Heisenberg doziert
Altes und Neues von Leberecht Gottlieb (37)

Ein Kapitel, in welchem Werner Heisenberg Leberecht Gottlieb verrät, wie man aus der Hölle in die Helle gelangen könne.

Wir nehmen einmal an, dass alles dann wohl doch gar nicht so schlimm gewesen sein könne. Denn Leberecht hatte - Gott sei es gedankt - den Physiker Werner Heisenberg dort drunten in der wirklichen Hölle antreffen dürfen. Mitten im Unheil hatte eine gute Macht - keiner weiß bisher, was oder wer das sein könnte - ein Einsehen gehabt und dem Pfarrer i.R. eines seiner Hauptidole von ehedem als Engel in die Hölle nach- bzw. vorausgesandt und zugesellt. „Der HERR lädt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch” singt der zwanzigste Vers des achtundsechzigsten Psalmliedes.

Ob nun Heisenberg wirklich in der Hölle anwesend gewesen oder nur dem Anscheine nach - wer getraut sich, dem mutig nachzuspüren? Jedenfalls war Leberecht dort nicht ganz allein -  und also war er eigentlich auch gar nicht so richtig in der Hölle! Hölle nämlich wäre Allein-Sein, ohne zugleich mit dem All Eins zu sein. Hölle, das muss ein elendes Einsam-Sein sein. Abgeschnitten von Allem - und ausnahmslos nur auf sich selbst geworfen (Heidegger wüsste davon Schauerlichstes zu berichten.) Wie dem auch sei - trotzdem haben wir an Leberechts großem Schrecken literarisch Anteil nehmen wollen - als dieser sich nämlich im Anschluss an die vom Sozialroboter HelpMeOut iniziierte wunderbare Entschlafung eben nicht in der sanft läuternden Kinderhelle wiederfand, sondern in die spelunca aeterna des Kaplans Vowobrutl getan.

Leberecht ist jedoch zu lange evangelischer Geistlicher gewesen, als dass er die Flinte gleich ins Korn und den Glauben in den Eimer geworfen hätte. Nein - er fürchtete die von Heisenberg angekündigten hochernsthaften Unterweisungen nicht, wenn diese ihn nur endlich doch noch in seine alte Helle, in die vertraute Pfarrhauskinderhölle brächten. Wo die Teufeln eigentlich verkappte Engel sind, gebildet und gerecht - und ihre Vorschriften durchschaubar und dezidiert fein säuberlich alle aufgeschrieben stehen und wo keine dumme Willkür herrscht, sondern wo man mit Aides gepflegt dialogisieren kann, den Tantalos beobachten darf, dem Sisyphos ein wenig am Stein anhelfen wird - und die Eumeniden in besänftigenden Quarten und Quinten dahersingen. Wo Dionysos den süßen Wein reicht und die Alte Ananke kopfschüttelnd hie und da auch mal eine Ausnahmen machen will, weil sie niemandem Rechenschaft abgeben muss und es einfach nach eigenem Gutdünken darf und deshalb auch kann, wie man es heute ausdrückt und sagt. Kennst du das Land, wo die Citronen blüh’n - dahin will Leberecht zieh’n. Und er hat ja gesehen, dass es dieses Land zu geben scheint. Der Globnich ist schon dort. In Abrahams Schoß sitzt er, wie weiland Lazarus, der arme Lazarus, dem die Hunde die eiternden Geschwüre leckten. Wie oft hatte man über diesen Text des Arztapostels Lukas gepredigt. Dagegen er selber, Leberecht Gottlieb Pfarrer i.R. aus Mumplitz und Plötnitz, in der Hölle gestrandet sein soll und dazu noch auf immer? Wenn auch nur bei 42° Celsius … nimmermehr!

Nein - nach Hellas will er. Und das ist eine zweite große Zufälligkeit. Dass nämlich erstens die Hölle und die Helle sich nur in dem winzigen Unterschied ihres ersten Vokals unterscheiden. Und zum Zweiten, dass Hellas - jenes alte Reich des Perikles und seiner Gefährten im ägäischen Meer - und überhaupt der gesamte Hellenismus diese Helle immer schon war und noch ist. Der Süden mit seiner Sonne, seinen Olivenhainen, den Statuen so vieler Helden mit ihren Göttern allen und sämtliche Renaissancen, jenes in den Gedanken der Phantasiebegabten ewig schlummernde und strahlende Hellas, welches - wenn es an der Zeit gewesen war und einige kluge Köpfe es wollten - die tumbe Welt immer und immer wieder mit seinem unauslöschlich göttlichem Lichte und wärmendem Feuer beschenkt hatte. Dieses helle Hellas! Was war denn dagegen schon die Hölle des Sudetenkaplans Vowobrutls! Diese gleichsam entartete Hölle war doch nur das traurige Angstprodukt plumper Torengeister. Im Vergleich zum Golde zwar genauso schwer - aber eben doch nur graues Blei, das durch klugen Spruch, summenden Gesang und inbrünstige Gebete mit Hilfe des Elixiers zu seinem Gegenteil verwandelt werden wollte - und deshalb auch verwandelt werden muss. In lauteres Gold nämlich.

