Pfau
Geburtstagsgabe (29)

Auch der Pfau trippelt heran, schlägt sein prachtvolles Rad auf und wir lesen darin, wie in einem Briefe ...

Wenn ich in den Parks umhergehe, weiß ich, dass die Menschen mir bewundernd nachblicken. Nichts ist so faszinierend wie mein Federschmuck. Mit hundert Augen schaut er euch an. Mein zitterndes Rad reicht aus, um heulende Kinder zu beruhigen, traurige Rentner froh zu machen und Selbstmörder von ihrer Wahnsinnstat abzubringen. In der Antike führte man Depressive vor einen Pfauen und seine Voliere. Dann wurde es sofort besser mit ihnen.
Der dieses berichtet, ist kein Geringerer als Martin Luther. Er hat es von Melanchthon, der ein Kenner der antiken Schriftsteller gewesen ist. Als Martin Luther einmal nicht ein noch aus wusste, weil kein Geld mehr im Hause war, fuhr er nach Wörlitz hinaus. Damals gab es den Park des Anhaltischen Fürsten Franz Leopold dort noch nicht. Aber die Pfauen waren daselbst bereits immer schon unterwegs, - so, als hätten sie geahnt, dass der Dessauer Fürst eines Tages genau hier würde einen Garten anlegen lassen, weil die Götter es ihm, wie Goethe an Frau von Stein schrieb, gerne gestatten wollten.
Ich selbst weiß von diesen Dingen, da ich abends immer zur Gattin Jupiters, Hera, heimkehre, deren Wappentier ich bin. Ich lege mich im Saum ihres Gewandes zur Ruhe und habe an den Träumen der selig auf Wolken Schreitenden auf diese Art und Weise leicht Anteil. Deshalb bin ich auch so schön. Das dazu. Nun aber zurück zu Luther, um den es in meinem Brieflein gehen soll.

Luther betrachtete da draußen bei Wörlitz die Pfauen auf den Auen des über die Ufer getretenen Elbestroms. Und seine Traurigkeit löste sich auf wie die ohnmächtige Wut des Königs Saul, wenn der Knabe David ihm auf der Harfe spielte. Luther kehrte genesen zu den Seinen zurück und Katharina kam ihm lachend entgegen gelaufen. „Martin, Martin!“ rief sie. Und auf die Frage des Reformators - dessen Seele sich schon wieder leicht zu umwölken begonnen hatte, seit er die Stadtgrenze zu Wittenberg überschritten - was es denn gäbe, antwortete sie: „Der Kurfürst hat uns fünfzig Pfauentaler bringen lassen! Nun ist die Not vorbei.“ Da war nun eitel Freude. Und alles nur meinetwegen, und weil der Luther mich betrachtete.

Auch Ihr solltet wieder einmal Pfauen betrachten. Dabei solltet Ihr aber nicht vergessen, dass es nicht Euer Verdienst ist, wenn danach alles irgendwie besser geht. Es ist die Gnade, die Euch rein dadurch zufließt, dass Ihr mich anschautet.

Parvo - der Pfau

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Autor:

Matthias Schollmeyer

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