PASSIONSGECHICHTEN (19)
VON DEM GRABMAL

"das Großgerümpel des Todes" (Thomas Mann)

Das Grab ist tief und stille,
Und schauderhaft sein Rand,
Es deckt mit schwarzer Hülle
Ein unbekanntes Land.

Das Lied der Nachtigallen
Tönt nicht in seinem Schooß.
Der Freundschaft Rosen fallen
Nur auf des Hügels Moos.

Verlassne Bräute ringen
Umsonst die Händ’ sichwund;
Der Waisen Klagen dringen
Nicht in der Tiefe Grund.

Doch sonst an keinem Orte
Wohnt die ersehnte Ruh;
Nur durch die dunkle Pforte
Geht man der Heimat zu.

Das arme Herz, hienieden
Von manchem Sturm bewegt,
Erlangt den wahren Frieden
Nur wenn es nicht mehr schlägt.

Johann Gaudenz Freiherr von Salis-Seewis schrieb diese düsteren Verse, Franz Schubert setzte sie in Musik - und Dietrich Fischer Dieskaus unnachahmlicher Stimme kann man auf YouTube lauschen. Man gewinnt bei diesem Lied einen zusätzlichen Eindruck im Blick auf die ohnehin den meisten von uns bereits bekannte ontologisch halbseidene Welt der Friedhöfe, Mausoleen, Columbarien, Trauerkammern, Abschiedsräume und Begräbnisstätten. Ja, - hier weht ein anderer Wind. Hier ist's sonderbar. Hier kommst du ans Ende mit allem Latein. Auch Jesus wurde schließlich in ein Grab gelegt:

„Und Joseph nahm den Leib und wickelte ihn in ein rein Leinwand und legte ihn in sein eigen neu Grab, welches er hatte lassen in einen Fels hauen, und wälzete einen großen Stein vor die Tür des Grabes und ging davon. Es war aber allda Maria Magdalena und die andere Maria, die satzten sich gegen das Grab.” (Mt 27,59)

Es ist gut, einen Platz für das eigene Grab im Blick zu haben. Irgendeine schöne Imagination.  Kein Grab in der Reihe und keins an einem Maschendrahtzaun neben der LPG-Altlast aus Zement. Joseph von Arimathia beispielsweise hatte ein richtig gutes Grabmal. Und dahinein legte man den gestorbenen Jesu. Wenn man schon selber nicht so einfach auferstehen kann, Jesus kann es. Dadurch macht er unsere Grabmäler schon einmal zu fiktiven Auferstehungsorten, zu Kokons und Landeplätzen für die Metamorphose von Astralleibern, die man zwar mit der Hand nicht antasten, aber geistlich doch berühren darf. Man muss den Auferstandenen Als Leib nur in dieses geistig geschaute Grabmal betten ... Die Passionsmusiken Bachs, von Schütz und in den Liedern Schuberts gelingt das öfter, als man sich traut zuzugeben. Wer kennt nicht den glücklichen Moment, wenn man aus finsterem Nachttraum auffährt und erleichtert feststellt, es ist nur ein Traumbild, das uns schreckte. So etwa ist es auch mit den Grabmälern Jesu aus den Evangelien. Sie sind, wenn wir sie mit gemischten Gefühlen betreten - immer leer. Und als leere Räume werden sie zu heiligenden Kapellen für tröstliche Lehre …

Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer
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