Dies alles schoss Leberecht durch den Kopf, als er fiebernd auf dem eisigen Boden der Hölle kniete und Heisenberg gelobte, willig kluger Schüler weiter sein zu wollen, wie ehemals auf Erden schon. Die Temperatur des höllischen Fußbodens ist übrigens um die minus 273 ° Celsius angesiedelt. Die Raumtemperatur allerdings bei plus 42 Celsiusgrad. Nur nebenbei sei solches angemerkt. Heisenberg nickte beifällig zu den Schwüren des Emeritus und ging sofort medias in res. „Herr Gottlieb” sagte er, „es gibt einen schmalen Pfad, Sie aus der Hölle in die Helle zu bugsieren - allerdings um den Preis, dass sie mich auf ihrem Verwandlungsweg mitnehmen. Jeder ist entweder mutterseelenallein in der Hölle oder eben gar nicht. Umgekehrt gilt Ähnliches - niemand verlässt die Hölle allein nur für sich. Da Sie sich nun in der griechisch-römischen Antike gut auskennen - wie Ihre in sechzigjähriger Arbeit entstandenen Predigtmanuskripte beauskunften - und ich mich ebenso auf die Elementarteilchen verstehe und in deren Zauberwelt bestens unterwegs bin, werden wir beide ein gutes Gespann abgeben. Zumal Sie, Herr Gottlieb, hierher gekommen sind mit der Summe des bis dato angelaufenen Weltwissens aus den Bibliotheken der BigData, wie mir der Wind erzählte. Es wird also wohl nicht viel geben, was Ihnen verborgen bleiben konnte. Allerdings ist das Stichdatum Ihr werter Todestag am 3.November 2054 - aber wir schreiben inzwischen schon ein paar Jahrzehnte mehr. Tempus fugit. Deshalb wäre es für Sie persönlich besser, Sie täten sich mit mir zusammen, um von diesem fatalen Orte allhier fortzukommen. Für mich ist Ihr Fachwissen ebenfalls unentbehrlich, da ich kulturell, was die Antike betrifft, völlig unterbelichtet bis tatsächlich blöde bin. Aber von der Elementarteilchenphysik habe ich wirklich Ahnung. Das können Sie mir glauben. Und - wir werden mit der Hilfe genau jener winzigen Partikel reisen müssen, die so klein sind, dass Kleineres über sie hinaus nicht zu denken ist - und es dieselben deshalb recht eigentlich gar nicht zu geben scheint.”

Nicht schlecht staunte da Leberecht Gottlieb - sollten also schon Jahrzehnte vergangen sein in dieser kurzen Spanne seines Hierseins? Heisenberg hatte wohl in den Gedanken Leberechts gelesen. Denn er sagte: „Auf Erden schreibt man heuer bereits das Jahr 2083. Und es hat in den dreißig Jahren seit Ihrer fröhlichen Entschlafung als reichlich sechsundneunzigjähriger Greis bis heute ein paar wesentliche Erkenntnisse, Entdeckungen und deren technische Umsetzungen gegeben - als zum Beispiel die von Ihnen schon immer herbeigewünschte Zeitmaschine, mit der Sie bereits unterwegs waren, wie Sie sich erinnern können?  Die gibt es da oben jetzt tatsächlich wirklich. Jeder Idiot kann inzwischen in jede x-beliebige Zeit reisen - mit den verheerendsten Konsequenzen. Neulich zum Beispiel hat eine Schulklasse einen Wander-Ausflug in das Pleistozän unternommen und dort - aus Unachtsamkeit - eine Kiste Schokoladenkonfekt stehen lassen. In der steinzeitlichen Bevölkerung hat diese Nachlässigkeit einerseits zu einem exorbitanten Anschwellen animalischer Fruchtbarkeitskulte geführt, andererseits zu deren genauem Gegenteil. Diese Spaltung der steinzeitlichen Gesellschaft im Blick auf Genuss- und Feierpraxis setzte später die sogenannte Gnosis in Bewegung - und die mit ihr verbundenen unausweichlichen Folgen für die frühe Christenheit. Mit anderen Worten - dass ich Sie hier aufsuche, geschieht nicht aus Jux und Dallerei. Sie, Herr Globnich, sind auserwählt worden, auf die Erde zurück zu gelangen, um von dort aus - mit meiner bescheidenen Hilfe - die Geschichte zu korrigieren - bzw. diejenigen Bösewichte zu beschwichtigen, die die ad nunc gewachsene Historizität gern verändern möchten. Haben Sie mich in etwa verstanden - oder anders gefragt. Habe ich mich verständlich machen können?”

Leberecht nickte. Und ahnte noch nicht, dass und welche interessante Abenteuer ihm nunmehr bevorstünden ...
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anderes von Leberecht Gottlieb hier

Autor:

Matthias Schollmeyer

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