crying in the chapel
OFFENE KIRCHEN!

- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
Die Tür war offen. Das war das Erste. Und es roch nach Staub, Stein und alter Zeit. So wie Dinge eben riechen, wenn sie eine lange Geschichte hinter sich haben und eine noch längere vor sich. Ich trat ein. Die Sonne draußen brannte, aber hier drin war es still und kühl. Ein paar Fliegen lagen auf der Fensterbank. Tot. Die Beine zum Himmel gestreckt wie nichts …
Und da war sie. Nicht die Fliege. Sondern sie. Sie saß in der zweiten Bankreihe, kniete nicht, sondern saß. Der Blick gesenkt. Tränen liefen über ihr Gesicht. Keine Show. Keine große Geste. Keine Kerze in der Hand. Kein Ave Maria auf den Lippen. Aber dieses Lied. In meinem Kopf. Elvis.
I saw you crying in the chapel.
Es war ein gutes Lied. Nicht zu lang. Nicht zu kurz. Keine überflüssigen Worte. Kein künstliches Pathos. Nur Stimme. Nur Glaube. Nur der einfache Satz: Ich bin hierher gekommen, um den Frieden zu finden. Und ich habe ihn gefunden.
Es ist eine alte Sache, die mit dem Frieden. Man findet ihn nicht oft. Aber manchmal findet man ihn dort, wo man ihn gar nicht sucht. In einem Gotteshaus, das nicht glänzt. Keine goldenen Altäre. Kein Weihrauch. Nur Holz, Stein, Glas. Und eine offene Tür. Man sollte das nicht kleinreden.
Ich kenne Männer, die ihren Frieden im Schützengraben suchten. Und andere in der Kneipe. Und wieder andere in den Armen einer Frau oder in irgendwelchen Portfolios. Ich sag ja gar nichts dagegen. Jeder sucht auf seine Weise. Aber manchmal führt der Weg durch eine Kirchentür. Wenn sie denn offen ist. Und hier liegt das Problem.
In Mitteldeutschland, wo die Luft trocken und die Herzen oft noch trockener sind, da sind die Kirchen meistens zu. Verschlossen. Nicht wegen Raub oder Vandalismus. Nicht wegen Satan oder Sünde. Sondern wegen Scheinvorschriften. Wegen Gremium. Wegen eines Gemeindekirchenratsbeschlusses von irgendwann.
Auch der Teufel liebt Protokollbeschlüsse. Er lacht, wenn die Kirchentür abgeschlossen wird. Er lacht, wenn die Gremien die Öffnungszeiten beschränken. Er lacht, wenn der letzte Gläubige an der Tür rüttelt und abdreht. Weil zu ist. Der Teufel liebt keine Musik. Er liebt die Totenstille des Kirchenraums. Das letzte Brummen fasttoter Fliegen, die sich dort noch einige Minuten verzweifelter Agonie um sich selbst drehen, ehe sie verstummen. Und er liebt es, wenn niemand mehr „crying in the chapel” ist.
Es braucht nur wenig, um den Fliegengott zu entmachten. Offene Portale. Schließt auf, Leute. Oder den Schlüssel unter der Matte! Ein Zettel mit der Aufschrift: „Treten Sie ein.“ Irgendein Mensch, der sagt: „Wir lassen offen, auch wenn’s keiner kontrolliert.“ Gott braucht keine Hochglanzprospekte. Gott braucht Orte, an denen man sitzen kann, wenn man weinen will oder muss - und sonst kein Platz ist. Oder wenn man schweigen möchte, ohne tot zu sein wie die Fliegen auf dem Fußboden. Und das Lied summt, das von Elvis:
I've searched and I've searched
But I couldn't find
No way on earth
To gain peace of mind
Now I'm happy in the chapel
Where people are of one accord
Yes, we gather in the chapel
Just to sing and praise the Lord
Die Kirchen müssen offen sein. Immer. Sonst freut sich der Teufel. Wir kennen ihn. Er tarnt sich gern mit Gremienbeschlüssen …


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