aus der alten DDR
Altes und Neues von Leberecht Gottlieb (25)

Leberecht Gottlieb vollzog an seinem Kontrahenten Kurt Globnich genüsslich und vollständig Rache. Er ließ den Mann nämlich unschlüssig draußen vor der Himmelstür stehen; das finale Portal sollte in barscher Weise für den Staatsbürgerkundelehrer verschlossen bleiben. Ein Schild mit dem Worte „Willkommen Kurt!“ lag am Boden im Wolkendreck, wenn es denn so etwas wie Wolkendreck überhaupt gab. Hier würde Leberecht noch einmal abändern müssen. Wolkenstaub? Besser macht sich Wolkenasche. Wolkenasche – das war es überhaupt. Das Schild - eher ein Spruchband - lag also in der Wolkenasche. Globnich bückt sich, entfaltet das Band - so wie er früher immer die Schleifen an den Kränzen für Karl und Rosa gerade gerückt hatte. Und nun sieht er, wie der Willkommensgruß noch viel weiter geht und was da noch geschrieben steht: „Willkommen Kurt! – in einer Million Jahren!“ Das Spruchband besitzt nämlich auch eine Rückseite. Die hat man erst sehen können, als das Tuch aus der Wolkenasche gezogen worden war. Globnich erschrickt …

„Seht ihr den Mond dort stehen
er ist nur halb zu sehen
und ist doch rund und schön.
So sind wohl manche Sachen
die wir getrost verlachen
weil unsre Augen sie nicht seh´n.“

Hatte nicht Matthias Claudius so gedichtet? Globnich schlich sich gedankenschwer vom Himmelstor weg, um sich eine andere Bleibe zu suchen. Wie oft hatte er dieses Lied im Unterricht als Beispiel christlicher Verweichlichung verpapelt. Und den sensiblen Wandsbecker Dichter verhöhnt. Nun, hier und jetzt in der Wehmut des Schmerzes eines Fortgeschickten, deutete sich ihm an, dass zumindest die Strophe über die Halbsichtbarkeit der Dinge einen deutlichen Wahrheitswert aufwies. Und wir deuten bereits schon hier an, dass Globnich tatsächlich in der Helle landen soll. Aber wann und wie - das wird nicht so schnell verraten. Denn vielleicht ist ja alles ganz anders, als wir es im Konfirmandenunterricht und den Bekenntnisschriften haben lernen müssen.
Vorher muss Globnich unter Umständen als Geist hier und da in der uns vertrauten Welt noch einmal auftauchen. Freilich, man sieht ihn dort nicht, und hört ihn auch nicht. Mittels okkulter Phänomene könnte er sich zwar bemerkbar machen, erntete dabei aber keine Zustimmung, sondern nur Angst und Entsetzen. Außerdem will er, der reale Kurt, welcher Zeit seines Lebens immer nur den Materialismus gepredigt hatte, jetzt nicht zur Gegenseite überlaufen und als paranormaler Globnich bestürzen machende Singularitäten erzeugen. Deshalb zieht er sich wie alle jene, die am Himmelstor nicht sofort eingelassen werden (es sind deren nicht wenige!) in die unteren Etagen des Weltganzen zurück. Er macht es also wieder so, wie die anderen es auch machen.


Ach, Globnich, du dauerst uns. Bist du nicht irgendwie Urbild unserer selbst? Der alte Staatsbürgerkundelehrer aus der DDR muss also im nächsten Kapitel an die Pforten des Hades pochen, nachdem die Wasserfahrt mit Charons Nachen und der Cerberushund absolviert worden sind. Aber auch hier  muss alles seine Ordnung haben. Wir werden das genau betrachten. Der Trauerfeier für Kurt Globnich hatten wir uns bereits zugewandt. Von dieser einen knappen Stunde auf dem Pottsitzer Friedhof berichteten wir gern und lernten dabei die die Anschauungen des Nekrologen Dieter Prätzschke kennen.

