Vom Weizenkorn (Johannes 12,20-24)
Die Kornfalle

Man muss nicht physisch tot sein, um als gestorben zu gelten. Es reicht am Morgen schon ein kurzer Blick in den Spiegel. Oder das Geräusch eines fernen Anrufbeantworters. Es gibt viele Arten von Tod und Sterben - eine ist, diese Sache bewusst zu leben. Darum geht es.

Also waren da einige Griechen nach Jerusalem auf das Fest der Juden gekommen - aus welchem Fest später unser Ostern entsprossen ist. Antike Heiden waren es - also geschulte Philosophen. Bildungsbürger. Diese Leute hatten schon Manches gehört vom Jesus. Vom Wundertäter, der Freude daran hatte, die Grenzen zu relativieren zwischen den Religionen der einzelnen Menschen. Von dem Mann, der Tote aus dem Grab ruft und Blinden die Augen öffnet. Nun wollen sie das alles selber sehen, wovon sie gehört hatten: „Herr, wir wollen Jesus sehen.“

Ja - wir wollen mit denen ebenfalls sehen. Sie wollten verstehen? Wir wollen auch - ähnlich wie sie - eine Erscheinung, ein Zeichen, eine Evidenz mit nach Hause nehmen.

Was die Griechen nun als Antwort bekamen, war dieser eine Satz aus der Welt einerseits des Bauern und andererseits der Naturphilosophie:

„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein.“

Das ist in seiner unschuldigen Wahrheit an dieser einen Stelle auch ein recht brutaler Satz. Nicht, weil er den Tod fordert. Sondern weil er ihn eingeordnet hat in das Ganze eines großen Prozesses, der Wachsens und Vergehen seiner einzelnen Teile umfasst.

Denn das Korn – das bin ich. Und das bist du. Das sind wir alle, die zumeist immer noch hoffen, dass wir uns retten können, ohne dabei (vorher oder nachher) zu zerfallen.

Wer hätte sich nicht vehement geweigert, zu sterben. Je älter man wird, um so mehr wird uns klar - dass das Sterben in den nächsten Jahrzehnten nun doch noch unausweichlich naht. Mag sein, dass es doch einmal überlebt sein wird, so wie man heute auch keine Pocken mehr bekommt oder Lepra oder die Pest. Kann sein, dass der sogenannte reale Tod des Körpers überwunden sein wird. Das sei nur ein technisches Problem, sagen die Transhumanisten.
Und - was wird das dann für ein sauberes Leben sein. Ein von irgendwoher geliehenes ewiges Leben in der Zeit ohne Ewigkeit. Ein Korn, das im Regal liegen bleibt.

Aber - Jesus spricht in dieser kleinen Begebenheit am Rande des Passafestes vom Sterben – nicht so sehr vom Tode. Er spricht von einem zugelassenen Zerfall, vom Zulassen der Hingabe und des Hingenommenwerdens. Nicht von Gewalt, die einem geschieht, redet er - sondern von einer Art Selbsteinsatz, die auf dem Spielfeld des Lebens gewagt wird.

Die Erde, in die das Korn fällt, ist nicht der Feind. Das sagt er zwar nicht mit diesen Worten, aber wir können es schlussfolgern. Die Erde ist die Dunkelkammer der Verwandlung. Sie ist das Schweigen Gottes, aus dem das Neue ruhig hervor wachsen kann.

Und nur wer fällt - nur wer f ä l l t ! - bringt Frucht. So spricht Jesus, als die Philosophen ihn sehen wollen. Damit meint er: Es hat keinen Sinn, nur das Korn sehen zu wollen. Ihr müsst das Ganze schauen. Die Erde, das Korn, den Keim, die Wurzel, den Halm, die Ähre, den Schnitter, die Tenne, den Dreschflegel, die Mühle, das Mehl, das Brot, den gesättigten Knaben, das Mahl, das Fest, den Himmel und wieder die neue Erde - diese 17 Dinge ergeben das ganze Bild der Gestalt.

