Statement von Pröpstin Spengler zum PID-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig
"Unverfügbarkeit und Endlichkeit des Lebens"

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Die Präimplantationsdiagnostik (PID) bei der Muskelkrankheit Myotone Dystrophie Typ 1 ist im Einzelfall zulässig. Das hat das Bundesverwaltungsgericht Leipzig heute entschieden. Ein Statement dazu von Dr. Friederike Spengler, Regionalbischöfin für die Propstei Gera-Weimar.

Wer darf einer Frau, einem Mann den Wunsch nach eigenen Kindern absprechen? Keiner. Wer darf einer Frau, einem Mann den Wunsch nach einem gesunden Kind absprechen? Keiner. Dass medizinisch aus diesen absolut nachvollziehbaren Wünschen ein großer Zweig von Forschung und Praxis entstanden ist (sogen. Reproduktionsmedizin), liegt auf der Hand. Kinderwunschzentren haben inzwischen lange Wartezeiten für ihre Rat- und Hilfesuchenden. Ungefähr 110.000 Behandlungen mit sehr unterschiedlichen Techniken künstlicher Befruchtung gibt es derzeit pro Jahr in Deutschland. Tendenz steigend. Ein Teil davon führt zu erfolgreichen Schwangerschaften, und so werden auf diese Weise tausende Kinder geboren, und Frauen und Männer werden zu Müttern und Vätern. Soweit, so gut.

Eine der Methoden der künstlichen Befruchtung - und wohl auch eine der aussichtsreichsten - ist die „In-Vitro-Fertilisation“, bei der die Verschmelzung von Ei und Samenzelle im Reagenzglas „spontan“ geschieht – das schnellste Spermium gewinnt. Seit vielen Jahren wird nun bei dieser Methode eine Untersuchung angewendet, deren Ausgestaltung immer wieder die Gerichte beschäftigt. Mit der „Präimplantationsdiagnostik – PID“ besteht die Möglichkeit, die Embryonen vor der Einpflanzung in den Mutterleib, zu untersuchen. Für diese Untersuchung sind sehr klare und in Deutschland enge Grenzen definiert. Und, das ergibt sich wohl sofort daraus: Genau gegen diese wird immer wieder gestritten.

Was darf untersucht werden und mit welchen Folgen?

Damit es hier nicht zu einer zielgerichteten Auswahl im Sinne einer Selektion kommt, muss diese Untersuchung in Deutschland bei einer Ethikkommission beantragt werden. Diese entscheidet, ob der gestellte Antrag eine Schwere aufweist, die die PID rechtfertigt. Wie aber kann „Schwere“ entschieden werden? Die Ethikkommission kommt mit ihrer Abwägung von Pro- und Contra ihrem Auftrage nach bestem Wissen und Gewissen nach. Natürlich muss sie zu einer Entscheidung kommen. So schwer diese auch für die Antragstellenden ist.

Belastung durch Krankheit, Schwere eines Verlaufes und Umgang mit einem solchen, das alles sind aber Faktoren, die sehr subjektiv wahrgenommen werden. Hier klare Regelungen zu schaffen, ist ein Balanceakt. Auch das heutige Urteil zeigt: Nur Einzelfallentscheidungen sind denkbar. Die Gefahr, bei einer allgemeingültigen Regelung den unübersehbaren Möglichkeiten einer solchen Vorauswahl von Embryonen Tor und Tür zu öffnen (Stichwort „Designerbaby“) ist viel zu groß. Und irgendwann wird das, was jetzt schon technisch möglich ist, doch auch getan. Ob sich dann die verantworten müssen, die Kinder auf die Welt bringen, deren Erbanlagen undurchleuchtet sich einfach so im Leben erst zeigen werden? Dieses Szenario möchte ich nicht denken müssen…

Aber, wer kann denn einer Frau, einem Mann den Wunsch nach einem gesunden Kind absprechen?... Die Frage endet in einem Zirkelschluss. Und weder als Theologin, noch als Mutter kann und will ich Menschen den Wunsch nach Kindern, die ohne die schwere Erkrankung zur Welt kommen, an denen schon Mutter oder Vater leiden, absprechen. Aber als Theologin will ich Fragen stellen, Fragen, die m. E. hinter den Themen und Anträgen, Klagen und Begehrlichkeiten, mit denen wir seit einigen Jahren unterwegs sind, stecken: Der Anfang des Lebens soll so erfolgreich wie möglich definiert werden. Das Sterben soll an die Bedürfnisse des Einzelnen angepasst terminiert und umfassend gesteuert werden. Die Entwicklung von künstlicher Intelligenz eilt mit Riesenschritten voran und wird das, was heute noch als „normales“ Leben gilt, in den Schatten stellen.