Globnich war nun also der Welt abhanden gekommen, wie es so schön in einem wunderbaren Gedicht Rückerts heißt, das uns Gustav Mahler hat vertonen wollen. Da wurde er verbrannt, wie er sich das auch gewünscht hatte. Flamme empor! Nach dem Tode. Die schöne Palliativschwester Frederique drückte ihm, als seine Seele ausgefahren war, die Augen zu und füllte die notwendigen Dokumente aus. Sie öffnete das Fenster und schaute an den Himmel. Dort sah sie ein kleines silbernes Sportflugzeug in den Wolken verschwinden, wieder auftauchen und verschwinden. Der Motor der Maschine war auf ein „F“ gestimmt, so fangen auch viele Kirchenlieder an. „Mit F-Dur kannst du alles machen“, hatte Globnich oft gesagt, wenn es darum ging, ein Lied auf dem Akkordeon zu begleiten. Etwa am Frauentag oder am 1. Mai. Auch ein Bienenstock summt immer um “F“ herum, wenn er in Ruhe ist. Dann, denn Globnich hatte eine Sterbeversicherung abgeschlossen, kam sehr bald das von ihm für die Materie seines Körpers authorisierte und benachrichtigte Bestattungsinstitut. Die holten Globnich ab. Vom Bestattungshaus „Licht und Schatten“ wurde Globnich abgeholt. Die versierten Kollegen sargten den Globnich ein, wie es in der Fachsprache heißt – und machten sich davon. Globnich, bzw. nicht Globnich, sondern natürlich nur sein Körper (dessen Geistseele weiterhin unterwegs ist von Ewigkeit zu Ewigkeit), wurde als Nummer 1051/2011 in dem großen aus der Gründerzeit stammenden Krematorium nahe der Stadt Meißen eingeäschert. Auf die Nummer 1051/2011 werden wir noch zurückkommen müssen - vorab nur soviel: Sie besteht aus zwei Primzahlen. Die Asche Kurt Globnichs wurde in eine kupferfarbene Urne gefüllt und nach Pottsitz versandt, wo sie auf der Gemeinschaftsurnenanlage bestattet wurde. Wir wollen hinzufügen, dass das kleine Engelssche Büchlein von der Menschwerdung des Affen durch Arbeitsleistung mit in den Sarg getan worden war. Das hatte Frederique zu verantworten, die wohl dachte, das Heftchen sei eine Art Brevier. Globnich hatte das Druckerzeugnis aus dem Dietzverlag nicht hergeben wollen, auch in der allerletzten Todesnot nicht. Sein liebes Büchlein von der Verwandlung eines alten Affen in einen neuen Menschen. Das gab er nicht her, das verriet er nicht. Zwar hat Ovid auch schon viel gedichtet über zahlreiche von Göttern verfügte Verwandlungen der Menschen zu Tieren, – meistens zu Vögeln. Dass aber Affe Mensch wird, ist die größere Leistung. Durch eigene und ehrliche, gute und gewissenhafte weil fleißige Arbeit. Ist das nicht was? „Und der Affe ward Mensch“ – das klingt wie irgendein Prolog aus dem philosophischen Vermächtnis der Russen Berdijajew und Solowjew. Und klang für Globnich besser als: “Und das Wort ward Fleisch!“

Es wurde natürlich keine kirchliche Bestattung, sondern eine weltliche. Der Redner Dieter Prätzschke - der sein Kärtchen  immer in den Kirchen und Trauerhallen liegen lässt - als Berufsbezeichnung ist der Begriff “Nekrologe“ darauf gedruckt - führte schon vor geraumer Zeit mit Globnichen ein Gespräch und fragte den ehemaligen Staatsbürgerkunde- und Musiklehrer nach den notwendigen Fakten für die Trauerrede, Geburtstag, Herkunft, Interessen, politische Einstellung, Eckdaten überhaupt, Auszeichnungen, Krankheiten und diverse Vorlieben. Globnich hatte von allem ein bisschen berichtet, – es würde ja sonst niemand für ihn erzählen, da er keine Angehörigen besaß. Sein Sohn Friedrich wäre irgendwo in Südafrika, sagten die Leute. Keiner hatte den Sohn vom Tode des Vaters benachrichtigen können. So ist es manchmal. Gott ist groß. Letzteres jedoch hätte Globnich nicht hören wollen und vehement zurückgewiesen.

