die Freunde Leberecht Gottliebs
Altes und Neues von Leberecht Gottlieb (16)

Canterbury Kathedrale

Als Martin Luther lobesam
alt war, und es zum Sterben kam,
da spreizt vor Gottes goldnem Thron
Luzifer sich, missrat´ner Sohn.

Den grüßte nun der Gott und sprach:
„Was gibt es, Freund, komm her und sag.
Ist was zu beichten von der Erden?“ -
Und er: „Herr Luther soll nun sterben.“

So ruft’s der Böse ins Gesicht
der guten Macht, die alles sieht.
„O weh. Der Luther ist schon dran?
Grad gestern schlug er Thesen an.“

„Jawohl! Und säuft und furzt und frisst,
sein Leben drum zu Ende ist.
Auch schrieb dem Papst er böses Wort.
ich nehm ihn  mit an meinen Ort."

Dem Teufel Gott entgegnet mild:
„Martinus mir als heilig gilt.
Drum fahr er auf in meinen Himmel
nicht ab zu dir, du Höllenschlingel.“

Da lächelt Satan und spricht listig:
„Das also nennst du heute christlich?“
Der Ewige bedenkt die Sache
und kommt zum Schluss: „Das ich nicht lache!

Martinus gilt als Pferd im Stall,
das Beste mir im Weltenall.
Er fürchtet niemanden, nur sich.
Und schreibt hebräisch - so wie ich.“

Da hat der Satan sich getrollt.
Dem Gotte auch bis heute grollt
der finstre Ränkeschmied. Im Turm
die Tinte hat besiegt den Wurm …

Nun - diese Knittelverse stammen eben von Leberecht Gottlieb, dessen Geschichte wir hier erzählen. Er hat sie als junger Student aufgeschrieben, irgendwann während seines Theologiestudiums. Im Halbschlaf einer dogmengeschichtlichen Vorlesung in Halle an der Saale. Irgendwann Freitag am Nachmittag gegen 14.30 Uhr. Es war unmöglich ohne lustige Reime und ihre Erfindungen wach zu bleiben. Luther und seine Rechtfertigungslehre war das Thema der Vorlesung. Gottlieb konnte sich kaum über Wasser halten. Wichtig sind die Verse deshalb, weil in dem Wust der Vernetzungen, Bezüge, Rückkopplungen und Mutmaßungen nicht übersehen werden darf, dass wohl tatsächlich eine gute ordnende Kraft über und in allem wirkt, - auch wenn wir das kaum glauben können. Leberecht Gottlieb hatte nun in der alten Universitätsstadt Halle einen sehr guten und vertrauten Studienfreund, der mit ihm durch Dick und Dünn gegangen ging - und eben deshalb auch die dogmatischen Vorlesungen des Professor Schleiffrinck besuchte. Dieser Kommilitone hieß Friedrich Diethold Plan - und litt unter seinem Namen, so dass er stets nur mit F.D.P. unterschrieb, wenn es etwas zu unterschreiben gab. Er bediente sich eines etwas umständlichen Ductus beim Sprechen - und dozierte gern. Hier die Kostprobe eines kleinen Vortrags, den F.D.P in der Kneipe am Hallmarkt gehalten und seine Freunde alle unter Lachen und Lärmen mit großem Vergnügen gehört hatten. Es war schon spät und genug Bier war geflossen:

„Unter dem enormen Druck, mit dessen Hilfe das Höchste zu denken erzwungen werden sollte, - ich meine jenes Sonderbarste, über das hinaus Sonderbareres nicht gedacht werden kann, - musste zwangsläufig auch besonders der Gottesgedanke entstehen. Das aber wäre fast richtig schief gelaufen! Schließlich jedoch wurde die Saug-Glocke angesetzt, und eine Beiß-Zange ebenfalls. Dann war es endlich soweit. Der Neuankömmling in der Welt aller aus dem Bereich des reinen Geists geborenen Gedanken ist etwas ganz Besonderes geworden, - denn kein Geringerer als Gott selbst entstand auf der Streckbank des reinen Denkens. Die Frommen werden mir protestieren, und die Spötter einmal mehr lachen. Wir Ernsthaften jedoch fragen, wie ist das möglich? Hier die Erklärung: Stellen wir uns ein Kartenspiel vor. Stellen wir uns Spieler vor, die diese Karten nutzen. Stellen wir uns Regeln vor, nach denen das Spiel funktioniert. Stellen wir uns vor, das Spiel wird tausend Jahre lang ununterbrochen gespielt. Stellen wir uns vor, dass immer einer verliert - aber nicht verlieren will. Deshalb wird kurz vor dem Schluss jedes Spiels die "Besondere Karte" ins Spiel gebracht. Sie kann die Regeln verändern, sogar brechen. Die neue Karte macht, dass man gewinnt, wenn man sie hat. Nun ist es aber so, dass dieses besondere Blatt aus dem Spiel verloren gegangen ist. Man weiß noch vage, dass sie da gewesen sein könnte - aber man weiß auch, dass sie nie wirklich auftauchen wird. Und das ist der monotheistische Gott, - bildlich gesprochen. Der Joker. Die eine Karte, die alles ändert. Immer gewinnt, weil sie verloren ging.“

So, oder so ähnlich, hatte es eben noch vom Podium herab getönt, in der kleinen Kneipe am Hallmarkt, wo wir sehr oft saßen, zum Getön eines verstimmten Honkey-Tonkey-Pianos „Gaudeamus igitur“ sangen und Salamander rieben. Wir waren aus der Salinesauna gekommen und hatten noch ein, zwei oder drei Biere getrunken. F.D.P war dann auf die Tribüne gestiegen und hatte wieder einmal herzergötzend sein Lieblingsthema zum Gegenstand eines lustigen Referats gemacht: „Die Entstehung des Gottesgedankens aus dem Geiste des Geistes“ (oder so ähnlich). Jetzt nun lag er seit einer Minute mit verdrehten Armen, Beinen und Hals unten auf dem knarzigen Parkett und atmete schwer und von Minute zu Minute immer weniger … Er war scheinbar abgestürzt. Beim Deklamieren zu weit nach vorn getreten in den Raum, meinend, da sei noch fester Boden unter den Füßen. Anderthalb Meter tiefer - ja. Absturz. Einen Arzt, einen Arzt!

F.D.P war Assistent bei Professor Tunichwas. Ein seltsamer Name, nicht wahr? Aber niemand kann etwas für seinen Namen. Nur dafür, was er nicht daraus gemacht hat. Tunichwas forschte zu Lutherglossen in alten Büchern und hatte schon Etliches davon gefunden. In Kommentaren und Folianten, die der Reformator gelesen hatte, suchte also auch F.D.P. Was sind Glossen? Etwa, - da war mal kein Papier da - also flugs an die Seite gekritzelt. Da sind Glossen. F.D.P kannte sich mit Glossen aus. Und auch er hatte tatsächlich manches entdeckt. Als er erfuhr, dass die Kiste mit den Traumtagebüchern des Knaben Martin aufgetaucht und fotokopiert worden war, hatte er dem Archivar ein gehöriges Bestechungshonorar versprochen und eine Kopie der Zettel erhalten. Ob das Bestechungsgeld gezahlt worden war, - niemand weiß es. Aber das ontologische Argument des Leberecht von Canterbury begann F.D.P. ab einem ganz bestimmten Tag in immer wieder neuen Variationen in die Welt des metaphysischen Sinns hinaus zu perpetuieren.
Was war geschehen? F.W.P. kannte alle 95 Kindertäume des späteren Reformators, so viele hatte Martin seinerzeit aufgeschrieben in sein klein Büchlein. Und eines Tages entdeckte er in der Tetrabiblosausgabe des Claudius Ptolemäus, zu der Melanchthon sein bekanntes Vorwort geschrieben hatte, eine Anmerkung von Luthers Hand. Heureka! Der Text: „Gott ist der Traum, über den hinaus Traumerischeres nicht geträumt werden kann.“ F.D.P hatte eilig eine kleine Miscelle veröffentlicht, die davon berichtete, dass Luther das ontologische Argument des Bischofs von Canterbury gekannt haben muss, sich aber wohl nicht getraut hat, dieses geniale Argument argumentativ auch zu verwenden, - warum? Weil es ihn an einen schrecklichen Kindertraum erinnert habe. Dieser Kindertraum ist bei den 95 Seiten der Traumkiste nicht mit dabei. Er, Luther, habe die Seite wahrscheinlich mit hastiger Hand heraus gerissen. Es gibt solch ein herausgerissenes Blatt. Bzw. - das Blatt gibt es nicht, aber man sieht, dass da einer eine Seite herausgerissen haben muss! Zwischen Blatt 61 und 62 fehlt ein Bogen Papier! Der Text: „Gott ist der Traum, über den hinaus (wir würden heute leicht verändert sagen) Traumatischeres nicht geträumt werden kann“ geht noch weiter. In mikrometrischer Bleistiftschrift kann man Folgendes lesen:

„Ich dringe aus der Erden hervor. Es ist das gewiss die Auferstehung, denn das Ende der Welt findet eben itzt statt. Alle armen Seelen erhalten ein Papyr, darauf steht der Ablaßz und die Zahl der Strafen. Die Zettlin werden von den Seelen mit Jammer und Klagen betrachtet. Da nun die Tränentropfen auf diese Papiryi fallen, verschwinden die Zahlen, werden ausgelöschet ganz - und das Papyr wird rein wie lauterer Schnee. Alles Papyr wird von einem großen violetten Engel eingesammlet und in Feuerflammen geworfen. Ein groß Windsbraut erhebt sich aus dem Schlote und darin steigen die Seelen hurtig wirblend auf zu Gottes goldenem Stuhl. Von dorther dringt viel Gesangs und Lachen. Sie dürfen alle eingehen zur Hymelischen Freudenfeier. Nur ich nicht. Denn ich kann nit weinen - und meine Zahl ist eine so große mit Ziffren, dass darüber hinaus keine gezieferterere mehr ausgezählet werden kann. Da erwache ich mit lautem Geschrey und Schweiß.“

Diesen Traum also - so die Miscelle von F.D.P - hat Luther später aus der Sammlung seiner Träume mit großer Wahrscheinlichkeit entfernt. Aber in dem astrologischen Buch des Ptolemäus steht er noch immer angezeichnet. Denn dieses Buches konnte der Reformator nicht mehr habhaft werden, da es ab irgendwann nach Prag verliehen worden, oder von einem Studenten nach dorthin mitgenommen bzw. sogar gestohlen worden war. Und von Prag erst wieder lange nach dem Tode des Eislebener Träumers zurück nach Halle/Wittenberg gebracht wurde. Übrigens von keinem Geringeren expediert als dem guten Freund Johannes Keplers, Johann Fabricius. Die Auskundschaftung dieser (und weiterer interessanter) Zusammenhänge verdanken wir dem akribisch arbeitenden F.D.P. Der sich von seinem Sturz übrigens wieder erholt hat.

Er war seit jenem Fund zu einem Freund canterburysprachlicher Wendungen geworden, die uns alle (wenn man es bei Licht betrachtet!) im Grunde auf Martin Luthers Trauma zurück führen, von dem weiter unten bald berichtet werden wird. Das Blaue über das hinaus Blaueres nicht blauen kann. Das Rote über das hinaus Röteres sich nicht rötet. Und der Unsinn, über den hinaus nichts Unsinnigeres ersonnen werden kann.

——
mehr von Leberecht Gottlieb hier

Autor:

Matthias Schollmeyer

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