de amore
ECCLESIAE

Thekla - Jüngerin des Paulus

Wer will, dass der Teufel ihm hilft, muss als Gegenleistung seine Seele drangeben. Das Einverständnis zur Darbringung dieses Preises drückt sich darin aus, dass der Vertrag erstens mit dem eigenen Blut unterschrieben werden muss. Und zweitens dadurch, dass man für die Zeit des Hilfspakets sowohl der Musik als auch der Liebe zu entsagen hat. So oder so ähnlich berichten es einige Märchen und Thomas Mann im Dr. Faustus-Roman. Wobei das mit der Musik hier nicht so ganz so einfach ist, denn der Tonsetzer Adrian Lewerkühn findet mit der Hilfe des Leibhaftigen gerade zu einer Musik, die es bisher noch nicht gegeben und es in sich hat. Das aber ist fast dasselbe. Musik ist der Liebe vergleichbar - denn Liebe ist reine Harmonie, welche Dissonanzen durch geschickte Einfügung ins Ganze mit sich selbst versöhnt. Soviel dazu.

Im 1. Korintherbrief Kapitel 13,1-13 dreht sich alles um die Liebe - Paulus schreibt griechisch und nutzt den Begriff ΑΓΑΡΗ (Agape). Wo die nicht da ist, hat der Teufel gewonnen. Lassen Sie uns in diesem kleinen Essay ruhig einmal mit der archaischen Vorstellung des personifizierten Bösewichts über die göttliche Liebe nachsinnen. Wir beginnen mit Wikipedia-Wissen und enden mit einer grotesk anmutenden Provokation. 

Es geht bei der Agape, die gemäß Pauli Epistel alles aushält, alles duldet, nichts nachträgt und alles hofft, natürlich um die Liebe Gottes - nicht um die abgegriffene Begriffs-Münze „Liebe“, deren Wappen und zugleich Zahl für niemandem mehr so recht erkennbar ist - so oft benutzt und zernutzt ist das Wort, das sich auf Triebe, Diebe und Hiebe reimt. Es geht um die Liebe zu Gott (genitivus objektivus) - bzw. die Liebe Gottes zu den Empfängern derselben (genitivus subjektivus).
Paulus selbst hat man wohl hier und da auch geliebt, der Abschied von Milet soll unter Tränen geschehen sein (Acta 20,37). Ein paar Frauen haben Kuchen gebacken und zum Abschied geweint. Denn dieser Paulus - das war mal ein ganz anderer Mann - einer nicht nur wieder so wie Alexis Sorbas, sondern ein Geschichtenerzähler, von dem keine Gefahr ausging und keine bösen Dinge zu befürchten waren. Anders als alle die Typen, die zu Hause rumhingen, ständig Ouzo tranken und deftige Witze erzählten. Paulus … Auch die Jungfrau Thekla, die dem Apostel gemäß der Paulusakten treu und ergeben gefolgt sei, vermochte den Brand des geistigen Herzens Pauli nicht dergestalt zu transformieren, dass dem Apostel auch einmal die Glut des Fleisches zu heller Flamme aufgeschossen wäre. Und so ist die Frau Thekla zugleich als Treue aber und irgendwie ebenfalls Entsagende in die Geschichte der frühen Kirchenväter (und damit -mütter) eingegangen. Der Schluss der Korintherperikope, die am Sonntag Estomihi in den Kirchen vorgelesen und machmal - nicht ganz unrichtigerweise - bei Trauungen und Gottesdiensten zur Eheschließung rezitiert wird, hat nicht besonders eindeutig mit der Liebe zwischen Mann und Weib zu tun, noch weniger zwischen Mann und Mann bzw. Frau und Frau, sondern ist ein Beitrag innerhalb der frühchristlichen Ideengeschichte zur Grundlegung einer allgemeinen Erkenntnistheorie: Alles bleibt nämlich Stückwerk. Man erkennt das Wesentliche erst im Alter. Einmal wird es vielleicht keinen Unterschied mehr geben zwischen Erkennendem und Erkanntem. Dann lässt der Vorgang des Erkennens erkennendes Subjekt und erkanntes Objekt in Eins fallen. Im Tode sogar ganz und gar … Dann hört das Stückwerk der Spiegelungen und Geistestäuschenungen auf. Bis es soweit ist, bleibt die Trias von Glaube, Liebe und Hoffnung. Wobei die Liebe als das Maßgeblichere angesehen wird. Was aber ist diese Liebe? Paulus nutzt den Begriff der Agape. Er schreibt nicht von der Philia und noch weniger vom Eros. Er entwirft das Szenario sonderbarer Hingabe an die Welt im Modus eigener duldender Selbstaufgabe - egal, was auch geschieht.

Philia dagegen ist "nur" eine Art richtig gute Freundschaft. Bonhoeffer widmet ihr eines seiner Gefängnisgedichte. Dort heißt es:

Nicht aus dem schweren Boden,
wo Blut und Geschlecht und Schwur
mächtig und heilig sind, …
sondern aus freiem Gefallen
und freiem Verlangen des Geistes,
der nicht des Eides noch des Gesetzes bedarf,
wird der Freund dem Freunde geschenkt.

Philia ist Freundschaft zu Menschen und Dingen. In Worten wie Philosophie und Philatelie begegnen wir ihr. Man hat ein gemeinsames Interesse. Etwa für Geflügel oder Briefmarken, Waffen bzw. Literatur. Gute Freunde, gute Freunde …

Noch weniger will Paulus die erotischen Gefilde betreten. Jenen schlüpfrigen Untergrund auf dem viele - sogar Heroen und selbst Götter regelmäßig und mit schlimmen Folgen - ausgeglitten sind und dabei sich selbst und andere nachhaltig verletzt haben.

