31.12.2022
Gebet einer Silvesterrakete

Allherrscher der Dinge!
Gib, dass ich brenne.
Nicht, dass ich versage,
am höchsten Punkte
der Flugbahn noch scheitre.

Heut kauft’ mich ein Herr.
In grüngoldener Schachtel –
da lag ich so stolz.
Er trug mich zum Block,
dort haust er mit Vielen.

Und Samstag, zur Nacht,
da werd ich zerschellen.
Am Himmel in Farben -
um Licht in das Dunkel
Euch Menschen zu senden.

Dann freuet Euch alle.
Ich fürchte die Stunde.
Salpeter bin ich, bin Schwefel und Kohle.
Aus Strontium mit Kali,
Magnesium und Leim.

O laß doch, Du Höchster,
o laß es gelingen –
wenn ich da oben
in Funken zerstiebe,
den Menschen da unten. 

Und gib, dass mein Körper
drauf friedlich und leise
und ohne Feuer und Schaden zu stiften,
ganz demütig aufschlägt
am Rücken der Erde.

Zum Morgen sende mir fröhliche Kinder.
Die finden mich frühe
und basteln aus Stöckchen
und Hülse was Feines.
O Gottheit!I Dich preis ich.

Du gabst mich - so gab’s mich.
Danksagung für alles!
Im Schaufenster lag ich
mit Schwestern und Brüdern.
Ein Herr kam und kaufte.

Nur mich erwarb er mit sinnender Mine.
Er trug mich gar achtsam.
Die Kindlein bestaunten
die glänzende Pappe.
Sie riefen: "Laß´ fliegen“!

Doch „Nein“, sagt der Vater.
„Silvester muss werden erst,
scheiden die Jahre. 
Dann wird mit Segen
die Zündschnur entzündet,

dem Himmel zu senden,
der schwärzlichen Sphäre,
die über uns abrollt
seit Menschengedenken
die kleine Rakete.”

Da schrieben sie auf
drei wagenden Wünsche:
„Arbeit für Vater,
ein Geld auf dem Konto
und Friede auf Erden."

Sie schrieben auf Zettel,
die hängen am Hals mir.
Da hängen sie sichtbar,
und hängen sie deutlich.
Es stehet geschrieben:

„Dass unsre Nachbarn
nicht immer nur saufen, 
den Hund nicht verprügeln.
Der Bruder nach Haus kommt -
die Kirche nicht einstürzt."

Und ich, die Rakete,
ich fürchte die Stunde,
doch will Eure Wünsche,
ans Himmelszelt tragen.
Da oben spreng ich ihr enges Gefängnis,

nach siegreichem Knalle
zur Erde ich falle,
wo spielende Kinder
des neu wordnen Jahres
mich suchen und finden.

Mögen die Sterne es sehen,
mögen die Engel es dulden -
und du, als Vollender
mich segnen beim Wirken
durch Tun oder Lassen.

O gib, dass es glücke.
Auch schenk, dass es daure.
Wir bitten um Gutes –
für Dinge und Menschen
hier unten auf Erden.

Und Amen … 💥

Autor:

Matthias Schollmeyer

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