der Gottesbeweis
Neues und Altes von Leberecht Gottlieb (14)

Medizin, Theologie, Philosophie und Jurisprudentia

Er sollt sich nämlich erinnern. Und das kann schwer sein. Sehr schwer sogar … Aber wir sehen nun zu, was Erinnerung ist. Sie ist das Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann.

Mit bebendem Finger wies der Student Leberecht Gottlieb nach dem Vorlesungsplan für das beginnende Semester. Da stand es schwarz auf weiß: „Die Gottesbeweise: Idee und Geschichte eines ungehörigen Problems“. Freitags von 14.00 bis 15.30 Uhr Hörsaal A5. Prof. Dr. Dr. Moritz Schleiffringk.

Ja, – jetzt war Leberecht Gottlieb am Ziel seiner Wünsche angekommen, er war ein wirklicher und richtiger Student geworden. Hier in der ehrwürdigen Stadt Halle an der Saale. Heute war Freitag und es ging knapp auf 13.45 Uhr. Hier stand er und dort war der Eingang zum Hörsaal A5 – nur noch einige Treppenstufen trennten den Studenten von der Stätte hochwillkommener Lehre und ewigen Wissens.
Leberecht Gottlieb, der frisch gebackene Theologiestudent begann gemessen, die gewaltige Treppe zur oberen Etage des Hörsaalgebäudes empor zu schreiten. Nein, – es war noch nicht zu spät. Er hatte genügend von jenem kostbaren Rätsel zur Verfügung, von den Menschen Zeit genannt, für die Götter dagegen - da kannte Leberecht sich aus - nur eine lächerliche Spielerei, welche man hin und her wenden durfte, wie eine billige Sanduhr, besser noch: wie den losen Sand am Strand, bevor derselbe in jene Fabriken geliefert wurde, die ihn dann durch ein Sieb gießen und in lauter kleine Sanduhren sperren würden, um bei den Leuten (Leberecht sprach gern von „Leuten“!) den Eindruck der sogenannten verrinnenden Zeit zu erzeugen.

Leberecht war nun oben auf der Galerie angelangt und schritt an den lebensgroßen Bildern aller dermaleinst hier tätig gewesenen Ordinarien vorbei. Da war der große Leibnitz, dann sein Gefährte Wolff. Ernst und doch freundlich - für diejenigen freilich nur, welche ihren Blicken standzuhalten vermochten - schauten sie aus den Rahmungen herab und aus den weißen Perücken heraus, welche mächtig über Schädel und Schultern wallten.
Es waren auch noch weitere Herren zu betrachten. Hegel und Schelling etwa und natürlich noch andere Denker, deren Namen sich kein Lebendiger mehr erinnerte! Auch Leberecht Gottlieb war ja vorerst noch gänzlich unbekannt. Aber dermaleinst – er würde sie alle, die da vor ihm gewesen sein wollten, zermalmen. Und sein Grab würde man finden, egal wo – und niederknien würden sie dort. Alle! Alle, die sich gemüht hatten um die Klarheit des Begriffs und die entsprechenden Erfahrungen, die sich zeigen würden, wo auch immer es der Fall wäre. Jawohl! ER würde ihn ersinnen - so wie Mose einst Gott erfand als den Seienden, würde er, Leberecht Gottlieb, den Beweis der notwendigen Essens dieses Seienden aus der Tatsache seiner Nichtexistenz allgemeinverständlich schlussfolgern. Und das wäre der ultimative Sieg über alle Globniche dieser Welt.

Leberecht drückte auf die schwere messingene Klinke der Hörsaaltür, und der dunkle Flügel im mächtigen ebenholzfarbenen Rahmen schob sich langsam auf. Leberecht betrat in größter innerer Erregung und voller Vorfreude auf die nun folgenden anderthalb Stunden den Hörsaal. Er sog den Schweiß der Massen in sich ein, der hier in Stühle und Bänke, Täfelungen und den geölten Fußboden jahrzehntelang vorher bereits eingedrungen war und nun Kunde gab von der unermüdlichen und nimmersatten Lust des menschlichen Geistes zu denken – und dabei den widerständigen Körper, an die Bank gefesselt im Sommer vor Hitze schwitzend und im Winter vor grimmiger Kälte zitternd, zum Ausharren zu zwingen. Warum? Um auf diese Weise dem Worte vom Katheder zu lauschen und dabei die eigenen Gedanken aufzuschreiben, damit dieselben in Ewigkeit nicht mehr vergessen werden würden und sich erhielten bis hin an den jüngsten Tag.

Der Hörsaal war leer. Wie lauteres Nichts. Niemand war da, nur Leberecht Gottlieb und die stumme Tafel vorn im Halbdämmer des Katheders. Während die Tür hinter ihm mit leisem Donner ins Schloss fiel und durch eins der halb geöffneten Fenster das leise Sausen des Straßenverkehrs empor drang, schritt der Student Leberecht Gottlieb ungläubig nach vorn und heftete seine hinter den vom Widerschein der Lichtreflexe frühnachmittäglicher Sonnenspiele irisierenden Brillengläsern blinzelnden Augen fassungslos auf das leere Katheder. Niemand war da, nur eben er und der Schweißgeruch der Denker vor ihm. Hatte er sich in der Zeit geirrt? Nein, – es war 13.55 Uhr. Der Tag – Freitag, der 8. September 1978.

