Disputatio
Haut und Gnade

Disputatio inter Benedictum XVI. et Tertullianum Novum. Cum conclusione honestae cosmetistae dominae O’Flannagan ex insula Hiberniae

THESIS BENEDICTI:
Worüber wir reden? Über die glatte Haut der Erlösten. Was wir den Gläubigen darreichen? Eine ausgewogene Polemik über Rechtfertigung, Marienstatuen und das protestantische Urmissverständnis

I. Einleitung: Der Protestantismus als theologischer Eiertanz
Es ist bemerkenswert, wie der Protestantismus, dieser aus der hypertrophen Gewissensnot eines Mönchs hervorgekrochene Gedankenschwärmer, über Jahrhunderte hinweg nicht müde wurde, auf einem einzigen theologischen Nervenzusammenbruch herumzureiten: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Diese Frage war, zugegeben, eine ernste, aber sie war auch eine beunruhigend private. Sie war ein Tagebucheintrag, keine dogmatische Grundlage. Und was hat man daraus gemacht? Eine ganze Konfession. Eine Bewegung. Eine Reformation. Eine institutionalisierte Skrupelstörung.

Die Kirche Roms hingegen, seit jeher geschult im Umgang mit pathologischen Seelenzuständen, hörte sich den kleinen Bruder geduldig an, versicherte ihm, dass alles gut werde, dass er die Sakramente nicht zu vernachlässigen habe, dass die Muttergottes auch für ihn da sei – aber dass man aus einer schlechten Woche im August nicht gleich eine neue Kirchenverfassung zimmern müsse.

Und während der Protestant damit begann, die Gottesmutter zu entsorgen wie ein antiquiertes Tafelgeschirr – „zu katholisch“ –, hatte Rom längst verstanden, dass man die psychische Fragilität der Moderne nicht mit Rechtfertigungstheorie therapiert, sondern mit einem Gesicht. Mit einem konkreten Gesicht. Und es war das Gesicht Mariens.

II. Rechtfertigung oder Retusche?
Denn schauen wir der Wahrheit ins Gesicht – und wenn möglich, möge dieses Gesicht bitte glatt sein, faltenfrei, porzellanfarben. Was interessiert den Menschen des 21. Jahrhunderts die Frage nach dem gnädigen Gott, wenn doch auf Instagram täglich über 1,7 Milliarden Gesichter nach Gnade in Form eines Weichzeichners flehen?

Der Protestant, der immer erklären will, immer rechtfertigen, analysieren, sezieren, verliert dabei das Konkrete. Der Katholik zeigt auf die Statue. Da ist sie. Die Frau, die hilft. Die Trösterin. Die, die niemanden fragt, ob er die Prädestinationslehre verstanden hat, sondern die einfach da ist – als Bild, als Erfahrung, als Gebet.

Was also hat die Reformation gebracht? Sie hat das Sakrament in einen Hörsaal verwandelt. Die Liturgie in eine Vorlesung. Und Maria in eine Marginalie. Eine schöne Frau, wohlgemerkt, aber nicht schön genug für die Herren in Schwarz in Wittenberg. Denn Schönheit war verdächtig. Zu weiblich. Zu katholisch.

III. Selbstkritik ohne Bekennerdrang
Und selbst als die Katholiken in späterer Zeit einräumten – subtil natürlich, wie es ihre Art ist – dass die eine oder andere Ablasspraxis vielleicht nicht ganz im Geist des Evangeliums stand, hatten sie längst das Ganze mit Stil überhöht. Das Konzil von Trient sprach klar, aber ohne Zähneknirschen. Man hatte schließlich nichts zu beweisen. Man war ja schon da. Man musste sich nicht rechtfertigen. Man war ja gerechtfertigt.
Die protestantische Kirche hingegen – aus einer Verneinung geboren – musste immer sagen, was sie nicht ist. Nicht katholisch. Nicht marianisch. Nicht hierarchisch. Und dieser ewige Reflex, sich abzugrenzen, hat sie blind gemacht für das, was heilsam ist – Bilder, Gesten, Sakramente. Und Gesichter.

