Die verwundete Stadt

»Welcome to heaven« (Willkommen im Himmel): Mit diesem Slogan setzte ein Stadtteil-Pfarrer einen Kontrapunkt zur Parole »Welcome to hell« (Willkommen in der Hölle), mit der Gegner des G-20-Gipfels in Hamburg zu Protesten aufgerufen hatten.

Von Edgar S. Hasse

Eigentlich wollte die evangelische Kirche mit ihren ökumenischen Partnern und einem G-20-Bildungs- und Begleitprogramm Zeichen für Frieden, Gerechtigkeit und Schöpfungsbewahrung setzen. Doch nun bestimmte die blanke Gewalt der auch aus dem Ausland angereisten linksautonomen Kriminellen die Lage.
Noch am ersten Gipfeltag meldete sich Hamburgs und Lübecks Bischöfin Kirsten Fehrs aus der Hafencity zu Wort: »Gewalt darf niemals ein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein. Nur friedlicher Protest ist glaubwürdig«, ließ sie die Öffentlichkeit wissen.
Ihre Mahnung erreichte freilich die Chaoten nicht. In den folgenden Nächten sollte es zu schweren Verwüstungen im Hamburger Schanzenviertel kommen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der am Sonntag danach das Viertel besuchte, zeigte sich »fassungslos«.
Sowohl gegen die Gewalt bei Demonstrationen als auch gegen die Macht- und Profitlogik der G-20-Staaten setzten die Hamburger Kirchen Friedensgebete und den Appell für eine gerechte Welt. Während Scharfschützen auf dem Dach des Luxushotels »Atlantic«, in dem Kanzlerin Angela Merkel und der kanadische Präsident Justin Trudeau übernachteten, die Szenerie ins Visier nahmen, kreisten Hubschrauber über der ganzen Stadt. Ihr Lärm vermochte aber nicht die 21 Glockenschläge jener Kirchen zu übertönen, die
zu Friedensgebeten aufgerufen hatten.
Bei der Andacht in der Hauptkirche St. Petri – sie liegt mitten in der Hamburger City, die wegen des Gipfels nahezu drei Tage entvölkert war – erinnerte Pastor Reinhard Dircks an die Seligpreisungen als Kontrastprogramm und Hoffnungszeichen für diese Welt. Die 21 Glockenschläge sollten die G-20-Staaten plus 1 symbolisieren: »Damit werden all jene Länder zusammengefasst, die nicht mit am Tisch der mächtigen Staaten in Hamburg sitzen dürfen«, sagte Dircks.
Unterdessen hatten junge G-20-Gegner auf kirchlichem Gelände eine Unterkunft zum Schlafen gefunden. Sie waren nun auf dem Weg in die City, um friedlich gegen G-20 zu demonstrieren. Weil die Stadt Übernachtungscamps in Entenwerder an der Elbe verboten hatte, fanden sie an der St.-Pauli-Kirche und vor einer momentan stillgelegten Kirche im Stadtteil Meiendorf Unterschlupf. »Die Menschen müssen ja irgendwo unterkommen«, sagte St.-
Pauli-Pastor Sieghard Wilm.
Auch in diesem Stadtteil entwickelte die evangelisch-lutherische Kirche ein deutliches Kontrastschema: Während die Linksautonomen mit der Parole »Welcome to hell« (Willkommen in der Hölle) marodierten, ließ Pastor Wilm das Schild »Welcome to heaven« (Willkommen im Himmel) im Kirchhof aufhängen.
Immerhin konnten hier 25 Menschen zelten und übernachten. Für beide Camps galt nach Kirchenangaben: »Weder Waffen noch Gewalt werden geduldet.« Auch Polizisten fanden Platz an der »langen Tafel« im Kirchgarten, zu der Wilm und seine Gemeinde geladen hatten. Für die »tolle Gastfreundschaft in der friedlichen Oase« haben sich Thüringer Polizisten jetzt noch mal schriftlich bedankt.
Der katholische Erzbischof Stefan Heße zog gemeinsam mit Bischöfin
Fehrs in die Hamburger Hauptkirche St. Katharinen – vom Turmeingang bis zum Altar. In dem Gotteshaus, direkt gegenüber dem Unesco-Weltkultur­erbe Speicherstadt, hatten sich am letzten Gipfeltag rund 1 000 Christen versammelt. Es war der offizielle ökumenische Gottesdienst anlässlich des G-20-Gipfels in Hamburg.
»Jede Krise, der wir uns gegenübersehen – sei es die Schuldenkrise, die ökologische Krise, Terrorismus oder Genmanipulation –, kommt aus einem Mangel an moralischer Energie«, sagte Charles Jason Gordon, Bischof der katholischen Kirche von Barbados (Karibik). Agnes Abuom (Kenia), Vorsitzende des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen, erinnerte an die Notlage der Flüchtlinge und den Hunger in Afrika »aufgrund unsinniger Kriege und Konflikte«.
Mit Fürbitten brachte die Gemeinde in St. Katharinen ihre Anliegen für friedliche Proteste und eine »gerechte Verteilung und Umgang mit Ressourcen auf der Welt« vor Gott. Danach zogen viele Christen bei der Demonstration »Hamburg zeigt Haltung« friedlich mit Zehntausenden anderen Bürgern durch die Stadt.
Die Kirchen gehörten zu den Initiatoren dieses Protestzuges. Es war ein deutliches Signal für eine bessere Welt mitten in einer von Krawallen überschatteten Metropole. »Hamburg ist eine verwundete Stadt. Unser Herz ist voller Schrecken«, sagte Bischöfin Kirsten Fehrs im ökumenischen Gottesdienst nach den schweren Ausschreitungen in der Nacht zuvor.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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