auf den Tag der drei Heiligen
Ptolemäus, Lucius und Apollonius am 19.Oktober

- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
Der Saal ist klein, stickig, kaum ein Gerichtssaal, eher ein Abstellraum für die Überreste der Macht, man sieht es an den Mauern, die feucht sind, an den Stufen, die abgetreten sind, an den Säulen, die aus der Ordnung wanken und auf einer dieser Stufen sitzt der Richter, ein Mann, der schon lange nicht mehr an die Gesetze glaubt, die er zitiert, aber sie trotzdem ausspricht mit heilig gespitzten Lippen - weil er sonst nichts anderes mehr hat, was er sprechen könnte, und vor ihm stehen drei Männer, Ptolemäus, Lucius, Apollonius, die drei Verstockten, die drei, die nicht nachgeben wollen, obwohl sie wissen, dass es nichts bringt, nicht nachzugeben, weil das Nachgeben und das Nichtnachgeben am Ende dasselbe Schicksal haben werden, nur dass das Nichtnachgeben wenigstens eine Würde bewahrt, einen Rest von innerem Rückgrat, das man dann zwar auch verliert, aber eben später.
Da - der Richter fragt, ob sie Christen seien, und Ptolemäus sagt ja, mit dieser unverschämten Ruhe, die nur jene haben, die im Innersten schon längst nicht mehr dazugehören, und Lucius, der das hört, sagt auch ja, als wäre es ein Reflex, und Apollonius, der das alles nur halb verstanden hat, sagt ebenfalls ja, weil er sieht, dass man das hier wohl so sagt, wenn man überhaupt noch irgendwie ernst genommen werden will.
Dann die Wachen. Hinter den Dreien stehen sie da, halb gelangweilt, halb gespannt, und der Richter, der sich in der Pose des Gerechten gefällt, hebt die Hand und spricht ein Urteil, das schon vor Tagen beschlossen war, vielleicht schon vor Jahren, als das Reich beschlossen hatte, dass Menschen, die an etwas glauben, das man nicht sieht, nicht ins System passen.
Diese drei Männer also, die man später Märtyrer nennen wird, ein Wort, das sie selbst nie benutzt hätten, weil sie keine Märtyrer sein wollten, sondern einfach nur Menschen, die nicht lügen möchten, weil sie sich selbst ernst nehmen.
Der ganze Vorgang, dieses armselige Schauspiel der Macht gegen das Gewissen, wird in den kommenden Jahrhunderten mit Goldrahmen versehen, auf Fresken gemalt, in Heiligenkalender eingetragen, bis es glänzt, als wäre es ein Sieg gewesen. Aber es war kein Sieg, es war nur eine Verurteilung im Halbdunkel eines verrotteten Amtszimmers.
Die drei stehen da, die Gesichter leer, nicht aus Mut, sondern der Erschöpfung wegen. Und sie wissen, dass jedes Wort mehr nichts ändert, dass jedes Schweigen schon zu viel Bedeutung bekommt, dass alles, was man tut, von denen da hinten – den Schreibern, den Priestern, den Historikern – zu etwas gemacht werden wird, was man nie gemeint hat.
Ja - so stehen sie da, die drei, und der Richter zeigt mit dem Finger, dieser ausgestreckte Finger, dieser bürokratische Zeigefinger des Todes, der in tausend Jahren noch dieselbe Geste machen wird, immer dieselbe Geste, nur die Sprache wird wechseln.
Und während der Unhold spricht, atmet keiner, der Staub flimmert in der Luft wie tausend Galaxien, das Licht fällt schräg in den Raum, als wolle es nicht bleiben, und man könnte glauben, dass das, was hier geschieht, nichts bedeutet. Aber es bedeutet alles.
Denn wir haben uns an die drei erinnert und werden auch den Richter und überhaupt alle diese Richter nicht vergessen, wo sie Menschen haben zu Märtyrern werden lassen. Und werden ihrer aller gedenken am Tag des heiligen Ptolemäus, Lucius und Apollonius. Am neunzehnten Tag des Monats Oktober. Die Namen sind nicht vergessen, wenn auch der jenes Richters ausgelöscht bleibt ...
Autor:Matthias Schollmeyer |
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