29. Restaurant des Herzens eröffnet
Acht Wochen warmes Essen und liebe Worte

Rotraut Wölfing gehört zu den Ehrenamtlichen, die das Restaurant des Herzens unterstützen. | Foto: Paul-Philipp Braun
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Kalt ist es, an diesem Adventssonntag. Drei Grad Celsius zeigt das Thermometer an, der Himmel über Erfurt ist grau, die Straßen der thüringischen Landeshauptstadt sind leer. Lediglich vor der Allerheiligenstraße Nummer 10 herrscht reges Treiben. Gut 50 Meter misst die Schlange, in der die Menschen stehen. Diszipliniert reihen sie sich ein. Immer wieder kommen Neue dazu, stellen sich hinten an. Es ist kurz vor ein Uhr am Mittag und für viele scheint das hier der Höhepunkt dieses Nikolaustages zu sein. Die Mischung derer, die hier steht, sie ist so bunt, wie die Gesellschaft selbst: Kinder und Senioren, Frauen, Männer, Große, Kleine, Menschen kräftiger und zierlicher Statur - sie alle warten geduldig. 

Am Anfang der Schlange steht die Reporterin der lokalen Tageszeitung. Mit einem Notizbuch in der Hand kommt sie mit den Anstehenden ins Gespräch. Sie fragt, wie es ihnen und was sie beschäftigt, wie sie die Adventszeit verbringen. Was sie schon kennt, das ist der Grund, weshalb die Menschen hier anstehen: Sie möchten ein warmes Mittagessen zu einem günstigen Preis. 

Im 29. Jahr öffnet am Nikolaustag das Restaurant des Herzens der Erfurter Stadtmission seine Pforten. Von nun an bis zum 29. Januar gibt es an jedem Wochentag hier eine warme Mahlzeit für einen symbolischen Euro. Doch wie fast alle Lebensbereiche, funktioniert auch das Restaurant des Herzens in diesem Jahr - pandemiebedingt - ganz anders als sonst. Wurden die Gäste in den letzten 28 Jahren immer am Tisch bedient, gibt es nun eine Ausgabe-Theke, an der sich das Essen abgeholt werden muss. Gegessen werden muss dann zu Hause. Durchsichtige Plexiglasscheiben, die verbindliche Pflicht des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung, feste Abstandsregeln und mehrere Desinfektionsmittelspender gehören ebenfalls zum Hygienekonzept. Es sei den Organisatoren des Restaurants nicht leicht gefallen, das Angebot unter den aktuellen Bedingungen aufrecht zu erhalten. Trotzdem sei die Absage des Projekts auch keine Option gewesen, sagt Petra Hegt, Geschäftsführerin der Evangelischen Stadtmission Erfurt. 

Zurück zum Restaurant. Punkt 13 Uhr öffnet sich die große, doppelflügige Tür des historischen Hauses in der Allerheiligenstraße. Eine Mitarbeiterin der Einrichtung bittet hinein und langsam bewegt sich die Schlange vorwärts. In einem historischen Saal ist die Theke aufgebaut. Mit gelbem Klebeband sind Pfeile auf den Boden gebastelt. Sie geben die Richtung an und führen zunächst, am Desinfektionsmittelspender vorbei, zu Rotraut Wölfing. Die ist eine der Ehrenamtlichen, die das Restaurant des Herzens bei der Ausgabe der Lebensmittel unterstützen. Heute hat sie Schoko-Nikoläuse bereit, gibt jedem der Gäste einen und wünscht einen schönen zweiten Advent. Die Tour geht weiter; vorbei an den Plexiglasscheiben, hinter denen es aus graue Thermophoren dampft, hin zu einem kleinen Bar-Kassenbereich. Hier steht wiederum eine Frau, die viele der Gäste nur aus Fernsehen und Zeitung kennen, die sich aber an diesem Tag auch selbst mit einbringen will: Sozialministerin Heike Werner.

Zusammen mit ihrem Mann ist die linke Ministerin, die in der aktuellen Corona-Pandemie wohl eines der gefragtesten Ressorts leitet, gekommen, um zu unterstützen. Sie reicht den Anstehenden jeweils einen grünen Beutel, in dem das Einmalgeschirr mit den Mittagessen zu finden ist. "Das sind unsere Thermobeutel, die halten das Essen warm", erklärt Petra Hegt immer wieder und betont, dass sie darum bitte, diese bei künftigen Besuchen wieder mitzubringen. Einige Hundert hat die Stadtmission davon anfertigen lassen. Eine Alternativlösung zu der sonst so üblichen Tischgemeinschaft des Restaurants. Denn Corona macht diese unmöglich. Gute Worte soll es, sagt Geschäftsführerin Hegt, in den kommenden acht Wochen dennoch geben, wenn auch nicht am Mittagstisch.

An einem grünen Balken über der Essensausgabe steht in Frakturschrift ein Bibelwort: "Wie soll ein Jüngling seinen Weg unsträflich gehen? Wenn er sich hält nach deinem Wort." (Ps. 119, 9) heißt es dort. Und als sei es eine dazu passende Weisung, betritt wenig später ein junger Mann den Saal. Er wolle etwas spenden, sagt er zur Mitarbeiterin am Eingang. Als Petra Hegt ihn begrüßt, zückt er seinen Geldbeutel, holt 50 Euro heraus und gibt sie ihr. Eine Spendenquittung wolle er nicht. Medienrummel auch nicht, sagt der Mann im schwarzen Wollmantel und geht. Etwas perplex steht Hegt im Raum, gibt die 50 Euro in die Kasse. Sie sie dankbar für jeden Euro, sagt die Geschäftsführerin. Das Restaurant des Herzens finanziert sich zu 100 Prozent aus Spenden. Im Schnitt verschlingen Betrieb und Unterhalt 70 000 Euro, in diesem Jahr sind es gut 100 000 Euro, denn Einmal-Geschirr und Desinfektionsmaßnahmen haben ihren Preis.

Das Restaurant des Herzens hat vom 6. Dezember bis zum 29. Januar wochentags zwischen 13 und 15 Uhr geöffnet. Ein warmes Mittagessen kostet einen Euro.

Autor:

Paul-Philipp Braun

Webseite von Paul-Philipp Braun
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