Bruder Fritz zum 25. August
F.W.Nietzsche 1844-1900

F.W. Nietzsche und J. Gott

Die Anmutung einer gewissen Verwandtschaft zwischen den beiden ist nicht zu leugnen. Brüder - oder wenigstens kosmische Zwillinge? Friedrich Wilhelm Nietzsche aus Röcken, der am 25. August vor 123 Jahren unter die Sterne versetzt wurde, zum einen. Und zum anderen Bruder Jesus, der in der Sicht der Alten Kirchezugleich Mensch UND Gott gewesen - und deshalb geblieben ist.

In der spätromanischen Kirche von Elmelunde auf der dänischen Ostseeinsel Møn findet sich ein Altar mit Abendmahlsszene, in der dem Haupte des Gottessohnes etwas Nietzscheanisches gegeben ist - siehe oben. Das andere Bild links daneben - das ist er, wie wir ihn kennen: Sein Auge auf das Unfassbare gerichtet und der Schnauzer, den ihm keiner so schnell nachmacht. Man wird sagen - alle hätten damals so ausgesehen. Stimmt - auch der Urwaldarzt Albert Schweitzer. Mich aber hat dieser dänische Jesus aus Elmelunde zuallererst an den Philosophen mit dem Hammer erinnert, auf den man in der Weinberggegend um Naumburg zu Recht stolz ist. 

Wer einmal an den Geburts- und Begräbnisort des philosophierenden Pastorensohnes aus Röcken kommt, fasst es erst einmal nicht, wie denn ausgerechnet von hier aus eine so enorme Wirkungsgeschichte aus dem Strudel des Kielwassers einer 55 Jahre dauernden Lebenszeit sich aufmachen konnte. Denn das Bedrückende, welches an diesem Orte als Genius Loci wohnt, überwiegt erst einmal. Der niedrige Türsturz, an dem sich Nietzsches Mutter am eigenen Hochtzeitstag den Kopf stieß, als der Gatte sie erstmalig über diese Schwelle tragen wollte, der ist noch das Geringste. Das elend kleine Stall- bzw. Waschhausgebäude, das heute ein Museum birgt, trägt weiter dazu bei. Dann auch die Gräber der wichtigsten drei Personen jener Familie, aus der jener Thorhammer geschleudert wurde, von dem bereits Heine schrieb und welcher alles bisher mühsam mit Gedanken je Umkreiste zertrümmern sollte - singen ihre stille Weise auf verschwiegene Art. Wenn man vor den drei efeubewachsenen Abgründen zum Hades steht, ist Nietzsche der Linksaußen neben Schwester und Mutter. Bei ihm liegen eigentlich immer Blumen, bei den Frauen nicht. Wo ist der Vater? Der Vater starb, als Nietzsche vier Jahre alt war. Alles Beten des kleinen Fritz damals hatte nicht geholfen …

Der sonderbare Bezug beider oben gezeigter Bart-Bilder ist dem göttlichen Zufall geschuldet: Nietzsche in der Mitte seiner Verehrer. Wir vergleichen. Und dann setzt Nachdenken ein. Gleiches ist gleich und Ungleiches wird durch Denken einander angenähert. Er füllt den Becher und an seiner Brust ruht ein träumender Johannes - stellvertretend für alle die, die den gescheiterten Baseler Professor gelesen und - darauf kommt es an - auch einigermaßen verstanden!!! haben. Wer sonst nichts zu tun hat - er besorge sich guten Gewissens die Studienausgabe der Werke und Briefe Nietzsches - von Giorgio Colli und Mazzino Montinari herausgegeben. Preislich ist das durchaus noch zu stemmen - und Lektüre bis in Ewigkeit. Wenn einem diese oder jene Seite nicht gefällt, kann man sie herausreißen und - so dünn ist das Papier - zum Zigarettendrehen benutzen. Ich empfehle dabei jenen Tabak, mit welchem Goethes westöstlicher Diwan gestopft gewesen ist. Wer Nietzsche liest, hat auf jeden Fall - trotz aller Schmerzensrufe - Vergnügen, Unterhaltung und Zerstreuung. Diesem Autor beim Denken zuschauen zu dürfen ist kein Kinderbucherlebnis - sondern wirklich geistlich/geistiger Sport gehobener Art. Freilich - viele der Gedanken sind erlitten worden. Mit Kopfschmerzen und durch atemloses Herumsteigen im Hochgebirg des Engadin.

Zum Schluss ist es Nietzsche, der seine Briefe an Gönner, Freunde und Liebhaberinnen mit sonderbaren Pseudonymen unterschreibt. Wer traut sich das heutzutage noch? Diese literarischen Zeugnisse fasst die Nietzscheforschung nur mit der Pinzette an, um sie an Nervenärzte weiter zu reichen. Die sogenannten Wahnsinnszettel. Dort steht der Zeussohn „Dionysos” als Unterzeichneter - oder eben auch „Der Gekreuzigte.” Vor solcher Unterschrift erschrecken die meisten. Andere aber wissen und sagen es auch, dass sich der Gedankenkreis, dessen Weite der junge Nietzsche bereits im Jahr 1864 in einem seiner ersten Gedichte umrissen haben soll, genau an dieser Stelle schließt. Ätzendste Kirchenkritik - aber eine freie Gottesliebe, an der der Liebende schließlich zerbricht. Zu hören hier in der Version des Klaus Kinsky 

Noch einmal, eh' ich weiter ziehe
Und meine Blicke vorwärts sende,
Heb' ich vereinsamt meine Hände
Zu dir empor, zu dem ich fliehe,

Dem ich in tiefster Herzenstiefe
Altäre feierlich geweiht,
Daß allezeit
Mich deine Stimme wieder riefe.

Darauf erglüht tief eingeschrieben
Das Wort: dem unbekannten Gotte;
Sein bin ich, ob ich in der Frevler Rotte
Auch bis zur Stunde bin geblieben:

Sein bin ich – und ich fühl' die Schlingen,
Die mich im Kampf darniederziehn
Und, mag ich fliehn,
Mich doch zu seinem Dienste zwingen.

Ich will dich kennen, Unbekannter,
Du tief in meine Seele Greifender,
Mein Leben wie ein Sturm Durchschweifender,
Du Unfaßbarer, mir Verwandter!

Ich will dich kennen, selbst dir dienen.

Ein frommes Gedicht, das man den Konfirmanden auf ihre Urkunden schreiben könnte. Ein Spruch, der es verdient hätte, in Hogwarts am Tympanon der Schulkapelle ablesbar zu werden. Möglich wäre auch, man schriebe das Gebet des jungen Nietzsche an die Kuppel des Humboldtforums - als freundliche Erinnerung für Claudia Benedicta.

Autor:

Matthias Schollmeyer

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