durch die Wüste
Leberecht Gottlieb (52)

52. Kapitel, in welchem Leberecht erfährt, wo er hingeraten ist ... Wie er mit zwei reizenden Damen eine gute Unterhaltung hat und sich wieder einmal herausstellt, dass die Kenntnis mehrerer Sprachen von Vorteil ist ...

Nachdem Leberecht beim Anwesen der Nichte Abdul Ibn Abdullas abgesetzt worden war, bot dieselbe dem fremden Gast eine einfache Bettstatt in ihrer Behausung an. Badiya Badavi - so heißt diese Nichte. Der Taxifahrer selbst hat sich inzwischen in seinem alten Strich-Achter Diesel-Benz wieder auf die Rückreise nach der großen Stadt Kairo gemacht, denn dort warten jeden Tag Kunden, die nach irgendwohin gebracht werden wollen. Abdul Ibn Abdulla ist dafür der richtige Mann. Er bringt alle freiwilligen und unfreiwilligen Abenteurer an genau die Plätze, von denen er denkt, dass seine Reisenden genau dorthin wollen - oder eben nicht hin wollen. Abenteuer wird dann so oder so daraus.

Leberecht versucht, sich im schummrigen Dämmerlicht der Lehmbehausung zu orientieren. Ja - auch hier herrscht bereits der elektrische Strom. Aber sein Ladekabel für das iPhone passt nicht in die sonderbar geformte elektrische Dose. Ägyptische Stecker sind nötig. Sein Arabisch ist nicht unbedingt vorzeigbar, aber in Leipzig vor gefühlten einhundert Jahren hat er es gelernt. Bei dem hochgeschätzten Professor Nailinger - und die ägyptische Keilschrift ebenfalls gleich noch mit dazu. Das Ganze Sprachengelerne hing mit einer für und von Leberecht auch selbst geplanten Habilitationsarbeit zusammen, welche "Die Anstriche der Buchstaben in der frühen Keilschriftepoche Ober und Unterägyptens" betreffen sollte. Professor Nailinger hatte aber auf einer seiner Forschungsreisen ganz unabsichtlich einen echten Skarabäus mitgehen lassen, war vom ägyptischen Zoll dabei ertappt worden und gleich danach in einem Kairoer Gefängnis auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Die Botschaft der DDR konnte nichts für den "Räuber des Heiligen Käfers" tun. Selbst eine Intervention beim damaligen Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker seitens der Universitätsleitung brachte nichts zuwege. Der Dachdecker aus Neunkirchen besaß zwar einige Kontakte zu Muhammad Anwar as-Sadat, konnte aber trotzdem gar nichts ausrichten. Auf Käferraub stand so etwas Ähnliches wie eine Art geistliche Todesstrafe. Diese bestand darin, dass man in den Verliesen des ägyptischen Staates unauffindbar wurde. Selbst der Geheimbund der Horusphilareten, der für viel Geld eingeschaltet worden war, musste passen. Nailinger blieb absent - und die Habilarbeit von Leberecht Gottlieb ungeschrieben. Aber Ägyptisch und Arabisch konnte er trotzdem lesen und teilweise sogar sprechen - das hatte er nicht vergessen und sein gutes Gedächtnis kam ihm jetzt zugute. Also sprach Leberecht in Richtung auf die Teppichtür, hinter der Badiya Badavi nach draußen verschwunden war, flugs folgende seiner Kehle enteilenden  Worte:

امرأة طيبة ورحيمة. يحتاج خادمك إلى كابل ليتمكن من تشغيل هاتف خادمك بأشعة الشمس الكهربائية. إن الكابل الذي أحضره خادمك معه من ألمانيا إلى هذا المكان الرائع لا يتناسب جيدًا مع فم جدار سيدتي في هذا المسكن الممتاز. ما الذي يجب فعله وما الذي

Das bedeutet verdolmetscht etwa Folgendes:

Gute und barmherzige Frau. Dein Knecht benötigt ein Kabel, um das Telefon Deines Knechtes mit elektrischem Sonnenlicht stärken zu können. Das Kabel, das dein Knecht aus Deutschland mit sich hierher geführt hat an diesen prächtigen Ort, fügt sich nicht gut ein an den Mund der Wand meiner Herrin in dieser vortrefflichen Behausung. Was ist zu tun und was wäre zu schaffen?