Ja, ich lebe sehr gern mit den Segnungen moderner Medizin durch deren Forschung und Technik. Gott Lob sind wir heute in der Lage, dem Leben eine Lebensqualität zu geben, die sich sehen lassen kann. Aber unser Tun hat Folgen.

Im Fall einer Lockerung im Umgang mit der PID ist es die Macht über die Anfänge des Lebens. Im Falle der Beihilfe zum Suizid ist es die Verfügungsgewalt über den eigenen Todeszeitpunkt und dessen Umstände. Viele der individuellen, persönlich-vorgebrachten Fragen brauchen individuelle, persönliche Antworten. Alle flächendeckenden Regelungen halte ich für fatal, weil entgrenzend. Dazu ist Begleitung nötig. Zeit und Fürsorge.

Kirche bietet Begleitung durch individuelle Seelsorge und in Beratungsstellen der Diakonie an, hospizliche Angebote stehen offen. Hier werden Menschen mit ihren Erfahrungen und Wünschen gehört, Fragen formuliert und nach Antworten gesucht. Hier wird begleitet. Menschlich. Nah. Und mit einem gemeinsamen Blick auf das, was über das Fassbare hinausgeht. Sicher, das ist kein Rezept gegen Krankheiten, mit denen Kinder auf die Welt kommen oder Menschen in ihrem Leben konfrontiert werden. Und auch keine Pille für den schnellen Tod. Aber es weist auf die Unverfügbarkeit und Endlichkeit des Lebens hin. Auf die Zerbrechlichkeit des Glücks. Auf den Geschenkcharakter von dem, wie wir uns vorfinden. Und auf den Schatz, der darin steckt, nicht alles in der Hand haben zu müssen.

Hintergrund

Präimplantationsdiagnostik (PID) bezeichnet die
genetische Untersuchung eines Embryos vor seiner Einpflanzung in die
Gebärmutter. Das Verfahren ist also nur bei Embryonen möglich, die
durch künstliche Befruchtung (In-vitro-Fertilisation) entstanden
sind. Bei dem Verfahren wird dem Embryo mindestens eine Zelle
entnommen und auf Genmutationen oder Chromosomen-Anomalien
untersucht. Nach der Diagnostik wird höchstens ein gesunder Embryo in
den Mutterleib eingepflanzt.

Die PID ist in Deutschland nur in Ausnahmefällen erlaubt. Nach
einem im Juli 2011 vom Bundestag verabschiedeten Gesetz darf das
Verfahren angewandt werden, wenn für die Nachkommen eines Paares «das
hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit» besteht oder eine
genetische Schädigung oder eine Abweichung in den Chromosomen dazu
führen würde, dass die Schwangerschaft mit einer Fehl- oder Totgeburt
endet.

Was genau untersucht wird, hängt von dem betreffenden Elternpaar
ab. Es wird kein kompletter Test auf alle genetisch bedingten
Erbkrankheiten gemacht. Einen Katalog von Krankheiten, bei denen eine
PID zu bewilligen ist, hat der Gesetzgeber nicht aufgestellt. Die
Untersuchung ist verboten, wenn etwa nur das Geschlecht des Kindes
bestimmt werden soll.

Über die Anträge auf Durchführung einer PID sollen
Ethik-Kommissionen an PID-Zentren in jedem Einzelfall entscheiden.
Laut PID-Verordnung müssen ihnen jeweils vier Ärzte, ein Jurist, ein
Ethik-Experte sowie je ein Vertreter von Patienten- und
Behinderteninteressen angehören.

Das Paul-Ehrlich-Institut dokumentiert alle Anträge und Fälle, die
Bundesregierung soll alle vier Jahre einen Erfahrungsbericht
vorlegen. Laut ihrem letzten Bericht vom Januar gab es vor gut einem
Jahr bundesweit fünf solcher Kommissionen. Im Jahr 2018 stimmten die
Kommissionen insgesamt 319 Anträgen auf PID zu. Paare, deren Antrag
von einer Ethik-Kommission abgelehnt worden ist, können es bei einer
anderen wieder versuchen. Allerdings müssen sie den ersten Antrag
dabei offenlegen.

Autor:

Solveig Grahl

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