Jesus weiß, wie wir gern unsere Biografien laminieren würden. Wie wir in Versuchung stehen, diesen einen Teil der Realität mit der ganzen Wirklichkeit zu verwechseln und diesen kleinen Teil, der unserer Vernunft angeblich verstehbar ist, konservieren möchten. Dass wir unser Elend retuschieren wollen - bzw. es zumindest immer wieder versuchen.

Dadurch bleiben wir auf eine unvorteilshafte Weise allein unter Leuten, die uns daran hindern unsere Bestimmung zu finden. „Wer sein Leben liebt, wird es verlieren.“

Jesus attackiert mit seinen Reden nicht das Leben – sondern die Selbstversessenheit auf das Leben. Dieses Haltenmüssen, dieses Anklammern, dieses Wollen, das sich selber nicht loslassen kann.

„Wer sein Leben hasst…“ - sagt er. Und scheint damit zu übertreiben. Aber es ist kein Aufruf zur Depression. Das ist eher eine Einweihung. Eine Entgiftung vom Ego. Ein radikaler Exodus aus der Ich-Versessenheit.
Dort, wo nicht mehr nur das Ich ist - dort begänne das Leben. Meint er es so, wie Buddha es nicht anders formuliert hätte und seine Jünger heute tun? Wie soll man es anders formulieren? Das Bild vom Weizenkorn ist sehr gelungen. Wem fällt ein besseres ein?

Und Jesus sagt: „Wo ich bin, da soll mein Diener auch sein.“ DA wird es jetzt ernst. Er ist in seiner Erdenzeit nicht immer im Zentrum gewesen. Er war oft nicht im Glanz. Ob er mit den Apps von heute, mit all den Likes und Visionen für geistliches Wachstum hätte etwas anfangen können?

Er ist im Fall. Im Riss. Im Korn, das bricht. In der Erde, die nicht kompliziert fragt. Es gibt für ihn keine geplante Freude – sondern nur diese eine Freude, die auch durch die Tiefe hindurchzugehen sich bereit hält. Einverständnis mit diesen drei Dingen:

Was ich schaffe, könnte mich verändern.
Was ich liebe, könnte mich zerstören.
Was ich lehre, könnte mich entmachten.

Zum Schluss noch was: Keiner weiß, was die Griechen damals dachten, als Jesus von dem Weizenkorn mehr murmelte, als lauthals verkündigte …

Vielleicht drehten sie sich enttäuscht um. Vielleicht lächelten sie diplomatisch. Vielleicht gingen sie einfach nach Hause. Vielleicht dachten sie noch ein paarmal darüber nach.

Wir aber registrieren, dass Jesus sie nicht überreden wollte. Er war kein Verkäufer. Kein Influencer. Er gab ihnen jedoch dieses starke Bildwort, das bis heute zur Verfügung steht.

Er sagte: Ihr wollt mich sehen? Nun - ich bin das Korn. Und ich werde fallen. Für mich und für uns alle. Für die, die nicht nur sehen, sondern auch erkennen wollen – und bereit sind, irgendwie für etwas sehr Großes und Schönes viel zu riskieren - sogar den eigenen Untergang.

Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

20 folgen diesem Profil

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Video einbetten

Es können nur einzelne Videos der jeweiligen Plattformen eingebunden werden, nicht jedoch Playlists, Streams oder Übersichtsseiten.

Abbrechen

Karte einbetten

Abbrechen

Social-Media Link einfügen

Es können nur einzelne Beiträge der jeweiligen Plattformen eingebunden werden, nicht jedoch Übersichtsseiten.

Abbrechen

Code einbetten

Funktionalität des eingebetteten Codes ohne Gewähr. Bitte Einbettungen für Video, Social, Link und Maps mit dem vom System vorgesehenen Einbettungsfuntkionen vornehmen.
Abbrechen

Beitrag oder Bildergalerie einbetten

Abbrechen

Schnappschuss einbetten

Abbrechen

Veranstaltung oder Bildergalerie einbetten

Abbrechen

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.