IV. Gesicht statt Gnade
Die Rechtfertigungslehre hat viele Bücher hervorgebracht, das ist wahr. Aber sie hat keine Gebete geformt. Keine Tränen getrocknet. Kein Rosenkranz wurde wegen ihr gesprochen. Kein Wunder ist geschehen, weil jemand Kapitel III der „Confessio Augustana“ verinnerlicht hätte.
Die Madonna aber – aus Gips oder Elfenbein, mit Goldrand und himmelblauen Tüchern – hat das geschafft. Sie wurde angeschaut, angerufen, angebetet. Sie hat geholfen. Auch wenn das den protestantischen Theologen zur Verzweiflung trieb. Sie half trotzdem.

Und das ist ja die Wahrheit: Nicht das richtige Denken rettet, sondern das Vertrauen. Der Blick. Das Angesprochenwerden. Wer hat in der Geschichte mehr Trost gespendet: der Traktat oder das Bild? Wer hat mehr gerettet: die Predigt oder das Gebet? Wer hat mehr bewegt: das Wort vom gnädigen Gott oder das Gesicht der gütigen Mutter?

V. Schluss: Protestantismus als tragisches Missverständnis
So ist der Protestantismus letztlich eine tragische Ironie der Geschichte. Er wollte die Freiheit, und wurde steif. Er wollte das Evangelium, und wurde professoral. Er wollte Christus allein, und bekam ratlose Gemeindekirchenräte.
Die Katholiken aber, auch sie sind nicht ohne Schuld. Doch sie wussten wenigstens, dass das Heilige nicht durch Argumente wohnt, sondern durch Schönheit. Durch Anmut. Durch Mysterium.

Man kann viele theologische Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten benennen. Aber der wahre Unterschied ist ein ästhetischer. Der Katholik will gerettet werden – mit Gesicht. Der Protestant will es verstehen – und bleibt dabei oft ratlos.
Am Ende jedoch stehen beide vor Gott. Der eine mit seiner Bibliothek. Der andere mit Marienstatuetten. Wer da besser dasteht, wird sich zeigen. Wer heir wählen müsste, wüsste sicherlich, wohin er blickte: Nicht auf die Fußnoten. Sondern ins die Süße eines schmerzwissenden Angesicht. Das schöne, glatte, helle, mütterliche Gesicht von einer, die hilft. Auch ohne Rechtfertigungsformel. Ave Maria, gratia …

ANTITHESIS TERTULLIANI:
Contra Matrem: Über die Verblendung der römischen Kirche und den Triumph der puren Gnade. Scriptum indignationis a Tertulliano restitutus

I. Proömium: Die Wahrheit bedarf keines Elfenbeins
Welch blendender Irrtum! Welch glänzend polierte Täuschung! Die Kirche Roms – seductrix gentium – hat sich eine Frau als Retterin gesetzt, wo der Gekreuzigte allein der Mittler ist. Was soll diese Marienfigur aus elfenbeinernem Blendwerk, aus totem Elephantenzagn - diese statuarische Mutter, die mit ihren kindischen, glasierten Augen nicht sieht und mit ihrem lackierten Mund nicht spricht? Sie hilft nicht. Sie steht nur da.

Und doch werfen sie sich nieder vor ihr. Die Einen nennen es Verehrung, ich nenne es Götzendienst. Sie haben den Herrn verlassen, um das Gesicht zu finden. Und was für ein Gesicht! Ein Modellkopf, der keiner Träne begegnet ist, keine Wunde gespürt und die Kreuzesfessel nicht getragen hat.

II. Luther – der Mann, der fragte
Und siehe, da war ein Mann – Martinus, ein Mönch aus deutschem Land – der fragte nicht nach Schönheit, sondern nach Wahrheit. Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Und sie lachen heute über ihn, diese uralten und zugleich immer modernen Spötter, die nichts wissen als das Serum gegen Falten und das Öl gegen das Altern.

