Christliches Erlösungsdrama
Im Spiegel von Wagners Ring und Parsifal

- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
Die christliche Heilsgeschichte und das Drama der Erlösung in Wagners Ring und dem Parsifal
Juli und August - das ist in jedem Jahr die Zeit der Festspiele in Salzburg. Als Zuckerl wird dort auch immer ein bisschen Richard Wagner gegeben. Zumeist jedoch ist dreht sich alles um Mozart und zeitgenössische Musik. Am 23. August jedenfalls ist aber auch Wagner dran - das Vorspiel zum ersten Akt der Oper Lohengrin WWV 75, das Siegfried-Idyll E-Dur WWV 103 und der der erste Akt aus dem Bühnenfestspiel Die Walküre WWV 86 B sind zu hören. Das gibt den Anlass dafür, sich über oben angegebene Thematik ein paar schöne Gedanken zu machen: Die christliche Heilsgeschichte und das Drama der Erlösung in Wagners Ring und dem Parsifal
Es gehört zu den eigenartigen Verästelungen des Geistes des 19. Jahrhunderts, dass Richard Wagner – ein Mann der Bühne, der Leidenschaft, des revolutionären Denkens – in seiner Kunst unversehens jene großen Fragen berührt, die in der christlichen Theologie als Heilsgeschichte und Erlösungsdrama verhandelt werden. In einer Zeit, da sich der christliche Glaube und die moderne Welt scharf voneinander zu entfernen schienen, hat Wagner in seinen Musikdramen ein mythisches Gesamtbild entworfen, das – auf anderer Ebene, mit anderen Symbolen – die inneren Spannungen und Sehnsüchte der christlichen Botschaft spiegelt. Besonders der Ring des Nibelungen und das Bühnenweihfestspiel Parsifal stehen hier wie zwei Pole: der erste wie eine düstere Genesis und Apokalypse der Götterwelt, der zweite wie ein mystischer Durchbruch zu Erlösung und Gnade.
1. Das Rheingold: Die Verwerfung der paradiesischen Unschuld
Am Anfang des Rheingold steht eine fast biblische Urszene: die Rheintöchter, hüterische Naturwesen, die das Gold des Stromes bewachen, scheinen die unschuldige, paradiesische Schöpfungswelt zu verkörpern. Doch das Gold – jenes leuchtende Ur-Symbol von Reinheit und Verheißung – ist zugleich gefährdet. Der Nibelung Alberich raubt es, nachdem er die Liebe verwirft, und schmiedet den Ring: eine Tat der Selbstermächtigung und Gewalt, ein Akt, der an den Sündenfall erinnert. Hier offenbart sich bereits, was auch die christliche Heilsgeschichte bestimmt: dass Freiheit in Versuchung treten kann, sich vom Urgrund des Seins zu lösen, um in der Macht des Eigenen zu herrschen.
Die Götter selbst sind in diese Verstrickung verwoben. Wotan, der Herr der Verträge, gleicht einem Gesetzgeber, der durch den Bau der Burg Walhall eine Weltordnung errichten will, aber dabei Schuld auf sich lädt. Der Ring ist nicht nur ein Schatz, er ist ein Symbol der Macht, die von der Liebe getrennt ist – das Gegenteil der Liebe, das reine „Machen“, das Beherrschen. In dieser Spannung zwischen Macht und Liebe wird schon die zentrale Frage der christlichen Heilsgeschichte hörbar: Wie kann die Welt von der Macht der Selbstsucht erlöst werden?
2. Die Walküre: Das Erwachen des erlösungsfähigen Menschen
Mit der Walküre tritt die Menschengeschichte in Wagners Drama. Siegmund und Sieglinde, zwei Gestalten, die sich unter göttlicher Bedrängnis und dennoch voller Liebe finden, verkörpern etwas, das im biblischen Sinn „Inkarnation“ heißen könnte: die Götterwelt sucht eine neue Zukunft im Menschen, der nicht von Macht, sondern von Liebe und freiem Mut getragen ist. Siegmund ist der leidende Held, der – wie ein vorwegnehmendes Christusbild – bereit ist, sein Leben für die Liebe zu opfern. Brünnhilde, die Walküre, erfährt in diesem Moment ihre Wandlung: Sie wird zur Fürsprecherin des Menschen, fast wie Maria am Kreuz.
In diesem Akt beginnt sich das Heilsdrama von der Ebene der Machtkämpfe der Götter zu einer Geschichte der Liebe und Opferbereitschaft zu wenden. Die Strukturen erinnern an das Neue Testament: Es ist nicht das Gesetz (Wotan), das erlöst, sondern die selbstvergessene Liebe, die aus Freiheit erwächst.
