klasse handelte.
Aber es war dann doch interessant, was bei den Katholischen alles anders war: Sie bekreuzigten sich beim allmorgendlichen Schulgebet, und am Freitag hatten sie keine Wurst auf dem Pausenbrot. Religion und Essen, das hatte offensichtlich etwas miteinander zu tun.
Viele Jahre später, als der evangelische Ude in der gar nicht mehr so rein katholischen Landeshauptstadt Oberbürgermeister war, ist die Fastenzeit ökumenisch geworden. Und bunter, irgendwie auch protestantischer. Man konnte sich selbst aussuchen, worauf man in den »sieben Wochen ohne« verzichten wollte: Süßigkeiten, Fleisch, Alkohol.
Als ich mit dem Theologiestudium an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau begann, keimten in mir Gedanken der ganz großen Askese. Immer hast du diese Kinderzeichnungen gekrakelt, sprach ich zu mir, nun bereitest du dich auf einen ernsten Beruf vor: Ab heute ist Schluss mit den Männchen. Vermutlich hätte ich es durchgezogen, wenn nicht die Vorsehung in Person von Andreas Ebert gekommen wäre. Wir hatten gemeinsam das Studium begonnen. Als es galt Bibelstellen zu pauken, suchten wir nach gehirnfreundlichen Lernmethoden. Da sah der Andreas meine Bildchen und überzeugte mich, dass es eine Gottesgabe sei, solche Figuren aufs Papier bringen zu können. Wir entwickelten gemeinsam wilde Bibelcomics – gezeichnete Eselsbrücken. Und ich lernte, dass man bei allzu asketischen Ideen vorsichtig sein sollte.
Als Pfarrer dann wollte ich – einmal wenigstens – »richtig« fasten. Also gar nichts essen. Ich meldete mich an für eine Fastenwoche im Franziskushof in Craheim. Dort war es kalt und karg. Es begann mit Bittersalz und der eigenartigen Erfahrung, dass ich mich bei völligem Nahrungsentzug erstaunlich viel mit meinen eigenen Ausscheidungen beschäftigte. Ich erlebte tatsächlich die große Klarheit im Kopf, von der die Asketen erzählen – leider erst nach einer Phase fieser Kopfschmerzen und ständigen Frierens. Nachts hatte ich gewaltige Träume. Kein Wunder, dass die fastenden Wüstenväter von unglaublichen Wundern und Visionen berichten. Dieses geistliche Fastenerlebnis blieb mein einziges. Es war eine eindrucksvolle Erfahrung, aber ich hatte keine Sehnsucht auf Wiederholung.
Mehr Lust hatte ich auf Fasten aus medizinischen Gründen. Ich habe einige F.X.-Mayr-Kuren gemacht (die mit den trockenen Semmeln und der winzigen Tasse Kefir am Morgen) und die Wirkung sehr genossen. Manchmal fand ich allerdings, dass man sich bei so einer Kur zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Alleine durch die wunderschönen Waldwege rund um Bad Grönenbach zu laufen, wurde mir bald zu fad. Da kam ich auf die Idee, in die riesige Therme von Bad Wörishofen zu fahren, und fand das Zusammensein mit vielen anderen entspannten Menschen in den riesigen Warmwasserbecken herrlich.
Über Jesus wurde erzählt, er sei ein »Fresser und Weinsäufer« gewesen. Über Asketen spottete er sogar: »Wenn ihr fastet, macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler. Sie geben sich ein trübseliges Aussehen, damit die Leute merken, dass sie fasten.« Das brachte mich auf den Gedanken, ob Jesus nicht auf seine Weise ein luxuriöses Leben führte. Einmal heißt es im Neuen Testament, dass er den ganzen Tag im Tempel saß und den Leuten zusah. Wenn das nicht Luxus ist! Ein Aspekt an Jesus, der meiner Meinung nach bisher zu kurz kam. So schrieb ich »JesusLuxus« –
von allen meinen Werken mein persönliches Lieblingsbuch.
Die Fastenaktion der evangelischen Kirche hatte ähnliche Gedanken: 2008 wählte sie »Verschwendung!« als Thema, »7 Wochen ohne Geiz«. Zu »verschwenderischer Liebe« wurde aufgerufen, zu großzügigen Spenden und freigiebigem Engagement für andere. Inzwischen sind die originellen Mottos der Fastenaktion zu einem evangelischen Markenzeichen geworden: Sieben Wochen ohne Ausreden, ohne Scheu, ohne falsche Gewissheiten, ohne »Sofort!«, ohne Runtermachen.
Ich finde es gut, den Fastenbegriff über den eigenen Körper hinaus zu erweitern. Sieben Wochen etwas weglassen, an das man sich in den restlichen 45 Wochen gewöhnt hat: über nicht anwesende Menschen schlecht reden, über die Schlechtigkeit der Welt jammern. Und dabei immer barmherzig zu sich selbst zu bleiben. Wer nachrechnet, merkt: Bei einer klassischen 40-tägigen Fastenzeit bleiben bei sieben Wochen ein paar Tage übrig. Das sind die Sonn- und Feiertage. Man darf sich also beim Fasten Unterbrechungen gönnen, nach dem schönen Motto »Festtag bricht Fasttag«. Seit ich mir beim Weglassen von Alkohol, Süßem oder Fleischigem ein paar »Joker« erlaubt habe für besondere Events, fiel mir das Durchhalten leichter.
Vor ein paar Wochen wäre der katholische Theologe Eugen Biser 100 Jahre alt geworden. Er hätte das sogar fast erlebt, denn er wurde 96 und war bis zum Schluss ein brillanter Denker. Während meines Studiums war ich fasziniert von seinen Vorlesungen. Er betonte immer, das Christentum sei keine asketische Religion wie etwa der Buddhismus, sondern eine therapeutische. Beim Fasten gehe es nicht darum, sich aufzuopfern und zu leiden, um außergewöhnliche Erfahrungen zu machen, sondern um sich selbst zu heilen. Und um innere Kraft zu bekommen, damit man danach umso besser für andere da sein kann.

Der Autor ist Theologe, Karikaturist und Bestsellerautor (»Simplify your life«).

www.kuestenmacher.com

Autor:

Online-Redaktion

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