„Du, Eros, aller Menschen und Götter Tyrann!”

heißt es irgendwo bei Euripides. Auch nicht der Kosmogonische Eros von Ludwig Klages und der Kosmiker um Stefan George ist gemeint. Nein, - es ist hier von einer anderen Liebe die Rede, zu der der Mensch eigentlich gar nicht fähig ist. Es ist die Liebe, die nur ein Gott - und zwar hier allein der christliche Gott - zu geben im Stande ist. Eine grundlose, nichtnotwendige Liebe, die keinen Zweck hat außer sich selbst selbst sein zu lassen, ohne einen Nutzen draus zu ziehen. Agape …

Am ehesten könnte man sie vergleichen mit der Liebe der guten Eltern zu den eigenen kleinen Kindern. Diese Liebe verbindet Mutter und Kind, die doch eigentlich eine Zweiheit darstellen, zu ein und derselben Person. Niemand, der sein Leben nicht lassen würde für sein Kind - wie schwer natürlich auch das fallen mag! Das ist bedingungslose Liebe, die nicht fähig ist, in Hass umzuschlagen. Philia und Eros können - bei Nichterwiderung - sehr wohl in ihr Gegenteil umschlagen. Die Agape kann es nicht. Sie hat die drei Aggregatzustände Liebe - Gleich(un)gültigkeit - Hass überwunden und existiert demgemäß eher als reines Plasma.

Es gibt bei Euripdes ein Drama, das uns gut erklären kann, was selbstlose Liebe ist. In diesem Drama kommt unter äußerst widrigen Umständen ein junger Mann namens Hippolytos zu Tode. Hippolytos ist Jünger der jungfräulichen Göttin Artemis. Sein Leben hat er ihr gewidmet. Und nun tritt die Göttin in der Stunde des Todes ihres Jüngers zu ihm. Sie nehmen beide ohne Groll voneinander Abschied. Denn den Göttern ist der Anhauch Sterbender verboten und untersagt. Die Göttin sagt: Ich muss dich nun verlassen, des Todes Schatten darf von dir auf mich nicht fallen. Und Hippolytos grollt ihr deswegen nicht, sondern sagt ihr die Worte:

„O, selge Jungfrau, fahre hin und lebe. So löst du dich aus langer Liebe leicht!”

Die Göttin geht und Hippolytos stirbt verlassen und allein. Mit dem Wissen aber, dass es diese Gottheit gibt und für ihn gab, da er sie geliebt hat. Hippolytos kommt nicht auf den Gedanken, dass die unterlassene Hilfeleistung der Göttin seine Liebe zu ihr beenden müsse oder könne. Der wirklich Liebende liebt die eigentlich Lieblose hier tatsächlich bis zum letzten Atemzug. Das ist der große Unterschied zu all den anderen Lieben, die uns in Ratgeberheftchen vorerzählt werden. Dietrich Bonhoeffer hat im Gefängnis genau diese Stärke altgriechischer Religiosität bewundernd beschrieben (während der Lektüre von Walther Friedrich Ottos „Die Götter Griechenlands”).

Wie gelangt man in Besitz dieser Liebeskraft, von der Paulus schreibt? Gar nicht. Man kann die Liebe nicht besitzen. Man kann darum bitten, dass einem Anteil an der göttlichen Agape geschenkt wird. Ob man sie dann hat - oder wenigstens etwas davon spürt, könnte man leicht daran überprüfen, ob man fähig ist, die Kirche so zu lieben, wie Hippolytos seine Artemis. Der Kirche nichts nachzutragen, auch wenn sie mit mancher Verlautbarung Anlass dazu gegeben hat. Sie, die Kirche, wieder zu lieben - das täte Not. Denn wenn man die Liebe zur Kirche verachtet, dann ist es bald aus mit beidem. Mit der bedingungslosen Liebe zur Kirche kommt man sich selbst einigermaßen auf die Schliche im Blick darauf, ob man von Agape etwas hält oder ob nicht … Zugegeben - dieser Vorschlag und dieses Gedankenexperiment ist natürlich eine unsägliche Provokation. Aber zu unserer Entschuldigung sei gesagt, dass wir bereits am Beginn dieses kleinen Textes drauf hingewiesen haben, dass sie am Ende zu warten sein wird.

Zum Schluss sei aus gegebenem Anlass kurz an Richard Wagners „Ring des Nibelungen” erinnert. Dieses Drama fängt damit an, dass drei schöne Weiber den hässlichen Zwerg Alberich veralbern. Sie reizen dessen Liebe vorsätzlich - aber eine nach der anderen verspottet den armen Zwerg alsbald. Alle drei kränken den Ärmsten bis auf den Tod, und entziehen sich den stachlichen Zwergenarmen nach anfänglichen Versprechungen hohnlachend wieder. Da wandelt sich die ursprüngliche Liebessehnsucht des Zwerges um in reinen Hass. Er geht von der Bühne ab mit den Worten:

„Bangt euch noch nicht?
So buhlt nun im Finstern, feuchtes Gezücht!
Das Licht lösch' ich euch aus;
entreisse dem Riff das Gold,
schmiede den rächenden Ring;
hör' es die Flut:
So verfluch' ich - die Liebe!”

In Folge dieses Fluches geht das Gold verloren - am Schluss gehen in der Götterdämmerung auch die Götter unter. Wahre Liebe tut Not ...

Autor:

Matthias Schollmeyer

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