Ungeteiltes Leid

Christen in der DDR: Birgit Neumann-Becker über den Mut zum Reden und Zuhören

Von Katja Schmidtke

Die gesellschaftliche Ausgrenzung des Glaubens, das Verhindern beruflicher und persönlicher Selbstverwirklichung, das Diffamieren von Christen – all dies gehört auch mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des SED-Staats zu den Dauerbrenner-Themen in den Beratungen, die die sachsen-anhaltische Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur anbietet. »Es geht dabei oft um berufliche Rehabilitierung, aber öfter um die Anerkennung des Leids«, sagt Birgit Neumann-Becker.
An dem Erstaunen, das sich nach der Wende unter den Christen breitmachte, weil ein Gläubiger nun Jurist sein kann, Offizier, Polizist, Schulleiter oder Chef eines Unternehmens, wird deutlich, an welche Grenzen sie in der DDR gestoßen sind. Wo es darum ging Meinungen zu bilden, Entscheidungen zu treffen oder Verantwortung zu tragen, waren Christen ausgeschlossen. Das »Aussieben über den Bildungsweg« bezeichnet Birgit Neumann-Becker als systematisch. Hinzu kommt die Tatsache, dass die SED die Glaubensfreiheit eingegrenzt und Gewissensentscheidungen wie die Wehrdienstverweigerung kriminalisiert hat. Birgit Neumann-Becker hat in ihrer Jugend selbst diese Erfahrung gemacht, als sie den »Schwerter zu Pflugscharen«-Aufnäher trug und sich dafür rechtfertigen musste. Lehrerin konnte – und wollte – sie danach nicht mehr werden.
Die im Alltag erlittenen Repressionen sind heute vielfach nicht nachweisbar oder fallen nicht unter das Rehabilitierungs-Gesetz. Selbst verfolgte Schüler bekommen keine Entschädigung. Diese Gemengelage hat Folgen. Wer ohnehin keine Leistung bekommt, stellt auch keinen Antrag und taucht deshalb in keiner Statistik auf – so kann Birgit Neumann-Becker nachvollziehen, wie es zu der Aussage der Thüringer Staatssekretärin Babette Winter (SPD) kam, Christen seien keine herausgehobene Opfergruppe.
Sie sind es natürlich, auch wenn Christsein kein Rehabilitierungs-Tatbestand ist und die menschliche Zersetzung durch den SED-Staat weder wiedergutgemacht werden kann noch zu rehabilitieren ist. Wie Neumann-Becker betont, gehe es in der Debatte mehr um gesellschaftliches Gehör als um finanzielle Entschädigung. Viele in der DDR verfolgte Christen fühlen sich bis heute mit ihrem Leid allein. Weder damals noch heute spürten sie ein Interesse für ihre Geschichte und Lebensleistung. »Es braucht eine Ermutigung darüber zu reden, aber auch zuhören zu wollen«, sagt die Hallenser Theologin. Es gehe dabei nicht um Schuldvorwürfe: »Wir wollen nicht mit dem Finger auf andere zeigen, aber Täter sollten die Chance haben, sich zu erklären und mit Geschädigten zu sprechen.« Gelegenheit dazu kann sich am 25. und 26. Oktober beim Halle-Forum in der Gedenkstätte Roter Ochse bieten. Auch in der wissenschaftlichen Aufarbeitung sieht die Theologin Potenzial. Erst in diesem Jahr ist in der Studienreihe der Landesbeauftragten das Buch »Protestanten in Zeiten des Kalten Krieges. Der Wittenberger Kirchentag zum Lutherjubiläum 1983 im Fokus der Staatssicherheit« erschienen.
Die Verfolgung von Christen ist nicht nur ein wichtiger Teil deutsch-deutscher Geschichte und Vergangenheitsbewältigung. »Nein, es kann uns auch ins Gespräch bringen mit jenen Christen, die heute aus Afrika oder dem Iran vor der Verfolgung fliehen«, so Birgit Neumann-Becker.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Nord

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