Heiliger Zeitgeist

Männlein oder Weiblein: Gender steht für das soziale Geschlecht. Im Gegensatz zum biologischen Geschlecht meint Gender die gesellschaftliche Geschlechterrolle, die häufig auch typisches Verhalten oder Kleidung bestimmt. Foto: Adrienne Uebbing
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Gender als Schimpfwort – Zeitgeist als Synonym für den Selbstbetrug der Kirche.
Die Debatte um Geschlechterrollen ist erhitzt. Abkühlung versprach eine Tagung in Magdeburg.

Von Katja Schmidtke

Die Spannung war nahezu mit Händen zu greifen, als Margit Eckholt, Professorin für Katholische Theologie in Osnabrück, ihren Vortrag über die Ämterfrage der katholischen Kirche anlässlich der internationalen und interdisziplinären Tagung »Glaube und Geschlecht – Gender Reformation« an der Universität Magdeburg beendet hatte. Fragen aus dem Publikum ließen nicht lange auf sich warten. »Wann ist denn nun endlich die Zeit gekommen?«, wollte eine Zuhörerin von der Wissenschaftlerin ungeduldig wissen, um dann doch selbst zu schlussfolgern, die Zeit komme nicht aus der Kirche, sie komme von außen in die Kirche. Gleichberechtigung, Geschlechterfragen, Gender – freilich nicht nur in der katholischen, auch in der evangelischen Kirche entzünden sich hitzige Debatten um diese Themen. Und das nicht erst heute. Vor rund 100 Jahren wurden Frauen zwar zum Theologiestudium, aber nicht automatisch zum Examen zugelassen, geschweige denn in den Dienst ihrer Landeskirche übernommen. Später durften sie zwar als Pfarrgehilfin tätig sein, hatten aber nach einer Hochzeit aus dem Dienst auszuscheiden.
Es war in den letzten Kriegsjahren und den ersten Jahren des geteilten Deutschlands keine Kirchenrevolution, sondern schiere Notwendigkeit, dass Frauen predigten, trauten, beerdigten oder das Abendmahl austeilten. Erst 1958 unternahmen einzelne Landeskirchen, darunter auch Anhalt, kirchenrechtliche Schritte zur – zunächst noch eingeschränkten – Gleichberechtigung der Frauen. Es war ein langer Weg von Carola Barth, der ersten Frau, die in Theologie promovierte, bis zu Maria Jepsen, der weltweit ersten lutherischen Bischöfin, oder Margot Käßmann, erste Frau an der Spitze der EKD. Die Bibel, so sagt es Kirchenhistorikerin Cornelia Schlarb, sei jahrhundertelang patriarchisch ausgelegt worden. Der Prozess der Gleichberechtigung sei auch nach 100 Jahren nicht abgeschlossen. Die Rücknahme der Frauenordination in Lettland ist dafür beredtes Zeugnis.
Über neue Lebensformen und den Wandel der Geschlechteridentitäten forscht die praktische Theologin Professor Andrea Bieler. Sie bezeichnet die Bundestagsentscheidung zur »Ehe für alle« als Überwindung einer signifikanten symbolischen Schwelle und erinnert an die Erkenntnisse von Biologen, Sozialwissenschaftlern und auch Theologen, wonach die binären Kategorien zu simpel und nicht mehr haltbar seien. »Die Lebensformen haben sich pluralisiert«, sagte sie. Zwar sei die traditionelle, heterosexuelle Kleinfamilie in der Mehrheit, aber auch hier müsse immer mehr ausgehandelt werden, was das Zusammenleben eigentlich bedeutet: Pendeln zur Arbeit, Pflege der Eltern, Patchwork.
Die Ehe ist ein weltlich Ding, erinnerte Andrea Bieler an Martin Luther. Heute mehr als zur Reformationszeit: Einzig der Staat kann rechtsgültige Ehen schließen. Die Ehe ist ein Rechts­institut, schnöde gesagt. Und sie ist göttliche Stiftung. Aber, so Bieler weiter, die Geschlechterrollen der Schöpfungsgeschichte entsprächen nicht den Prioritäten der Bibel. Wie die Heilige Schrift ausgelegt werden könne, auf dass sie in der Gegenwart handlungsweisend und orientierend ist, sei der Streitpunkt. Dabei steht die Kirche immer wieder auch aus der Kirche heraus in der Kritik, sich dem Zeitgeist hinzugeben. Professorin Bieler: »Gibt es kein Vertrauen darauf, dass sich auch im Zeitgeist der Heilige Geist zeigen könnte?« Bieler bemängelte, dass Sexualität entweder dämonisiert oder religiös verklärt werde. Der Fetisch des Sexuellen überlagere dabei die eigentliche Frage, wer der Einzelne als Christ und wie seine Beziehung zu Gott sei.

Autor:

Adrienne Uebbing

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