3. Siegfried: Der Reine Tor und das unbewusste Christusbild
Siegfried, der Sohn Siegmunds und Sieglindes, wächst als ein „reiner Tor“ heran. Er weiß nichts von Intrigen, er kennt keine Furcht, und er vermag das zerbrochene Schwert neu zu schmieden. In dieser Symbolik steckt eine tief christliche Ahnung: Das wahre Heil kommt nicht aus der Kette der Berechnungen und Mächte, sondern von einem, der frei ist von den Fesseln der alten Welt. Siegfried, der den Drache erschlägt und das Feuer des Brünnhildenfelsens durchschreitet, erinnert an die Christusgestalt, die die Mächte der Sünde und des Todes überwindet. Doch dieser Held bleibt – anders als Christus – ein naturhaftes Wesen, unbewusst und verletzlich. Seine Erlösungskraft ist unvollständig, weil sie nicht aus der Tiefe einer geistigen Liebe entspringt.
4. Götterdämmerung: Die Apokalypse der Macht
In der Götterdämmerung erreicht die Schuld der Götter und Menschen ihren Höhepunkt. Der Ring wird zum Fluch, der alle verstrickt: Verrat, Mord und das Ende der alten Weltordnung sind die Folge. Am Ende ist es Brünnhilde, die – in einem Akt der höchsten Liebe und Opferbereitschaft – den Fluch bricht. Indem sie den Ring zurückgibt, das Feuer entfacht und sich selbst opfert, öffnet sie den Weg zu einer neuen, von Liebe erleuchteten Ordnung. Dieser Moment gleicht einer apokalyptischen Reinigung, wie sie die Offenbarung des Johannes beschreibt: Die alte Welt vergeht, damit das Neue geboren werden kann.
5. Parsifal: Die Vollendung im Sakrament
Wenn der Ring die dunkle Genesis und Apokalypse erzählt, dann ist Parsifal das große österliche Gegenstück: ein Bühnenweihfestspiel, in dem die Heiligkeit des Erlösungsgeschehens unmittelbar in Musik und Szene tritt. Parsifal, der „reine Tor“, erkennt durch Mitleid die Wunde des Amfortas und heilt ihn – nicht durch Macht, sondern durch Mit-Leiden, durch ein Ergriffenwerden vom Leid des Anderen. Hier tritt das zentrale Geheimnis des Christentums hervor: die Erlösung durch die Liebe, die sich in das Leiden des anderen hineinbegibt. Die Gralsgemeinschaft, die im Sakrament des Blutes und des Brotes lebt, steht für die Kirche, die – trotz aller Schwächen – von der Gegenwart des Gekreuzigten genährt wird.
6. Die Strukturanalogie der Heilsgeschichte
Was sich in der christlichen Heilsgeschichte vollzieht – vom paradiesischen Anfang über den Sündenfall, die Erwählung des Menschen, die Inkarnation, das Opfer und die Auferstehung bis hin zur neuen Schöpfung – findet bei Wagner eine erstaunliche Resonanz. Rheingold und Walküre spiegeln den Fall und die Verheißung, Siegfried das Erwachen des Helden, Götterdämmerung die apokalyptische Reinigung, und Parsifal die sakramentale Vollendung. Wagners Musik selbst ist hier nicht bloß Illustration, sondern Teil der „Weihe“: Sie ist die Sprache, in der das Unsagbare erklingt – ähnlich wie die Liturgie der Kirche mehr ist als bloßes Wort, nämlich Klang, Geste und Gegenwart.
7. Das Gesamtkunstwerk als liturgischer Raum
Wagners Idee des „Gesamtkunstwerks“ kann, in theologischer Lesart, als ein Versuch verstanden werden, die Erfahrung des Heiligen in einer modernen, oft glaubenslosen Welt zu ermöglichen. Seine Musik will nicht nur gefallen, sie will verwandeln – so wie die christliche Liturgie nicht Unterhaltung, sondern Teilhabe am göttlichen Mysterium ist. Das Bühnenweihfestspiel Parsifal ist hier der Höhepunkt: Die Bühne wird zu einem quasi-liturgischen Raum, die Musik zu einem Sakrament der Schönheit, das die Herzen auf ein höheres Licht hin öffnet.
Richard Wagner ist kein Kirchenvater, und sein musikalisches Mythengebilde nicht die kanonisierte Offenbarung. Aber - in seinen großen Tondramen schimmert eine Ahnung jener Wahrheit, die das Christentum Heil nennt: dass nämlich Liebe und Opfer den Bann der Selbstsucht brechen, dass die Macht ins Verderben führt, wenn sie sich nicht der Liebe unterstellt, und dass am Ende nicht Gewalt, sondern Mitleid und Hingabe die Welt erlösen. Wer Wagners Ring und Parsifal in dieser Perspektive hören will, kann – jenseits aller ideologischen Missdeutungen – etwas von der „Musik des Ewigen“ vernehmen, die im Herzen der christlichen Heilsgeschichte klingt.
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