Doch ich frage zurück: Ist nicht diese Frage – nach dem gnädigen Gott – das Einzige, was zählt? Ist das nicht die Frage aller Fragen, die das Herz aufschreien lässt, wenn die Nacht kommt und der Tod anklopft? Was ist dann die glatte Haut der Madonna wert? Nichts.

III. Gegen die Weichzeichner der Wahrheit
Ihr Katholiken! Ihr Freunde bildhafter Figürlichkeiten! Euch ist die Gnade zu abstrakt, ihr wollt fühlen, nicht glauben, ihr wollt betasten, nicht vertrauen? Ihr wollt Bilder statt Worte, Mutter statt Kreuz, Andacht statt Umkehr!

Was habt ihr gewonnen? Volle Kirchen mit leeren Seelen. Was habt ihr verloren? Die Wahrheit. Denn nicht die Hände Mariens wurden durchbohrt. Nicht ihre Stirn trug Dornen. Nicht ihre Seite ward geöffnet, dass Blut und Wasser flössen.

IV. Die Reinheit der Lehre – kein Zierat
Die Lehre von der Rechtfertigung ist keine kosmetische Korrektur, sie ist der Riss im Vorhang, durch den das Licht der Gnade bricht. Der Mensch wird gerecht – allein aus Glauben. Nicht durch Heiligenbildlein. Nicht durch Kerzenschein. Nicht durch Lippenbekenntnis. Und nicht durch Weihrauchdampf und Priesterbetrug. Denn was ist der Mensch? Fleisch, das vergeht. Was ist der Glaube? Geist, der lebt.
Wenn also Rom uns verlacht, weil wir die Maria nicht mit Krone und Gold behängen, so lache ich zurück – über die Narrheit der Männer auf dem Heiligen Sessel. Denn sie verwechseln die Mutter mit dem Sohn.

V. Schluss: Auf dass niemand sich rühme
Ich sage euch, Brüder: Die Gnade ist kein Kunstwerk, das man in eine Nische stellt. Sie ist kein Lächeln aus Porzellan. Sie ist das Blut des Lammes. Sie ist das Feuer, das verbrennt. Sie ist das Wort, das trennt.
Die römische Kirche – ach, sie hat sich eingerichtet wie eine reiche Witwe, die lieber einen schönen Toten auf dem Kamin stehen hat, als einen lebendigen Gott, der ruft: Folge mir nach.
Doch wir, die wir glauben, wissen: Nicht das Bild rettet, sondern der Gekreuzigte. Nicht das hübsche Gesicht der Madonna, sondern die offene Seite Christi. Nicht die Gnade, die glättet, sondern die Gnade, die rettet.
Deo soli gloria. Soli fide. Soli Christo. Amen.

SYNTHESIS O'FLANNAGANIS:
Von der Salbung der Gesichter – oder: Wie Gnade duftet
Eine Synthese aus dem Kosmetiksalon „Divina Pulchritudo“ an der irischen Westküste

1. Wind
Der Wind weht vom Atlantik herüber wie eine salzig fragende Fuge. In der Bucht kräuseln sich die Wellen, als wollten sie gleich ein Sakrament vollziehen. Und hier, in einem Haus aus grauem Stein, das früher einmal die Dorfschule war und jetzt nach Myrrhe und Rosenwasser duftet, geschieht, was Theologen und Konzilien nie zu Ende gedacht haben:
Die Sorge um die Haut und die Sorge um das Heil begegnen sich – im Spiegel von Mrs. O’Flannagan.

