Was sagen die Leute ...
... wer der Menschensohn sei? (Mt 16,16)

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JESU FRAGE BEI CÄSAREA PHILIPPI
Wir hören auf den Bericht eines Details aus dem Leben Jesu und seiner Jünger. Da zog man - schreibt uns Matthäus - eines Tages gemeinsam durch die Gegend von Cäsarea Philippi. Dieser Ort liegt an einer Grenze. Nicht nur an einer geografischen Grenze, sondern auch an einer geistig-religiösen Grenze. Hier trafen nämlich unterschiedliche Kulturen aufeinander, alte Götternamen hallen noch nach, der Boden ist durchdrungen von Erinnerung an Macht und Magie. Hier nun, in dieser ideologisch aufgeladenen Umgebung, stellt Jesus seinen Jüngern eine Frage, die keine bloße Erkundigungsplauderei auf einem Spaziergang ist, sondern eine Art Eintrittsbillett zum Portal der Halle großer Selbsterkenntnis.

Cäsarea Philippi liegt am Fuß des Hermongebirges, im heutigen Norden Israels, nahe der Grenze zum Libanon und zu Syrien. In biblischer Zeit gehörte es zur römischen Provinz Ituräa. Der ursprüngliche Name war Paneas – benannt nach dem griechischen Hirtengott Pan, der dort verehrt wurde. Also eines der Zentren urheidnischer Religion. Hier befand sich auch die berühmte Grotte, aus der eine der Quellen des Jordan entspringt. Diese Grotte galt als heiliger Ort – ein Kultzentrum des Gottes Pan, verbunden mit Naturmystik, Fruchtbarkeit und Ekstase. Es gab dort Tempel und Altäre für weitere Götter – ein Ort des religiösen Kontrasts. Um das Jahr 2 v. Chr. baute Herodes Philippus, Sohn von Herodes dem Großen, die Stadt aus und benannte sie zu Ehren des Kaisers Cäsarea – und dann fügte er noch seinen eigenen Namen hinzu, um sie von der Küstenstadt Cäsarea Maritima zu unterscheiden. Cäsarea Philippi hieß die Stadt. Der Ort steht historisch für religiösen Pluralismus, römische Machtpolitik und natürliche Dramatik – denn das Gebiet ist wild, felsig, mit Höhlen und Wasserfällen gesegnet. In der jüdischen Tradition galt die Pan-Grotte als Eingang zur Unterwelt – was Jesu Aussage über unsere Kirche „die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen“ eine interessante Note verleiht.
Wie einst oben an den Pforten heidnischer Orakel-Tempel zu lesen war – Gnoti seauton (Erkenne dich selbst), so führt auch Jesu Frage seine Jünger nunmehr in den Bereich der Selbsterkenntnis. Jesus stellt hier eine erste ernste Frage, die ebenfalls in die Tiefe und Weite des Problemkreises Selbsterkenntnis einführen wird. Er fragt: „Was sagen die Leute, wer der Menschensohn sei?“

Die Jünger antworten und wiederholen lakonisch, was ihnen bisher von hier und dort zugetragen worden ist. Es sind respektvolle Deutungen darunter. Man vergleicht Jesus mit den großen Gestalten der Geschichte – Johannes, Elia, Jeremia. Man verortet den Gottessohn im Rahmen des bereits schon Bekannten. Die Antworten spiegeln ein Ringen um Einordnung, vielleicht auch eine gewisse Vorsicht. Noch spricht niemand mit dem eigenen Risiko – es sind bisher nur sichere, überlieferte Antworten.

Die Erzählung ist nun so konzipiert, dass Jesus dieselbe Frage jetzt an die Jünger selbst richtet: „Und ihr – was sagt ihr?“ Damit drängt der Meister das Gespräch aus der Allgemeinheit hinaus. Jetzt wird es persönlich … Die Jünger stehen jetzt nicht mehr nur als Vermittler fremder Stimmen auf der Bühne. Nun geht es um ihr eigenes Verhältnis zu jenem Mann, den sie täglich begleiten und der sie anführt. Diese zweite Frage ist anders als die erste - sie duldet kein Ausweichen. Sie lässt sich nicht beantworten, ohne dass man sich selbst dabei näher kommt und öffentlich zu erkennen gibt. Selbstoffenbarung nennt man das.

