heute am 5. Juni
Bonifatiustag

der große Austausch
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Heute am 5. Juni erinnert die Kirche an den Glaubensboten Bonifatius. Geboren um 673 in Crediton, gestorben am 5. Juni 754 bei Dokkum in Friesland von der Hand bekehrungsresistenter Friesen, ist ein angelsächsischer Mönch. Er war einer der bekanntesten christlichen Missionare und der wichtigste Kirchenreformer im Frankenreich. Er war Missionserzbischof, päpstlicher Legat für Germanien, Bischof von Mainz, zuletzt Bischof von Utrecht sowie Gründer bzw. Auftraggeber mehrerer Klöster, darunter Fulda. Aufgrund seiner weitreichenden, mit fränkischer Unterstützung betriebenen Missionstätigkeit im damals noch überwiegend nicht-christlichen Germanien wird er seit dem 16. Jahrhundert von der katholischen Kirche als „Apostel der Deutschen“ verehrt. Er hat die Donareiche fällen lassen, was im obigen Bilde reichlich bestaunt werden kann. Wir fragen uns:

Wieso setzte sich das Christentum vom 7. bis 10. Jahrhundert nördlich der Alpen langsam aber sicher durch? Trotz oder gerade wegen seines damalig stark ausgeprägten dendrophobischen Charakters? Was waren die Gründe dafür, dass man die landestypisch autochtonen Kulte aufgab und das Christentum annahm bzw. sich ihm unterwarf? Was hatte es für Vorteile, auf einmal Christ zu sein und die ganze komplizierte Lehre des Christentums sich als Blaupause für Lösungen und Problembeschreibungen des Lebens anzueignen?

Hier ist die Antwort. Als kleines Brevier für den Bonifatius-Tag. Die Christianisierung nördlich der Alpen im 8. bis 10. Jahrhundert ist weder eine reine Erfolgsgeschichte religiöser Überzeugung noch eine lineare Bekehrung durch gewalttätige Missionare. Sie ist das Resultat eines hochkomplexen Zusammenspiels von Machtpolitik, kultureller Assimilation, ökonomischen Interessen, symbolischer Ordnung und auch spiritueller Umdeutung. Die Gründe, warum sich das Christentum letztlich durchsetzte und autochthone Kulte – germanischer, keltischer oder slawischer Prägung – aufgegeben wurden und verschwinden mussten, sind vielfältig. Eine kritische Analyse hebt im Folgenden die wichtigsten Faktoren hervor:

1. Politischer Druck und Integration ins Reichssystem
Das Christentum war Herrschaftsreligion geworden – spätestens mit der Taufe des Frankenkönigs Chlodwig um 500 und dann systematisch unter Karl dem Großen (ab 768). Wer christlich war, gehörte zum karolingischen Machtsystem. Die Taufe war nicht nur ein Sakrament, sondern ein politischer Loyalitätsakt. Für lokale Eliten bedeutete sie: Zugang zu Ämtern, Schutz durch das Reich, Eingliederung in die schriftlich-bürokratisch verwaltete Ordnung. Der Christ ist im Frühmittelalter weniger ein „Gläubiger“ als ein „Registrierter“.

2. Zentralisierung und Normierung von Weltdeutungen
Heidnische Kulte waren lokal, kompliziert bzw. vielfältig und nur mündlich überliefert. Ihre Götter wohnten an Quellen, in Wäldern und auf Bergen. Das Christentum dagegen bot eine translokale Ordnung, mit verbindlicher Schrift, kodifiziertem Dogma und normierten Ritualen. In einer zunehmend sich verbindenden, aber nichts destotrotz gefährlich bleibenden Welt versprach es als neue Religion mehr Verlässlichkeit – wie eine überregionale Sprache, die der Macht Struktur geben konnte. Die aufkommenden Bibeln und Evangeliare waren nicht nur Schrift, sondern so etwas wie Softwarepakete für Ordnung.

3. Zwang, Mission und Gewalt
Die Christianisierung verlief freilich selten friedlich. Zwangstaufen, Verfolgung heidnischer Praktiken, Zerstörung von Kultplätzen, insbesondere unter Karl dem Großen (etwa im Sachsenkrieg), waren gängige Methoden. Mission bedeutete: Unterwerfung – unter das Kreuz, aber auch unter die politische Herrschaft. „Taufe oder Tod“ war keine Metapher, sondern eine klare Ansage.

4. Spirituelle Attraktivität und existentielle Fragen
Trotz allem: Das Christentum war nicht nur Machtinstrument. Es bot Antworten auf existentielle Fragen: Schuld, Tod, Jenseits, Leiden – die germanischen Vorläuferreligionen kannten kein wirkliches Jenseits vergebender Gnade. Das Christentum aber prolongierte ewiges Leben, Trost, Sinn in Leid und sogar eine ethische Umwertung der Schwäche. Denn der Gott der Christen als Christus war auch schwach – aber genau darin lag seine Stärke.

5. Soziale Vorteile und Bildung
Die entstehenden Klöster boten Bildung, Organisation, medizinisches Wissen. Christsein bedeutete oft Zugang zu sozialer Infrastruktur: Armenpflege, Rechtsschutz, Schulen. Vor allem aber: Die Kirche verwaltete Zeit, Land und Schuld – und wurde dadurch unverzichtbarer Player der sich abwechselnden Herrschaften. Und der Mönch war nicht nur Betender, sondern Verwalter, Schreiber und Archivar.

