Ewigkeitssonntag 2022
Gedächtnis der Entschlafenen

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„Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.”

Herbstlaub bedeckt den Boden - und in den Versen Rainer Maria Rilkes schwebt ein großes Gewährenlassen zu uns her. Zwar fallen wir tatsächlich – aber werden in unserem Fallen auch gehalten. Das ist die Botschaft des Ewigkeitssonntags. Die Christenheit hörte nie auf, ihrer Entschlafenen und besonders all ihrer Märtyrer zu gedenken: Frauen, Männer und Kinder. Die Kirche tut das, indem sie deren Todestage in „Geburtstage besonderer Art” umwidmet. Keiner ist gestorben. Alle sind entschlafen. Die Kirche dient auf diese Weise dem, der das Leben schenkt, nimmt und zurückgibt. Wenn auch wir einmal wie Blätter fallen (möge der Tag fern sein), werden die bereits Vollendeten uns begegnen. Das hat der Kirchenlieddichter Johann Matthäus Meyfart im Jahr 1626 folgendermaßen imaginiert:

„Was für ein Volk, was für ein edle Schar
kommt dort gezogen schon?
Was in der Welt an Auserwählten war,
seh ich: sie sind die Kron,
die Jesus mir, der Herre,
entgegen hat gesandt,
da ich noch war so ferne
in meinem Tränenland.”

Das ist die vierte Strophe aus dem Lied „Jerusalem, du hochgebaute Stadt!" (EG 150). Auswendig müsste man sie hersagen und singen können. Wenn wir von den Gräbern auf den Kirchhöfen aus durch die kahlen Zweige entlaubter Bäume zum herbstlichen Himmel aufblicken, rücken diese Verse sehr nahe ... Und so bitten wir an diesem Tag Gott für unsere Entschlafenen, dass auch ihr und unser oft so minimale Glauben an eine Zukunft bei IHM kein Trug gewesen sein möge, sondern irgendwann einmal Wirklichkeit geworden sein wird. Wer sterbend je zu Boden sank, sah mit einem scheuen „Erbarme Dich!” im allerletzten Augenblick zum gütigen Himmel auf. 
Der Philosoph Martin Heidegger stammte aus der Familie eines Mesmers und trieb sich deshalb als Knabe oft stundenlang auf der hohen über der Stadt gelegenen Turmstube von St. Martin in Meßkirch herum. Von dort aus beobachtete er, wie sich die Mauersegler hinaus in den Raum schwangen und in großen Bögen zum Turm zurückkehrten. Der durch die Vögel beschriebene Raum wurde dabei durch die viertelstündlich ertönenden Glockenzeichen und das Geläut zu Messen und Gebeten gegliedert und zugleich geistlich strukturiert: Reales Erlebnis der Zeit.

Über das Gesamtwerk und besonders über die letzten Worte dieses großen deutschen Denkers rätselt die Fachwelt bis heute. Heideggers Ehefrau hat aber berichtet, Martin hätte zuletzt nur ein Wort zu ihr gesprochen und dieses lautete „Dank”. Das ist ein Wort genau für diesen Tag.

Martin Heidegger (* 26. September 1889 in Meßkirch; † 26. Mai 1976 in Freiburg im Breisgau)
Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer
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