vom reichen Mann
und dem armen Lazarus ...

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Ihr Lieben - dass wir heute in der Kirche Platz genommen haben – einige mit dem Rücken zur Sonne, andere dem Altar zugewandt, wie es eben so geschieht, wenn Menschen miteinander versammelt sind –, das allein ist schon eine Art Vorgriff auf das, worum es geht. Denn es geht, wie in vielen Gleichnissen, die Jesus uns erzählt, nicht bloß um Brot und Wasser, Reichtum und Armut, sondern – man möge mir diese Wendung verzeihen – um das feine Geflecht der Existenz, das sich zwischen Himmel und Hölle spannt, oder sagen wir: zwischen Emporstreben und Fall.

Jesus erzählt. Und siehe, es ist ein Gleichnis von einem reichen Mann – namenlos –, und einem armen Mann – mit Namen: Lazarus. Und allein dies ist schon von einiger Bedeutung, dass der Arme einen Namen trägt, der Reiche aber nicht. Die Armut ist also nicht das Ende der Individualität, sondern ihre Bedingung. Die Namenlosen, meine Freunde, sind nicht die Elenden, sondern die Satten, die in ihrer Selbstgenügsamkeit gar keiner Benennung mehr bedürfen.

Der Reiche, so berichtet der Evangelist, lebt in Purpur und feinem Leinen, was unter Kennern der antiken Garderobe ein ziemlich deutliches Zeichen für Prasserei ist. Lazarus hingegen liegt vor seiner Tür, mit Geschwüren bedeckt, nicht im metaphorischen Sinn, sondern leibhaftig, biologisch, im Vollbesitz aller Drüsen. Und siehe, die Hunde – diese Physiognomen der Barmherzigkeit – lecken seine Wunden. Der Reiche aber lässt ihn liegen.

Ein erster Gedanke könnte sein: So geht es halt zu in der Welt. Und vielleicht war Lazarus ja auch ein wenig träge, ein wenig mimosenhaft. Aber nein – die Geschichte meint es ernst. Und die Konsequenz kommt prompt: Beide sterben. Und nun zeigt sich, was zuvor verborgen lag. Der eine wird getragen – von Engeln, nota bene –, der andere versinkt. Die Rollen kehren sich um. Und Abraham – das ist in dieser Geschichte der große Haushalter, der Patriarch der Ordnung – spricht das Wort, das alles verändert: Zwischen euch ist eine Kluft. Eine Chasmatisierung des Daseins, wenn Sie mir diesen Ausdruck gestatten. Unüberwindlich, endgültig.

Aber halt! Ist es wirklich endgültig? Ist diese Kluft wirklich so unüberbrückbar wie behauptet? Der Reiche fleht, Lazarus möge doch gesendet werden zu seinen Brüdern – fünf an der Zahl –, damit sie gewarnt seien. Abraham verneint. Er verweist auf Mose und die Propheten. Was für eine melancholische Pointe: Nicht einmal ein Toter würde die Brüder überzeugen können. Und hier, an dieser Stelle, geschieht das eigentliche Wunder:

Denn – und dies ist zwar biblisch nicht überliefert, aber mutig gedacht, theologisch gespiegelt und geistlich erweitert – Lazarus geht trotzdem. Entgegen dem Dekret Abrahams, entgegen der Logik der Kluft, verlässt er seinen seligen Stand, erhebt sich aus der Ruhe des ultimativen Gerettetseins, schüttelt denGoldstaub aus den Locken, die Engelsfedern aus dem Ärmel, und steigt hinab. In die schmutzige Welt noch einmal. Zu den Brüdern des reichen Mannes. Als Warnung. Als Licht. Als Stimme aus dem Grab.

Ist das eine freie Erfindung? Ja – aber eine notwendige. Denn sie führt uns hin zu einer anderen Gestalt. Einer, die es wirklich getan hat. Einer, der es nicht für einen Raub hielt, Gott gleich zu sein, sondern sich entäußerte, die Gestalt eines Knechtes annahm, gehorsam wurde bis zum Tod – ja, bis zum Tod am Kreuz.

Jesus von Nazareth, Christus genannt, war dieser neue Lazarus. Oder besser: Lazarus war sein Gleichnis. Der Sohn, der aus dem innersten Geheimnis des göttlichen Dreieins stieg, sich herabließ zu den Verlorenen, um das Wort zu sagen, das selbst Abraham nicht mehr zu hoffen wagte: „Ich komme. Ich komme, euch zu holen.“

Und nun?
Was bleibt uns?

Die Kluft ist da – zweifellos. Zwischen Arm und Reich. Zwischen Wissen und Nicht-Wissen. Zwischen Glaube und Zweifel. Zwischen dem, was war, und dem, was sein sollte. Aber diese Kluft ist nicht unüberwindlich. Denn einer hat sie überbrückt. Mit seinem Leib. Mit seinem Wort. Mit seiner Liebe.

Wenn also Lazarus ging – wenn Christus kam – wie könnten wir da sitzen bleiben? Stehen wir also auf, liebe Freunde. Nicht zu schnell, damit niemandem schwindelig wird. Aber doch mit jener inneren Aufgerichtetheit, die dem Menschen eigen ist, wenn er erkennt:
Ich bin gemeint. Ich bin gerufen. Ich bin gesandt – zu meinen Brüdern, zu den Schwestern. Überall in der Welt.

Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer

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