Wir müssen an dieser Stelle nun des beklagenswerten Umstandes Erwähnung tun, dass Pottsitz im Jahre 2011 gar keine Pfarrstelle mehr besaß, sondern von der Kreisstadt Meißen aus irgendwie mitverwaltet wurde. Der letzte Pottsitzer Pfarrherr war Leberechts Vater Martin Gottlieb gewesen und nach Erreichung des Ruhestandes im Jahr 1995 mit seiner Gattin in ein Seniorenheim nach Tübingen gezogen. Man wollte in der Nähe Hölderlins alt werden … Das Pottsitzer Pfarrhaus ist nach dem Wegzug der alten Gottliebs bald an irgendwen aus dem Westen verkauft worden - Gott ist groß. „Dem Globnich seine Stelle ist direkt unter der alten Melmerten“ hatte der Bestatter von “Licht und Schatten“ Prätzschke gegenüber am Telefon gewitzelt, als er für die Trauerfeier das Nötige vorbereitet. Denn die alte Frau Melmert war inzwischen auch gestorben, aber bereits im Jahr 1995. „Da liegen sie jetzt beide übereinander“ lachte der Bestattungskollege draußen auf der grünen Wiese und rammte den Spaten grob ins Grün.

War einer dabei? Niemand. Hat es wer gehört? Niemand. Wer schrieb es auf? Leberecht Gottlieb. Ihm fiel die Geschichte beim Schreiben ein – aber er wird uns gegenüber natürlich behaupten, seinen im Folgenden zu lesenden minutiösen Bericht hätte er der untrüglichen Akashachronik abbettelt dürfen. Alles ist wahr:

Im Falle einer weltlichen Bestattung teilte die evangelische Kirchengemeinde St.Martin in Pottsitz ihr Kirchengebäude mit den normalen Menschen der konfessionslosen Konfession des kleinen sächsischen Städtchens. Heißt - der Redner (liebevoll ironisch “Konsumpastor“ genannt)  durfte auch herein und seinen Sermon abhalten, elektronische Geräte mitbringen, um die weltliche Feier auszugestalten, denn die Orgel als Königin der Instrumente hatte stumm zu bleiben. Die weltlichen Akteure solcher weltlicher Trauerfeiern durften auch nicht am Altare stehen, sondern waren in die Ecke neben der Kanzel auf einen speziellen Platz gewiesen. Der Zufall wollte es nun, dass die barockgeschnitzte Pottsitzer Kanzel die Szene vom Untergange der berüchtigten Doppelmetrolope Sodom und Gommora zeigte. Unter dem Schwefelregen, den der Herr auf die Verruchten fallen ließ, standen nun die weltlichen Redner und verkündeten die Lebensläufe der Verblichenen und vermischten sie mit allerhand vulgärphilosophischen Gemeinplätzen und - vorsichtig gesagt - Irrlehren. Hatte der die Kanzel betreffende symbolträchtige Umstand den Pfarrer Martin Gottlieb schon immer sonderbar berührt, merkte heute kaum einer mehr den tiefer gehenden Zusammenhang, denn die Vorgeschichte von Lot und seinem Weib war allgemein in Vergessenheit geraten, weil man inzwischen selber genauso lebte, wie die Bewohner der im feurigen Himmelsgericht dem Erdboden gleichgemachten beklagenswerten Stätten.

Ebenfalls traf ein Funktionsverbot die beiden hohen Altarkerzen. Sie hatten während solcher gottlosen Trauerfeiern nicht zu brennen, denn eine Verwechslung weltlicher Termine mit einer richtigen Bestattungsfeier der Christlichen Kirche Evangelisch-Lutherischen Bekenntnisses sollte ausgeschlossen werden. Bibel, Kreuz und Kerzen durften während der geduldeten Fremdfeiern jedoch nicht vom Altartisch weggeräumt werden, das war Bedingung der Nutzung des Kirchengebäudes für weltliche Gäste. So lagen bzw. standen die Vasa sacra anklagend herum und gaben ein stummes Zeugnis davon, dass bei dieser ausnahmsweise gestatteten Veranstaltung das Wesentliche fehle - und damit eigentlich alles ganz und gar nicht stimme und in beklagenswerte Unordnung geraten sei. Der Altar arbeitete nicht, die Akteure standen falsch, die Orgel spielte keine Melodei - nur die Bestattungssongs der Redner erklangen hehr und gruftig aus den sich im Laufe der Zeit allerdings stetig verkonfortabelnden Geräten. Meistens handelte es sich dabei um Verdis Freiheitschor aus der Oper Nabuko, die „Unsterblichen Opfer“ Schostakowitschs, um den schaurigen „Totenmarsch“ Chopins und das unentbehrliche „Feierabendlied“ nicht zu vergessen. Sonderbar gestaltete Kerzenmonstrarien führten die Bestattungsinstitute selber mit herbei. Diese sahen meistenteils aus wie Requisiten aus Filmen von Sergej Eisenstein oder Laserwaffen aus Low Budget Cyberfilmen.

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Autor:

Matthias Schollmeyer

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