von der Untersuchungshaft
des HERRN bei Nacht

In der Nacht vom Gründonnerstag zum Karfreitag befindet sich Jesus sozusagen in Untersuchungshaft. Aber  - er antwortet nicht (Johannes 19,9 / Mt 27,14). Was hätte er auch sagen sollen? Wo verleumdet werden darf, ist Verteidigung sinnlos geworden. Wo das hohe Gericht Angst vor dem Gebrüll einer Regierungspartei und ihres Mobs spürt, deren Ideologie die Massen ergriffen hat, sind Beschuldigte verloren. Zwar wird Pilatus von seiner Ehefrau ausdrücklich noch gewarnt; sie hätte zur Nacht von Jesus geträumt (Claudia Procula / Mt 27,19). Allein diese intelligente Heidin scheint noch zu wissen - der Legende nach wird sie später Christin - wie vorsichtig man verfahre mit denen, die einem im Traum erscheinen. Aber es ist nur eine einzelne Frau, die sich für den Beklagten einsetzt. Die Christenheit hat ihr Gedächtnis Gott sei Dank bis heute erhalten, wie sie auch das Gedächtnis aller und Wahrheitsmärtyrer bewahrt.

Erstens, wer von Jesus träumt, ist auf dem rechten Weg. Zweitens - der Diskurs zwischen dem Römer Pilatus und dem Juden Jesus findet unter ungünstigsten Bedingungen statt. Es wird keine universitäre Disputation nach den Regeln der gebildeten Welt mehr geben können. Denn Jesus ist das Hassobjekt der aufgewiegelt enttäuschten Menge geworden und Pilatus steht unter einem Druck, den viele Politiker auf ihren Stühlen zu spüren bekommen. Die ständige Drohung von unten herauf: „Wenn du unsere Wünsche nicht erfüllst, bist du nicht mehr Freund des Kaisers" (Joh 19,12). Drittens - führende Intellektuelle haben das Volk längst für ihre eigenen Pläne gekapert (Mt 27,20). Wenn eine kritische Masse Volks vom Zorn ergriffen wird, droht Gefahr. Pilatus knickt sofort ein. Er gibt Jesus preis - zur Kreuzigung.

Wie aber hätten die Antworten Jesu aussehen können, wenn er nicht geschwiegen hätte? Und - wusste er tatsächlich keine Antwort, oder hält er sich nur vornehm zurück? Warum pariert der sonst enorm eloquente Rabbi nicht mit klugen Theoriegebilden und unschlagbaren Metaüberlegungen?

Folgendes hätte er doch sagen können: „Ja - ich werde den Tempelbau Gottes reorganisieren” (zu Mt 26,61 und Mk 14,61). „Ja - ich durchschaue alle eure Anschuldigungen” (zu Mt 26,14 und Mk 15,5). „Du würdest meine Antworten doch nicht begreifen” (zu Lk 22,9). „Ich komme aus einer ganz anderen Welt” (zu Joh 19,9). So oder so ähnlich hätte er doch sagen können. Aber - seien es nun Einzelne oder irgendwelche Gruppen, wer je einmal mit verblendeten Menschen zu tun hatte, weiß, wie es fast unmöglich ist, auf deren Fragen Antworten zu geben. Manche Fragen zeigen nämlich, wie die Fragenden entweder wirklich dumm sind, oder noch schlimmer - sich absichtlich dumm stellen. Manchmal hilft zwar ein „mitten durch sie hindurchgehen” (Lk 4,30). Aber Jesus kann nicht mehr weggehen. Sein Weg hat hierher geführt, wo er zum Stehen gebracht, wo er gestellt worden ist. Er erlebt den animalischen Hass, den schon mancher erfahren hat, der nicht mit der Masse ging. Die Masse - dumm gemacht worden (Elias Canetti) - hat zwar alle einzelnen Klugen noch mit dabei. Wenn es aber gelang, den Einzelnen in der Masse sich auflösen zu lassen, ist es aus. Claudia ist die Ausnahme ...

Auch Jesus ist ein Einzelner geblieben. Deshalb hat sich um ihn herum jene Gruppe gebildet, die sich später Ecclesia nennen wird - „die Herausgerufenen.” Eine Elite von Leuten, die nicht mehr bei Allem mitgemacht und für diesen Luxus am Anfang oft einen hohen Preis gezahlt haben. Jesus war so etwas wie ein Bewahrer der originären Schöpfungsordnung. Dafür wird er nun beschimpft. Bewahren des Bewährten und damit Erneuern des Alten war sein Auftrag. Keine umstürzlerischen Experimente mit der Hölle kennzeichnen seinen Weg - Jesus hat das Volk nie mit Ideologie betrogen. Er ließ sich nicht dazu verführen, Leuten fremde Steine als Brot vorzumachen. Jedoch machte er Tausende mit ein paar eigenen und gesegneten Brocken satt. Jesus stellte die alte Schöpfungsordnung wieder her, als er Besessenen entfremdende Gedanken als Dämonen austrieb. Er machte aus dem korrupten Beamten Zachäus den bußfertigen Jünger (Lk 19). Jesus - eine Art edler Aristokrat, mit dem Gott die Weltgeschichte wieder einholte, so beschreibt Irenäus von Lyon (um 135; † um 200) Christus als Herrn der Kirche. Jesus hat für den je Einzelnen die alte Schöpfungsordnung Gottes wiederhergestellt: Lahme konnten gehen, Blinde sehen, Tauben wurde das Gehör geöffnet und Leuten, die nicht mehr geradeaus denken konnten, wurden als Denkhilfen anschauliche Gleichnisse zur Verfügung gestellt. Aber warum antwortete er jetzt nicht?

Wie manche, die sich darum mühen, das Alte zu bewahren und zu schützen, steckt auch Jesus in der bekannten Klemme: Was Konservative wollen, ist theoretisch schwer zu begründen. Es ist nämlich - ganz ohne Begriffsklamauk - schon immer von selbst klar. Und das ist denen verdächtig, die ohne komplizierte Ideologeme nicht auskommen, weil sie ohne dieselben und ohne die Täuschung, die von Theoriekonstrukten ausgeht, alle ihre Macht sofort verlieren würden. Denn das Volk mag mit Worten und Begriffskaskaden zwar verführt werden können - aber es stürzt nach missglückten Höhenflügen immer wieder auf den Boden der Tatsachen. Dort wartet das Ende der Täuschung.

Wollte die Kirche stellvertretend für ihren Meister nicht schon immer jene Fragen beantworten, welche damals aus den oben erläuterten Gründen unbeantwortet gelassen werden mussten? Das Ganze des Tempels von Grund auf wiederherzustellen? Hauptsächlich das lang Bewährte weiterzugeben? Wer sonst, wenn nicht wir? Strukturell gesehen sind in der Tradition der Heiligen Schrift die Antworten auch auf die heutigen Fragen zu finden … Sich wieder neu als alte Kirche zu verstehen? Wie einst ihr HERR es tat - für diese Welt, weil nicht von dieser Welt. Gern wird gefragt: Was würde Jesus dazu sagen? Nichts. Wer hat Mut? Der wird zu vielem Unsinn heute einfach schweigen ...

Autor:

Matthias Schollmeyer

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