CANCELLARIUM NON HABEMUS
HABEMUS CANCELLARIUM

- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
Berlin, 6. Mai 2025. Die Stimmen sind gezählt. Und sie reichten im ersten Wahlgang nicht!!! Ein Mann, wecher Fels in der Brandung sein wollte, ist gefallen. Der Kanzler in spe hat – nicht durch einen Skandal und nicht durch einen Putsch von außen, sondern durch subtile Sabotage aus eigenen Reihen - das Ziel nicht sofort erreicht. Von 328 möglichen Stimmen bekam er gerade einmal 310 – sechs zu wenig, um Kanzler zu werden. Die Koalition aus CDU/CSU und SPD: rechnerisch zwar stabil, aber faktisch von Anfang an irgendwie zersetzt. Ein Vorgang, der parlamentarisch nüchtern wirkt, entpuppt sich hier bei genauerem Hinsehen auch als geistliches Politdrama – fast schon biblisch, oder besser: konklavisch.
Denn der Bundestag ist so etwas Ähnliches wie die säkularisierte Sixtinische Kapelle. In “Konklave”, dem gleichnamigen Film nach Robert Harris’ Roman, versammeln sich die Kardinäle unter Ausschluss der Welt, um das neue Haupt der Kirche zu bestimmen. Intrigen, Machtspiele, Sympathien und Überraschungen flackern unter dem Räucherwerk des Gebets hie und da hervor … Trotzdem hoffen die Zuschauer auf einen würdigen Papst – und rechnen alle wenigstens mit einem taktisch gewählten Kompromissmann.
Heute in Berlin? Genau dasselbe - aber als Gegenteil. Nicht die große Überraschung ist geschehen, sondern erst einmal das große Nichts. Kein weißer Rauch. Kein Konsens im ersten Wahlgang. Kein Verheißungszeichen. Stattdessen schlechte Luft aus dem Schornstein der Demokratie. Die Wahl war wohl nicht gesegnet - und stand zumindest am Vormittag unter schlechtem Stern. Man könnte sagen: Der Heilige Geist, so es ihn in der deutschen Politik noch geben sollte, hat sich nicht vereinnahmen lassen, sondern konsequent verweigert. Dem nun beschädigten Kandidaten - müsste er sich, wie bei Päpsten seit Jahrhunderten üblich, einen Namen geben, würde ich Novocatus I. vorschlagen - der Unberufene. Aber habet nur Geduld, liebe Schwestern und Brüder. Alles wird gut ...
Was im Film Konklave als theologische Spannung erzählt wird – die Frage nämlich: Wer ist der Erwählte? – wurde in Berlin fast zum Totalausfall. Der Kandidat ist nicht etwa gestürzt, weil er zu radikal war. Auch nicht, weil er zu weich war. Sondern weil er für ausreichend viele Wähler gar nichts war. Zu leicht befunden. Menetekel Uparsin. Kein Projekt, kein Programm, kein Ruf. Man war – um im Bild zu bleiben – nicht „habemus“, sondern „non vocatus“. Nicht berufen. Nicht getragen. Nicht geliebt. Nicht gefürchtet. Wahrscheinlich nicht einmal genug gehasst.
So hat die politische Priesterschaft des Bundestags das getan, was einst die Kardinäle in der Sixtina taten, wenn kein Kandidat passte. Sie verharrten in Schweigen. Nur dass hier diesmal das Schweigen zugleich Entziehung gewesen ist – der Entzug der Stimme, der Entzug des Gehorsams, der Entzug des Glaubens an einen Mann, der gern wie einer der alten (in der Rückschau zumindest) verlässlichen konservativen Politiker Wirkung entfalten wollte. Aber es klang dann nur so. Wie die falsch gesungene letzte Strophe eines gregorianischen Hymnus’.
Zeichen der Zeit? Vielleicht war das heutige Ergebnis mehr als eine verlorene Abstimmung. Vielleicht war es Zeichen des beginnenden Endes. Nicht das Ende der Demokratie – wohl aber Ende des Automatismus', mit dem Parteien einst ihre Kandidaten durchwinkten. Der Bundestag hat heute gewählt. Aber er hat mit dieser Art seiner Wahl ein Votum gesprochen, das tief blicken lässt. Wir schauten zwar nicht bis tief hinab in die Hölle - aber wurden dessen ansichtig, was man "Erschöpfung der Mitte" nennen könnte.
Wer weiß: Vielleicht werden spätere Historiker sagen, der 6. Mai 2025 sei jener Tag gewesen, an welchem Deutschland das Konklave neu erfand – nicht als Ort der Hoffnung, sondern als Ort eines verheißungsvollen Vakuums, in dem das Chaos seine Selbstemergenz feiert. Müsste nicht von diesem Leerraum aus ein Sog für etwas Neues entstehen, das als Neues zugleich das Ururalte ist? Die Republik wartet sehnsüchtig seit Jahren auf wirklich weißen Rauch.
Nun - wir wollen auf den Boden der Tatsachen zurück kommen. Im Vatikan kam der weiße Rauch manchmal erst nach Jahren zum Vorschein. Aber die Abgeordneten des Deutschen Bundestages wollten nicht so lange warten und legten sich also gleich nach dem Fiasko geschmeidig in ihre zweite Wahlkurve. Und so konnte man zu den bisherig erzielten 310 Stimmen weitere fünfzehn hinzurechnen. Weiß quoll es da aus dem Schornstein! Oder ist es eigentlich grauer bzw. gräulicher Rauch? Jedenfalls - wie dieser Qualm duftet (oder riecht) darüber schweigt des Sängers Höflichkeit.
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