das Prophetische (Teil 3)
KEINE EINFACHEN LEUTE

- Hugo von Hofmannsthal
- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
Der eher gesellig-lebenszugewandte Dichter Hugo von Hofmannsthal war mit dem enorm prophetisch-elitären Kollegen Stefan George natürlich bekannt. Aber die Verbindung zerbrach an den unterschiedlichen Charakteren der wortgewandten Zeitgenossen. Als Wiener war Hofmansthal der vergnügtere Autor. Am Ende des 19. Jahrhunderts waren die beiden im Caféhaus unweigerlich aufeinander getroffen. Der sechs Jahre ältere George wollte den jungen Mann und späteren Autor des hübschen Dramas JEDERMANN immer gern noch näher kennen lernen …
Hofmannsthal aber ging bald nur noch widerwillig darauf ein - und lehnte nach einem letzten Treffen mit dem Sprachmeister und Mitglied des Schwabinger "Kosmikerkreises" weitere Kontakte ab. Da gibt es ein Gedicht, in dem Hofmannsthal Stefan George als düsteren Propheten beschreiben will: Ohne Propheten geht es zwar nicht. Aber man hat es mit ihnen auch nicht leicht. Hier das Gedicht:
Der Prophet
In einer Halle hat er mich empfangen,
Die rätselhaft mich ängstet mit Gewalt,
Von süßen Düften widerlich durchwallt:
Da hängen fremde Vögel, bunte Schlangen.
Das Tor fällt zu, des Lebens Laut verhallt,
Der Seele Atmen hemmt ein dumpfes Bangen,
Ein Zaubertrunk hält jeden Sinn befangen
Und alles flüchtet hilflos, ohne Halt.
Er aber ist nicht wie er immer war,
Sein Auge bannt und fremd ist Stirn und Haar.
Von seinen Worten, den unscheinbar leisen,
Geht eine Herrschaft aus und ein Verführen,
Er macht die leere Luft beengend kreisen
Und er kann töten ohne zu berühren.
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„In einer Halle hat er mich empfangen …“ So beginnt die Szene - und ist sofort überhöht. Nicht ein Zimmer, nicht ein Salon – eine Halle. Ein Ort der Fremdheit. Ort der Schwelle und Prüfung. Dann die nächste Zeile:
„Die rätselhaft mich ängstet mit Gewalt.“ Das ist also keine höfliche Atmosphäre. Es ist Macht im Raum. Sinnliche Überforderung: „süße Düfte“, aber „widerlich“. Der Ort selbst ist schon eine Art Rausch. Und dann gleich anschließend: „Da hängen fremde Vögel, bunte Schlangen.“ Exotik, ja – aber auch etwas Dämonisches. Symboltierwelt. Die Halle wird zum Innenraum einer Vision.
„Das Tor fällt zu, des Lebens Laut verhallt“ – da ist der Moment des Abschieds von der Welt. Ein Initiationsmoment? Wie wenn der Prophet einen Menschen heraustrennt aus dem Leben. Alles wird still, dumpf, fremd. „Ein Zaubertrunk hält jeden Sinn befangen“ – das ist Stefan George, wie er leibt und lebt. Er erklärt sich nicht, sondern er wirkt. Er ist einer, der andere verstummen lässt. „Er aber ist nicht wie er immer war“ – dieser Vers ist zentral. Hofmannsthal erkennt ihn, aber erkennt ihn nicht mehr. Der Mensch, den er einst kannte, ist jetzt verwandelt – durch seine eigene Rolle, durch seine Aura, durch die Situation. „Sein Auge bannt“ – George ist jetzt ein Mythos, keine Person.
„Von seinen Worten, den unscheinbar leisen,
Geht eine Herrschaft aus und ein Verführen“
Ein unglaubliches Bild: Die Sprache, fast tonlos – aber bleibt voller Macht. Nicht durch Lautstärke, sondern durch Tiefe. George wird hier zum Verführer, zum Prophet-Magier. „Er macht die leere Luft beengend kreisen.“ Das ist Georges Aura, sein magnetisches Feld. Und nun noch der letzte Satz:
„Und er kann töten, ohne zu berühren.“
Das ist der Satz, der einem am Schluss der Beschreibung des Propheten den Atem nimmt. Die Begegnung mit George bedeutete für Hofmannsthal eine existentielle Erschütterung. Wir lernen daraus eine ganze Menge. Dass man sich vor Propheten und vielleicht sogar noch mehr vor Prophetinnen! schwer in Acht zu nehmen hat. Und - dass die Welt sie trotzdem braucht.
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