Badiya Badavi erschien alsbald in der Zelttür und holte aus einem perlmuttbeschlagenen Kästchen ein Gewirr von allerlei Kabeln hervor, jedes nach seiner Art. Sie suchte und fand schließlich das passende, so dass Leberechts Telefon mit dem nötigen Saft versorgt werden konnte. Badiya Badavi brachte Leberecht auch etwas zu trinken; kühl war das und schmeckte krautig nach Pflanzen. Schon bald spürte der getränkte alte Mann die belebende Wirkung des Suds. Es war, als ob im Körper des Greises geheime Kräfte zu kreisen begonnen hätten. Leberecht stand von seinem Leger auf und strebte nach draußen. Die Sonne knallte vom hohen Himmel erbarmungslos herab und der Schatten Leberechts verschwand unter seinen Füßen komplett - das heißt, es musste genau um die Mittagszeit herum sein.

„Maweid alghidha” bestätigte die Nichte des Taxifahrers Leberechts Vermutung. Draußen streiften Hunde umher, die herbei eilten und an Leberechts Kleidung herumschnüffelten. „Kilab bariya” meinte die Nichte - wilde Hunde. „Kalebim wkaleboth” antwortete Leberecht. Das war Hebräisch und hieß „Hunde und Hündinnen.” Da lächelte die Nichte und eilte davon. Sie selbst, die etwa 55 Jahre alt sein mochte, kehrte nach etwa fünf Minuten gemeinsam mit einem jungen Mädchen von etwa 20 Jahren zurück. Die Physignomie dieses Mädchens wies es als gebürtige Tochter Israels aus. Man stellte sich mit Hilfe eines hier üblichen Gebrauchsenglisch einander vor und setzte sich dann gemeinsam in den Schatten eines Sonnenschirms vor die Hütte der Nichte. Deren Freundin hieß mit Namen Beritha Kronmann und war seit einem Monat am Orte, um Urlaub zu machen. Wie sich herausstellte, studierte sie im siebenten Semester Zahnmedizin in der alten Täuferstadt Münster und verbrachte in diesem Jahr ihre Semesterferien in Siwa, weil eine Tante väterlicherseits zu Jerusalem das kleine Ferienhaus gleich neben der alten Orakelanlage Siwa nicht hatte vermieten wollen, da sie für sich selber geplant hatte, um zu entspannen hierher zu reisen. Aber der Krieg machte einen Strich durch diese Pläne und alle Rechnungen, so dass eben genug Platz in dem Ferienhäuschen nun frei stand und die Zahnstudentin deshalb zum Hüten des Hauses gebeten worden und gern hergekommen war.

Beritha Kronmann erzählte das alles unaufgefordert in fröhlichem Englisch, welches mit hebräischen und deutschen Worten untermischt in Leberecht die allergrößte Freude erregte. Als er selber ein paar deutsche Worte in seine auf Englisch vorgetragenen Fragen einflocht, merkte Beritha Kronmann, dass dieser Greis wohl ein Landsmann ihrer deutschen Vorvorfahren aus Deutschland sein müsse und die Unterhaltung wurde in deutscher Zunge fortgesetzt. Und das erleichtert es uns, den Leser dem Fortgang der Geschichte, die wir hier wahrheitsgetreu berichten, folgen zu lassen.

