Himmel & Hölle
was meinen die eigentlich?

- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
Die Frage, ob Himmel und Hölle als Orte oder als Zustände zu verstehen sind, berührt eine tiefe, kaum auflösbare Spannung in unserem Denken. Wir sprechen von Orten, weil wir in einer Welt der Räumlichkeit leben. Unser Körper verortet uns, und unsere Sprache ist geprägt vom Hier und Dort. Doch sobald wir über das hinausdenken, was die Sinne umgreifen, geraten wir an eine Grenze: Kann die Ewigkeit einen „Ort“ haben? Kann die Hölle irgendwo sein, wenn sie zugleich als Abwesenheit Gottes, als radikales Gegenüber des Sinns, definiert ist?
Christus selbst hat auf dieses Paradox hingewiesen, wenn er im Evangelium sagt: „Das Himmelreich ist mitten unter euch“ (Lk 17,21) – oder, noch tiefer, „inwendig in euch“. Das Himmelreich ist nicht ein himmlischer Ort am Rande des Kosmos, nicht ein Teil der astronomischen Karte, sondern eine Wirklichkeit, die mit der innersten Wandlung des Menschen zu tun hat, mit seiner Beziehung zu Gott, mit jener Transparenz seines Seins, die von der Liebe Gottes durchleuchtet wird.
Die Hölle hingegen, so formuliert es die Theologie der Kirche, ist nicht primär ein Feuerraum, kein von Mauern und Gitterstäben umschlossener Kerker der Ewigkeit. Sie ist die Verweigerung der Beziehung. Die „Absolutheit“ dieser Verweigerung ist nicht räumlich, sondern existenziell: Hölle ist, wo der Mensch sein Herz gegen Gott verschließt und in der Finsternis der Selbstbezogenheit erstarrt. In diesem Sinn ist die Hölle der „Zustand der Beziehungslosigkeit“, jener Raum der Nicht-Begegnung, der gerade dadurch absolut wird, dass er jede Öffnung in sich verneint.
Zeit als Schlüssel
Doch wie können wir von Zustand und Ort sprechen, wenn wir nicht die Zeit bedenken? Ort ist eine Kategorie, die ohne Zeit gar nicht gedacht werden kann. Wir können nur dann „an einem Ort“ sein, wenn wir uns in einer zeitlichen Folge wahrnehmen. Zeit aber ist mehr als bloße Abfolge von Momenten; sie ist, wie Augustinus sagt, „distentio animi“, die Ausdehnung der Seele, das Erleben von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Inneren. Zeit ist Empfindung, eine seelische Spannung zwischen Erinnern, Gegenwärtig-Sein und Erwarten.
Wenn wir von der Ewigkeit Gottes sprechen, meinen wir nicht eine unendliche Zeitlinie, sondern das Stehen der Zeit im vollkommenen Sinn – die Fülle des Jetzt. In diesem Licht wird der Himmel nicht zu einem „Ort“, sondern zu einer Erfüllung des Daseins, zu einem Zustand, in dem der Mensch ganz in Gott und damit ganz in sich selbst angekommen ist. Der Himmel ist Ort nur insofern, als er Begegnung ist: das Wo des geliebten Du.
Die Hölle wäre dann die entgegengesetzte Form dieser Begegnungslosigkeit – ein Nicht-Ort, aber ein realer Zustand der Seele. Sie ist nicht Nicht-Sein, sondern verfehltes Sein. Sie ist wie ein Raum, den es nicht gibt und der doch bewohnt wird, ein Raum der Verweigerung.
Die Konvertibilität von Ort und Zustand
Die Worte Jesu lassen erahnen, dass diese Kategorien ineinander übergehen können. Wenn er sagt, „das Himmelreich ist inwendig in euch“, dann wird die Raumkategorie ins Innere verschoben, und der Zustand wird zu einer Form der Ortserfahrung. Was wir Himmel nennen, ist letztlich ein Verhältnis zur Wahrheit, zur Liebe, zu Gott. Auch die Hölle ist nicht „dort draußen“, sondern kann sich hier und jetzt als Verhärtung, Verfinsterung, Lieblosigkeit vollziehen. Ort und Zustand sind nicht Gegensätze, sondern spiegeln zwei Weisen des Daseins: die objektive (wo befinde ich mich?) und die existentielle (wer bin ich geworden?).
Die Zeit als Ort des Gerichts
Die Zeit, die uns hier auf Erden gegeben ist, ist der Raum der Entscheidung. Sie ist das Zelt, in dem sich Himmel und Hölle vorbereiten. Jeder Augenblick birgt eine Vorwegnahme der Ewigkeit – denn wir leben nicht einfach „in der Zeit“, wir leben von der Zeit her auf etwas hin. Das Leben ist gleichsam eine Werkstatt, in der wir den Raum unseres Herzens formen. Die Ewigkeit ist nicht ein unendlicher Nachspann des Films, sondern das Aufbrechen in jene endgültige Gegenwart, die wir in der Zeit erahnen, wenn Liebe, Wahrheit und Gnade uns einen Augenblick lang durchleuchten.
So ist der Himmel die erfüllte Zeit, die vollendete Beziehung, das Heimkommen ins göttliche Jetzt. Die Hölle hingegen ist das endgültige Scheitern dieser Beziehung, das Verharren in der unendlichen Unruhe einer Zeit, die sich nicht mehr öffnet.
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