Mrs. O’Flannagan, trägt stets Lavendel im Haar und das Kapitel V der Confessio Augustana auf der Zunge. Sie ist Besitzerin des Kosmetiksalons „Divina Pulchritudo“ (Göttliche Schönheit). Während sie einem alten Fischer sanft die Stirn einölt – man glaubt fast, es sei Chrisam –, rezitiert sie:

„Vom Predigtamt wird gelehrt, daß niemand im Kirchenamt lehren oder die Sakramente reichen soll ohne ordentliche Berufung.“

2. der Fischer
Der Fischer nickt. Er weiß erst einmal nicht, ob sie von der Taufe spricht oder von der Wimperntönung. Aber die Ikonen sind überall. Sie hängen in goldenen Rahmen, direkt neben den Lupenlampen und den Geräten für Ultraschallbehandlung. Maria mit dem geneigten Haupt, Christus Pantokrator mit der Stirn voller Schweigen. Ihre Gesichter – faltenlos, aber nicht leer. Schön, aber nicht eitel. Es ist diese Spannung, auf die es Mrs. O’Flannagan ankommt.

Sie sagt:
„Ich mache keine Gesichtsbehandlungen. Ich helfe Menschen, sich erinnern zu lassen, wie sie einmal gedacht waren.“ Und dann liest sie weiter – diesmal aus der Apologie der Augustana:

„Denn der Glaube rechtfertigt, nicht weil er eine so gute Tat wäre, sondern weil er das Mittel ist, durch das wir Christus ergreifen.“

3. die Frau auf der Liege
Die junge Frau auf der Liege, gerade Mitte Dreißig, hat Tränen in den Augen. Nicht wegen der Epilation. Wegen des Satzes. Denn hier, in diesem Salon, ist Gnade kein bloßer theologischer Begriff. Sie ist eine duftende Creme, sorgfältig in die Gesichtshaut eingearbeitet, während man lernt, dass die Werke folgen sollen – aber nicht retten.
Tertullian hätte jetzt gebrüllt: „Fleisch! Alles ist Fleisch!“ Und Benedikt hätte geflüstert: „Alles Sichtbare verweist auf das Unsichtbare.“
Aber hier spricht nun das Licht durch den Vorhang: „Alles ist beides. Der Glanz Mariens und der Staub der Erde. Die Tiefe der Dogmatik und die Leichtigkeit eines wohltuenden Serums.“ Die Synthese geschieht nicht auf dem Papier, sondern auf der Haut.

4. der Abend
Abends, wenn die Kunden - und Kundinnen - alle gegangen sind und der Raum noch nach Weihrauchbalsam schwer ist, öffnet Mrs. O’Flannagan die Fenster, so dass die salzflut den Raum von allem frei macht. Sie setzt sich unter das Pantokrator-Bild, nimmt ein altes, abgegriffenes Exemplar der Confessio, und flüstert:

„Du, mein Herr, hast die Menschen so schön gemacht, dass sie es vergessen haben. Die Protestanten haben es ihnen nicht mehr gesagt. Und die Katholiken haben es ab irgendwann immer nur noch einmal frisch vergolden wollen.“

5. die Ikone von Innen
Dann pustet sie das Licht aus. Und lässt die Ikonen allein weiterleuchten.
Von innen.

Autor:

Matthias Schollmeyer

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

23 folgen diesem Profil

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Video einbetten

Es können nur einzelne Videos der jeweiligen Plattformen eingebunden werden, nicht jedoch Playlists, Streams oder Übersichtsseiten.

Abbrechen

Karte einbetten

Abbrechen

Social-Media Link einfügen

Es können nur einzelne Beiträge der jeweiligen Plattformen eingebunden werden, nicht jedoch Übersichtsseiten.

Abbrechen

Code einbetten

Funktionalität des eingebetteten Codes ohne Gewähr. Bitte Einbettungen für Video, Social, Link und Maps mit dem vom System vorgesehenen Einbettungsfuntkionen vornehmen.
Abbrechen

Beitrag oder Bildergalerie einbetten

Abbrechen

Schnappschuss einbetten

Abbrechen

Veranstaltung oder Bildergalerie einbetten

Abbrechen

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.