Worte des Kranichs
Geburtstagsgabe (6)

der Brief des Sekretärs

Hier nun noch die Reflektionen des Sekretärs von Ape dem Affen, den wir weiter oben bereits kennenlernen durften. Als Kranich erläutert er uns seine Beziehung zu Martin Luther im Besonderen und gibt Auskunft über das Amt eines Sekretärs im Allgemeinen:

"Nicht leicht ist´s, wenn der Sekretär mehr weiß als einer, dem er Briefe schreiben muss. Jedoch, ich hab Erbarmen mit dem Affen gehabt. Wie ihr euch erinnert, bat der Arme mich fromm, den Brief über Luthern für ihn zu verfassen. Warum? Weil er sich seiner vielen Fehler schämt. Und, da ich für Menschen die größten Sympathien hege, und diese Affen jenen gleichen, durch welche sie in Käfigen gefangen gehalten werden und der Eingeschlossenen, vor den Gittern stehend, lachend spotten, tat ich dem Urwaldbruder einen Gefallen und schrieb schnell auf, was er zu sagen dachte. Der Affe ist ein armer Kerl. Verunsichert und heimatlos im Chor der Tiere. Er ist nicht Mensch, er ist nicht Tier, er ist nicht Teufel, ist nicht Engel - und er ist auch kein Gott. Er ist eben ein Affe. Wie staunt er über jenes Buch, das Buchbuch, wie er´s nennt. Er neidet Luthern dieses Exemplar und weiß gar nicht, dass Bücher nur Erfindungen sind. Was drinnen steht, ist ausgedacht. Man sagt, es sei geoffenbart … Je toller diese Worte sind, je toller waren die sie gebrauchen. Ein Affe freilich merkt das nicht. Er ist wie Adam, der den Apfel griff, noch halb im Schlaf, aus Evas Hand - da war das Paradies verloren, weil einer nicht bei Sinnen war. Nun gut - ich will nicht weiter drüber reden. Der Affe weiß nicht, dass ich dieses niederschreibe. Er denkt, ich schriebe das auf, was er immer noch sich lästig wiederholend erzählt. Doch was er da sagt, das lässt sich eigentlich nicht niederschreiben. Trotzdem - ich habe es versucht und ihr habt es weiter oben gelesen.

Auch Luther war unter den Männern, die einst die Reformation anzettelten, nicht wirklich die hellste Kerze auf der Torte. Wer seine Schriften liest, merkt schnell - mit Verstand hat vieles, was er sagte, nicht immer was zu tun. Der Luther war ein Vater alles Mittelmäßigen. Sein Geist flog nicht hinaus zu den eisigen Gipfeln der Reflexion, sondern blieb den Niederungen gern verhaftet, wo die Zeitgenossen zwinkern, welche sich ehrlich zu den Noten Drei und Vier bekennen, wie in der Schule sie als Zensuren unser Lehrer schrieb, wenn die Schüler stotterten und am Grün der Tafel nichts zu schreiben wussten. Der Charakterzug zur Mittelmäßigkeit machte Luthern jedoch gar nicht zu schaffen. Er war noch stolz darauf und schmäht die Klugen, die Genies und von den Göttern hoch Beschenkten hin und wieder gern. Mit seiner kleinen Kraft versucht er seine Angst in Schach zu halten. Vorübergehend gelang es ihm hin und wieder. Denn Martin aus Eisleben glaubte an Christus, und auch wieder nicht. Dann geißelte er sich und las die Bibel zum soundsovielten male durch. Latein kann er - doch mäßig nur. Das, was er in dieser Gelehrtensprache schrieb, hat keine rechte Art, lässt Stil vermissen. Doch Deutsch beherrscht er. Grob kommt´s zwar daher; er findet plumpe Worte, die doch das Ewige aber recht gut beschreiben … So fliegen aller Frommen Herzen Luthern zu. Sie folgen ihm, sie glauben ihm, und heben den Kerl auf ihren Schild, obwohl er mehr wiegt, was Kraniche ertragen können. Der Affe und der Doktor Luther, jawohl - das könnten gute Freunde sein. Nicht so wie Kain und Abel und nicht wie Isaak und der Rebecka Söhne, ihr kennt die beiden? - Nein. Wie Jonathan und David sind sie wohl, das will ich eher meinen. Man muss sie lieben, muss sie besser auch verstehen, als sie sich selbst verstanden haben. Versucht man das, dann kommt ein tiefer Sinn zuhanden. Die Leistung dieses Martin Luther ist, er hat versucht zu werden Christ. Er hat des Papstes Wirbel abgetan, und wollte nie den Ruhm und Pfründe haben, er hat versucht, sich selber tief ins Herz zu schauen, und hat dadurch dem Nagel auf den Kopf getroffen. Wer Luther liest, macht keinen Fehler. Es ist, als ob man einen Lehrer hat, der immer nur um diesen einen Tag, der heute grade geht, voraus ist. Ja, - morgen schon wird man dann selber auch so klug sein wie der Meister. Er aber ist nun wieder einen Tag vorangeschritten dort draußen auf dem Pfad der Geister. Auf diese Art sieht man die Fehler alle wohl und tappt nicht selber in die Fallen, die er betreten musste, weil er der Erste auf der Flucht war. Das ist doch wirklich eine Gnade, liebes Schaf, dass einer vor Dir läuft, und du dir dadurch nur weniger Schaden zufügst. Schön finde ich auch noch, das Luther einmal über uns, die Kranichvögel schrieb. Er meint, wir wären Hoffnungszeichen. Und kündeten den Frühling an, wir wüssten unsern Weg genau. Wir tanzten auf den abgeernteten oder grünenden Felder einen Tanz, der den Schöpfer lobt, und kündeten vom alten Zaubergarten Gottes, dort hinter jenen blauen Bergen, wo freilich noch der Engel mit dem rollenden Schwerte steht und den Weg hinein missmutig hindert. Wo noch die Schlange lebt, eh´ sie gefehlt. Luther dichtete Lieder hin und wieder, er durchbricht den Zaun des Zölibats. Er ißt und trinkt von früh bis spat - und, wenn man ehrlich ist, erlabt ein Christ sich gern an solchen Liedern, sowohl an frohen als auch Trauermelodien hienieden. Ich, der Kranich, auch. Ich pflege ein gutes, wenn auch ambivalent und aufgeklärtes Verhältnis zu euerm Reformator. Rück ich euch fern und hin zum Land der Pyramiden, dann singe ich des Luthers Lieder. Und finde darin des Vogelfriedens goldnen Stern."

Kosaima San - der Kranich
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alle Tierbriefe hier

Autor:

Matthias Schollmeyer

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