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Der Club der "Besseren"?

Foto: epd-bild/Jens Schulze

„Du arbeitest in der Kirche? Oh, dann muss ich mich aber jetzt zusammen reißen.“ sagte mir kürzlich jemand. Und ich dachte nur: Wie jetzt? Kirche ist doch keine Benimm-Anstalt, auch kein Club der Guten.

Von Kristin Jahn 

Klar: Es wäre schön, wenn ich stets ein richtiges Leben führen könnte. Aber ich ahne, ich bleibe jeden Tag hinter Gottes Erwartungen zurück, auch hinter den Erwartungen, die ich selbst an mich habe und die andere an mich haben.

Heute erscheint Kirche ab und zu wie ein Club der „Besseren“, mit all den moralischen Verlautbarungen und Positionierungen. Mich irritiert das.

Es ist fatal, wenn ich in Kirche anfange zu sagen: Es gäbe ein richtiges Leben. Es gäbe die eine moralisch richtige Tat. Und jeder, der da nicht mitmacht oder nicht auf dieser Seite steht, - ja was? Was wird mit dem? Gehört der dann nicht mehr dazu?

Simul iustus et peccator, hat Martin Luther gesagt. Das schuldig werden und schuldig sein gehört zur menschlichen Existenz dazu. Ich werde niemals im Leben alles richtig gemacht haben. Aber lernen aus meinen Fehlern, das kann ich.

Martin Luther hätte an dieser Stelle wohl von Buße gesprochen. Ich wünsche mir eine Kirche, in der wir einander diesen Lernraum zugestehen. Eine Kirche, in der ich von meinen Verfehlungen freimütig sprechen kann und gerade deshalb auch neue Wege gehen kann. Eine Gemeinschaft, in der wir einander zuhören und einander versuchen zu verstehen. Beichte und Buße. Das sind alte Worte, aber ohne diese beiden Möglichkeiten auf das eigene Leben und Handeln zu schauen, geht es, glaube ich, nicht.

Martin Luther hat Kirche mal als ein Corpus Mixtum beschrieben. Ein Ort, an dem ich immer beides bin: Sünderin und gerechtfertigte Person. Das ist schwer auszuhalten. Auch, dass es nicht nur das eine, richtige Leben gibt. Es gibt eben auch verfehltes Leben. Aber Gott allein wird richten. Er ist einer, der auch im verfehlten Leben noch ein anderes sehen kann. Er ermutigt mich, andere Wege zu gehen. Er hält die Tore offen.

Wie schön wäre es, wenn wir dies auch tun, die Tore offen halten, so gut wir es mit unserem Herzen und Verstand gerade können?

Die Autorin ist Theologin und Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages. Der Beitrag erschien zuerst in den Sozialen Medien, auf Instagram und Facebook.

Autor:

Online-Redaktion

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