Der Geprellte eilte aus dem Hörsaal, überwand in springender Eile die Treppen hinab ins Erdgeschoss. Dort angekommen suchte er am schwarzen Brett, mit der Zungenspitze im linken Mundwinkel, das hatte er als Angewohnheit von seinem Großvater ererbt, nach dem Zettel von vorhin. Gottesbeweise – das steht es doch. Heute, am Freitag, den 8.September um 14.00 Uhr. Professor Dr. Schleiffringk. War das Colleg vielleicht in ein anders Auditorium verlegt worden, hatte er einfach den Saal verwechselt, war es gar nicht A5 sondern A4 oder vielleicht B5. Eine ganz einfache Verwechslung, nicht wahr? … Leberecht Gottliebs T-Shirt bildete unter den Achseln feuchte Flecke aus, – gleichwohl rannte er wieder nach oben, betrat den Hörsaal A5 – nichts. Leer wie eine Kirche in der Epiphaniaszeit. Der Student merkte, wie seine Beine schwer wurden. Er ging nun draußen vor den Türen mit leicht zur Seite geneigtem Haupt an den anderen Hörsälen vorbei. Auf und ab. Indem er den eigenen heftig gehenden Atem zu unterdrücken suchte, lauschte er nach dozierenden Stimmen. Vielleicht, nein – sicher! hatte man einen größeren Saal erwählen müssen, der vielen Zuhörenden wegen – die Gottesbeweise sind ja ein enorm wichtiges und allgemein interessierendes Thema! Er fasste sich ein Herz und trat in einen der ersten und besten Säle ein. Leer – das Gleiche beim nächsten. Leer, leer, leer. Aber halt, – eine Möglichkeit gab es, die er bisher nicht bedacht hatte. Das Auditorium Maximum!
Ganz oben, noch eine Treppe höher erstreckte sich dieser riesige Raum in allerlei Wappenzierrat und mit bunten Symbolen prangend über die Gesamtfläche des letzten Geschosses direkt unter dem Dach. Hiernach galt es jetzo rasch zu streben, denn es war nun schon cum tempore – und ein Zuspätkommen würde sich sicherlich beschämend ausnehmen. Doch müssten nicht schon irgendwelche anderen Leute zu sehen sein! Nahm denn niemand außer ihm dieses wichtige Thema ernst? Die Beweisbarkeit Gottes aus der Anstrengung des Begriffes heraus – das Edelste, was Menschenhirne seit Jahrtausenden zu ergründen versucht hatten? Hier in Halle an der Saale, wo sie alle, alle gewesen waren, – Dr. Faustus und Nietzsche (Leberecht verwechselte an dieser Stelle die Städte Halle und Leipzig) … und wie sie heißen mochten.

Er riss die Türe zum Maximum auf und ein erschrockener Schrei entrang sich seiner Brust. Eine Putzfrau, welche er offenbar beim Umkleiden überrascht hatte, versuchte ihre enormen Blößen oben und unten zu bedecken. Sie hatte die Arbeitsbekleidung abgestreift und wollte sich die zivile Bluse und eine knappe Hose gerade eben über den Leoparden-Tanga pellen. Dieses gelang aber nicht, denn von der anstrengenden Reinigung des Maximums äußerst echauffiert und leicht ins Schwitzen geraten, ließ die körperbetont geschnittene Kleidung sich nicht so einfach und noch dazu schnell über die vollendet weiblichen Rundungen ziehen. Alles stoppte, Textil und Fleisch wollten sich nicht bequemen, einander geschwind anzunehmen. Und so stand sie also da, die Putzfrau. Und der Student Leberecht Gottlieb überraschte sie im Moment ihrer Offenbarung, – wie sie ihn ebenfalls. „Mein Gott“ sagte die Offenbarung, „hast du mich aber erschreckt!“ Sie versuchte den Reißverschluss zusammenzubekommen, was jedoch misslang. Der Verschluss verschloss nicht, alles blieb epiphanetisch aufgetan.

„Entschuldigung, – die Gottesbeweise von Herrn Professor Dr. Schleiffringk“ hauchte Leberecht Gottlieb in Richtung des Weibes, das sich bemühte, seinen tadellosen Corpus zu bekleiden, „die Gottesbeweise, wo sind die denn?“ Es entstand eine Stille von etwa einer viertel Minute. „Gottesbeweise, – die gibt´s doch gar nicht, mein Kleiner – nur im Märchen“ lachte das Weib. Johannes versuchte, diesem harten Dictum etwas entgegenzusetzen. Aber das Weib kam auf ihn zu und sah ihn aufmerksam an. Dann wurde sie sanfter – und ging langsam zur höflichen Sie-Form über: „Gehen Sie mal lieber was Kräftiges essen – und legen Sie sich in die Sonne. Nachher ist gleich Wochenende.“

Der Student sah, wie vom Donner gerührt, wie sie mit ihrem Putzzeug die Treppe hinab strebte. Ganz sicher hatte diese Frau jetzt Feierabend – er aber glühte voller ungestillter Leidenschaft nach Gott. Und kein Schleiffringk hier, – keine Kommilitonen. Er hörte gerade noch das polternde Geräusch, das sein auf die uralten geölten Holzdielen aufschlagender armer Kopf mitsamt dem daran befestigten Körper gemacht haben musste, weil der betrogene und enttäuschte Geist aus demselben, wenn auch nur für etwa einige Minuten, gewichen sein mochte. Vor dem Beweise Gottes aus dem Geiste und der Kraft.

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Fortsetzung folgt - Anderes von Leberecht Gottlieb hier

Autor:

Matthias Schollmeyer

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