Nur einer soll Antwort gegeben haben? Ja - und diese Antwort kommt von Simon, der gleich daraufhin einen neuen Namen erhält - nämlich den Namen „Petrus”, das ist griechisch und bedeutet Felsenstein. Dieser Simon/Petrus formuliert ohne Pathos, ohne Absicherung, etwas von dem, was er fühlt. Er sagt: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“ Dieser Satz ist klar und von einer umwerfenden Schlichtheit, die weder aus Erklärungen noch aus Analysen besteht. Hier spricht kein Systematiker. Es spricht eine Person, die erfasst wurde von einer Einsicht, welche sich nicht im Voraus herstellen lässt. Man kann diesen Augenblick der Entscheidung nicht in methodische Begrifflichkeiten zerlegen. Was Simon ausspricht, kommt aus seiner persönlichen Berührung mit einer Wahrheit, die ihn erreicht hat. Seine Worte stehen nicht am Ende eines Gedankengangs, sie markieren den Punkt, an dem etwas Gewisses im Innern offenbar unausweichlich Wirklichkeit geworden ist.

Jesus kennt diese Bewegung. Er nennt Simon selig und erklärt ihm, dass diese seine Erkenntnis ihren Ursprung nicht in menschlicher Vermittlung und Vernunft hat. Sie wurde dem Petrus geschenkt. Und an dieser Stelle beginnt etwas, was sich nicht auf natürliche Weise als lernbarer Kommunikationsvorgang ableiten lässt. In der Antwort Simons liegt eine Gabe, die er empfangen hat. Und mit dieser Gabe beginnt seine neue Rolle. Jesus nennt ihn Petrus. Dieser neue Name ist nicht nur Beschreibung, sondern programmatische Berufung. Auf dem Bekenntnis des Petrus und darauf, was hier geschehen ist, will Jesus eine Gemeinschaft begründen - und zwar nicht als irgendeine staatstreue Körperschaft öffentlichen Rechts, sondern als Kontrastgesellschaft zu allen weltlichen und sich himmlisch nennenden Höllen.

Solche Gründung ist kein Bauwerk im üblichen Sinn. Es ist keine Organisation, die sich durch Macht oder Sichtbarkeit behaupten soll oder gar muss. Christliche Gemeinde entsteht dort, wo Menschen von der Wirklichkeit Christi ergriffen worden sind und ihr Lebensraum geben. Sie ist nicht nur Versammlung Gleichgesinnter, sondern eine lebendige Bewegung, die sich an dem orientiert, was sich erst später gezeigt haben wird. Deshalb spricht Jesus auch davon, dass die Pforten des Totenreichs diese Gemeinde nicht überwältigen werden. Das ist kein Schutzversprechen vor den Mühen der Geschichte. Vielmehr wird deutlich: Was hier begonnen hat, ist nicht zerstörbar durch das, was dem Leben entgegengesetzt sein wird.

Jesus spricht noch weiter. Er vertraut Simon Verantwortung an. Es ist die Rede von Schlüsseln, vom Binden an Schuld und vom Lösen der Schuldbindungen. Wer in dieser Art und Weise des Petrus bekennt, wird in einen Zusammenhang gestellt, der über das Sichtbare hinausreicht. Die Schlüssel von denen dabei die Rede ist, bedeuten nicht tyrannische Verfügungsgewalt, sondern sie deuten auf Teilnahme am Vollzug göttlich urteilender und entlastender Wirklichkeit hin. Wer im Glaubensraum der Kirche handelt, bleibt nicht den dunklen Kräften seines Inneren verhaftet, sondern wirkt hinein in Beziehungen, Ordnungen und sowohl eigene als auch fremde Lebensverläufe. Was hier gebunden oder gelöst wird, hat Bestand – nicht weil Menschen es so bestimmen, sondern weil Menschen mit solchen Schlüsseln in der lebendigen Verbindung zu dem Wort Christ, das in der Kuppel des Petersdoms zu lesen ist, ein Urteil sprechen, das mit dem Himmel in Einklang zu stehen behauptet. Wenn das tatsächlich so ist, wäre es sehr gut ...

Die Szene bei Cäsarea Philippi ist nicht abgeschlossen. Sie wiederholt sich. In jeder Zeit wird die Frage gestellt, wer Jesus ist und wer der Christus nicht ist. Und in jeder Zeit braucht es Menschen, die sich dieser Frage radikal ehrlich aussetzen. Nicht nur in der Form kluger und theoretischer Debatten, sondern in der Weise, wie das eigene Innere sich zeigt und zum Sprechen gebracht wird. Wo solches geschieht, entsteht Raum – für bewahrtes Leben, ermöglichte Versöhnung und hörbare Wahrheit.

Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer

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