der Missionar
Altes und Neues von Leberecht Gottlieb (18)

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Im Zusammenhang mit der sogenannten Hölle, von der wir oben einiges zum Besten gegeben hatten, soll auch folgende Begebenheit nicht  verschwiegen werden. Da war also ein evangelikaler Missionar bei der Familie Leberecht Gottliebs zu Gast gewesen. Dieser Mann hatte draußen auf dem Kirchplatz sein großes Zelt aufgeschlagen und mit einem ratternden Projektionsapparat allerlei Filme gezeigt, die vom Inhalt her samt und sonders darauf hinauswollten, sich eine fromme Seele zu bewahren, so dass man zu guter Letzt schließlich nicht doch noch in der Hölle landen mochte. Dann - bei Kaffe und Kuchen – oder während des Abendbrotes - Leberecht konnte sich nicht mehr präzise darauf besinnen - war es geschehen. Der Filmmissionar, der eine stattliche Leibesfülle mit sich herumtrug, aß für drei Personen (wobei Leberecht beobachtete, wie der Mann Gottes unverschämt immerzu nur nach der teuren Salamiwurst langte), schilderte verschiedene Fälle missglückter menschlicher Biographien. Jede dieser Erzählungen schloss mit dem Satz: „Aber diese Art zu handeln führt zwangsläufig in die Hölle!“ Leberecht - inzwischen elfjährig - saß mit am Tisch und wollte sich am Gespräch beteiligen. Er platzte zwischen zwei dieser Geschichten in die peinliche Stille hinein: „Aber wir müssen doch alle dorthin abfahren, Herr Missionar.“ Worauf der Missionar den Knaben anschaute und sich fast verschluckt hätte, dann aber laut lachte und antwortete: „Nein, mein Junge, nur die bösen Menschen müssen dorthin!“

Leberecht hatte zu dieser Antwort geschwiegen und den Missionar misstrauisch betrachtet. Nein, dieser dicke Mann hatte - wenngleich er auch einen ordentlichen Schatten warf - in seiner Helle nichts zu suchen. Aber vielleicht würde er ja noch etwas lernen können, wenn man ihm das fabelhafte Buch Dantes zeigte. So stieg Leberecht die Treppe hinauf und wollte seinen bibliophilen Schatz jenem Gast zeigen, welcher sich da unten am Esstisch mästete. Jedoch die kluge Mutter wusste eine weitere Konfrontation zwischen dem Filmmissionar und ihrem antikeverliebten Sohn zu verhindern. Sie brachte eiskalten Schokoladenpudding mit heißer Vanillesoße auf das Kinderzimmer. Und Leberecht machte es sich mit Alighieris Buch und dem Puddingbrei bequem. Der fressende Mann in der unteren Etage bekam also von Dantes gemalten Weisheiten nichts zu sehen - und blieb hinsichtlich der infernalischen facta futuralia deshalb im Zustande vollkommenster Unwissenheit.

Zurück aber zum Bekenntnis des Apostolischen Zeitalters. Nein - das große „Herzogtum Helle“ sollte nicht vor irgendeinem törichten Totenreich weichen müssen. Nimmermehr. Leberecht war satt und bald auch über seinem Buche eingeschlafen. Da träumte ihm, einer der Hellenschatten träte aus Dantes Buch heraus, dicht an ihn heran und dabei flüsterte er: „Komm doch einmal zu uns herüber und hilf uns. Schau dir an, wie es uns so ergeht!“ Es war der Schatten einer Frau, die aber wie ein Mann gekleidet war. Die Gestalt hatte sich ein viereckiges Hütlein aufgesetzt, welches oben mit einer durchsichtigen Kugel bekrönt zu sein schien. Leberecht ging im Traum auf die sonderbare Gestalt zu, aber mit jedem Schritt, den er nach ihrer Richtung hin machte, wich sie um genau soviel Meter zurück, wie er auf sie zuging. Wobei sie dabei aber nicht etwa kleiner wurde, sondern größer, wenn auch blauer.

„Das kenne ich!“ rief der Knabe und erwachte. Er erinnerte sich im Halbschlaf an den Riesen Herrn Tur-Tur aus einem anderen für ihn ebenso wichtigen Buche, welches von einem Jungen erzählt, der seine Mutter sucht und einen großen Freund hat, der berufshalber Lokomotiven führt und einem beim Hinabstieg zu den Müttern hilft. Wir werden in späteren Kapiteln auf den Einfluss des Autors Michael Ende zu sprechen kommen müssen ...

„Komm einmal zu uns herüber hat sie gesagt", murmelte Leberecht bei sich selbst, erwachte dadurch nun gänzlich vom Schlafe und wankte die Treppe des alten Pfarrhauses hinunter. Der Mond schien bereits von draußen durch das große Dielenfenster herein und der ganze Raum erstrahlte in allerhellstem Glanze, denn es war bereits Nacht geworden … Unten im Esszimmer lärmte der Missionar immer noch in erstaunlicher Lautstärke und berichtete offenbar von weiteren Erfolgen während seiner bisher geleisteten Überzeugungsarbeit im Dienste am Weinberg des Herrn ...

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alle Folgen von Leberecht Gottlieb hier

Autor:

Matthias Schollmeyer

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