Wo er denn hin wolle, das war die unausweichliche Frage, die Beritha Kronmann Leberecht nun stellte. Und Badiya Badavi lauschte gespannt auf die Antwort. Ihr Onkel Abdul brachte öfter solch ziellose Reisende zur Oase. Und nun wurde ihr alles, was Leberecht erzählte, von Beritha Kronmann halblaut übersetzt. Leberecht berichtete von der Schrift Johann Nepomuk Dankreithers „Der Edelstein Lapis Aquamarinus Knossius” und Giordano Brunos „Die Kabbala des Pegasus.” Diese Schriften wollte er lesen, da sei ihm sozusagen die Katze Schrödingers auf den Straßenbahngeleisen dazwischen und er mit schlimmem Kopfweh in ein Hospital eingeliefert worden. Beim Verlassen desselben hätte er jenseits einer Friedhofsmauer diese Reise gewonnen, welche irgendwie sonderbar sei. Denn er hatte seine Reisegruppe verpasst und sich unerwartet hier an fremdem Orte aufgefunden. Wo - so fragte er nun - wo sei man hier eigentlich gelandet?

Beide Frauen erklärten dem Mann aus Deutschland nun, er sei bei einer uralten Orakelstätte gelandet. In Siwa, dem Wahrsage-Heiligtum des Gottes Ammun. Leberecht staunte nicht schlecht. In Siwa? Und er erschrak auch einigermaßen. Dieser Ort stand nämlich gar nicht auf der Route seines Gewinntickets. Dort waren nur rein touristisch erschlossene Urlaubsparadiesplätze verzeichnet gewesen mit 4-Sterne Hotels, Pools und Shoppingmalls.

Die beiden Damen machten betretene Gesichter und versuchten Leberecht zu trösten. Was habe er denn, so fragten sie ihn nun, dem Onkel und Taxifahrer Abdul Ibn Abdullah befohlen, wo sollte der ihn denn hinbringen? Leberecht gab Auskunft und antwortete. „Ich sagte“, sagte er, „ich wolle zum Hafen, von wo die großen Schiffe nach Luxor abgehen."
Ach - da gäbe es in der Nähe von Kairo etwa 72 solcher Häfen, riefen die beiden Frauen fast wie aus einem Munde in allen vier Sprachen: Arabisch, hebräisch, englisch und deutsch.. Leberecht wurde heiß und kalt. Er erblasste und nippte erneut von dem Tee, der ihn nach einigen Minuten wieder zu Kräften kommen ließ. Wo war er hier bloß hingeraten. Schrödingers Katze ...

Beritha Kronmann sagte nun: „Herr Gottlieb, Sie sind etwa 700 Kilometer von Kairo entfernt. Diese Oase wurde früher auch genannt DER ORT, AN DEM DIE GROßEN SCHIFFE AN UND ABLEGEN. Kann sein, dass der Onkel meiner Freundin Badiya Badavi sich etwas gedacht haben mag, als er Sie zum alten Alexanderorakel chauffierte. Sie sind uns jedenfalls herzlich willkommen.“
Inzwischen war es Abend geworden und ein kleiner scharfer Wind hatte sich aufgemacht und brachte angenehme Kühle vom See her, an dem das Orakel gelegen war. Leberecht durchschauerte es. Wohin war er hier geraten ... Dann aber erinnerte er die beiden Hexagramme, welche er mit dem Chinesen Herrn Luan Wang Li Zhang zur rechten Seite des Flugzeuges gesehen und die ihm kommentiert und ausgelegt worden waren. Zeichen 20 DIE ANSCHAUNG und Zeichen 24 DIE WIEDERKEHR

Die Wiederkehr. Gelingen.
Ausgang und Eingang ohne Fehl.
Freunde kommen ohne Makel.
Hin und her geht der Weg.
Am siebenten Tag kommt die Wiederkehr.
Fördernd ist es zu haben, wohin man geht.”

Leberecht bedankte sich bei den beiden Frauen, schlich in seine Hütte und fiel dort auf dem Lager aus Schilfgras und Fellen sofort in einen tiefen Schlaf. Dabei träumte ihm Folgendes … Darüber aber erst im nächsten Beitrag.

Mehr von Leberecht Gottlieb hier

Autor:

Matthias Schollmeyer

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