Das Christentum setzte sich also deswegen durch, weil es mehr als Religion gewesen ist. Es war ein zivilisatorisches Projekt, ein Machtinstrument, ein Deutungsrahmen. Es verschlang die alten Kulte in sich, verdaute sie sozusagen und transformierte sie, erklärte sie für dämonisch und gleichzeitig als Vorformen der Wahrheit. Wer sich taufen ließ, erhielt damit nicht nur einen neuen Glauben – sondern ein funktionierendes Koordinatensystem für Welt, Schuld, Herrschaft und Heil. Oder, wie es der slawische Fürst
Boleslav II. im 10.Jahrhundert ausdrückte: „Ich brauchte einen Gott, der Ordnung bringt. Nicht nur für meine Taten und Toten, sondern auch für meine Steuerbeamten.“

Ein zentraler, oft unterschätzter Grund für das Überleben und sogar die Ausweitung des Christentums während und nach der Völkerwanderung (4.–6. Jh.) liegt in seiner Metamorphosefähigkeit – seiner Fähigkeit, Formen zu wechseln, ohne seinen inneren Kern preiszugeben. Dabei hatten ihm weitere entscheidende Eigenschaften geholfen:

6. Die Kirche als Struktur in der Strukturauflösung
Als das weströmische Reich verfiel, brach die politische Zentralmacht zusammen, aber nicht die kirchliche Organisation. Die Bischöfe übernahmen vielerorts administrative Funktionen – als Richter, Vermittler, Notare, sogar militärische Anführer. In einer Zeit der Unsicherheit wurde das Christentum Träger institutioneller Kontinuität. Die Kirche wurde zur „Matrix der Ordnung“ in einer fragmentierten Welt. In einer Welt der wandernden Völker wurde der Altar zum festen Stein, auf dem sich sakramental handeln und von dem aus institutionell aufbauen ließ.

7. Christentum als Sprache der Legitimität
Wandernde Stämme – etwa Goten, Vandalen, Franken – standen vor der Herausforderung, ihre neue Macht irgendwie zu legitimieren. Das Christentum bot ihnen mit dem Latein und dem Bibelbuch eine Sprache, mit der man Herrschaft sakral fundieren konnte. Die Taufe war keine bloße religiöse Geste, sondern eine Art diplomatischer Akt, ein Eintritt in die symbolische Ordnung Europas. Und die Annahme des Christentums bedeutete: Wir sind mit dabei - nicht mehr Barbaren – wir sind regnum Dei. Ähnliches lässt sich dieser Tage beim Eintrittsbegehren randeuropäischer Völker im Blick auf eine Zugehörigkeit zur Europäischen Union beobachten. Man will nicht mehr zu den Barbaren gehören …

8. Vom Römertum gelöst, aber durch es geprägt
Das Christentum hatte sich vom Imperium Romanum insofern emanzipiert, als es dessen heidnische Prägung nicht übernahm - aber diese Emanzipation geschah, ohne die kulturellen Errungenschaften zu verwerfen. Das lateinische Christentum war römisch geprägt, aber nicht römisch gebunden. So konnte es sich nach dem Fall Roms transformieren, vom Glauben einer imperialen Zentralmacht zum Glauben der Zerstreuten, Fliehenden und noch Suchenden. Die Kirche war das letzte römische Amt, das überlebte – und sie überlebte als eine Art neuer Arche Noah.

9. Sinntransport durch Heilige und Geschichten
Die Völkerwanderung war nicht nur eine Bewegung von Menschen gewesen, sondern eine Großverschiebung von Mythen und Erinnerungen. Und das Christentum hat das riesige narrative Kapital der Heiligenlegenden, Märtyrerberichte, Apokalypsen, Evangelien für sich nutzbar machen können. In transportablen Geschichten, die in jeder neuen Landschaft Sinn erzeugen konnten, ohne an lokale Geographie gebunden zu sein. Der heilige Martin passte in Gallien ebenso wie in Pannonien. Der Glaube wanderte mit – in Geschichten, nicht in Palästen.

Inmitten von Flucht, Umbruch, Plünderung und Gewalt war das Christentum also kein starres Gebilde, sondern eine bewegliche Sinnstruktur. Es konnte ebenso gut mit Wandermönchen wie mit Hofkaplänen arbeiten. Es besaß die Fähigkeit, die Fragen einer entwurzelten Welt nicht nur zu beantworten, sondern sie überhaupt artikulieren zu lehren.
Und so wurde das Kreuz, das einst an dem festen Orte Golgatha aufgestellt worden war, zu einem tragbaren Zeichen – ein semantischer Wanderstab, der Orientierung bot, wo Grenzen, Clans, Stämme und Sicherheiten fallen mussten, weil es die Zeit so wollte.

Vielleicht besteht der eigentliche Triumph des Christentums nicht darin, dass es sich durchsetzte – sondern dass es mitging. Dass es nicht stehenblieb, wo Macht residierte, sondern mitwanderte, wo Sinn gebraucht wurde. Es war kein Symbol der Herrschenden, sondern ein Stab der Suchenden. Und vielleicht, wenn man genau hinhört, hört man diesen Stab noch heute über das steinige Feld klingen, auf dem einer geht, der nicht mehr weiß, wohin – aber immer noch weiß, wofür.

der große Austausch
Christophilie und Dendrophobie
Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer

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