»Ich bin sicher, Rembrandt liebt mich«

Jena: Die Kunstsammlung zeigt Bilder und Malerbücher der französischen klassischen Moderne. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht Marc Chagall. 25 Jahre hat er
an seinen Bibel-Illustrationen gearbeitet – ein Lebenswerk in 105 Radierungen.

Von Beatrix Heinrichs

Erik Stephan, seit dem Jahr 2000 Kurator der Jenaer Kunstsammlung, hat schon die Werke vieler namhafter Künstler – darunter Nolde, Rodin, Macke, Picasso, Renoir oder Kandinsky – in die Thüringer Saalestadt geholt. Um die aktuelle Schau vorzubereiten, brauchte es knapp drei Jahre. Aus einer umfangreichen Privatsammlung stammen die sogenannten »livre d’artiste«, Malerbücher von Marc Chagall, Henri Matisse, Joan Miró, Pablo Picasso und anderen Künstlern, die in der Ausstellung zu sehen sind. Gemälde und Gouachen haben Museen aus Frankreich, Belgien, Deutschland und der Schweiz zur Verfügung gestellt. »Malerbücher sind wahre Schätze«, schwärmt der Kurator. Erschienen sind sie in geringen Auflagen: Liebhaberstücke sind es, bedruckt auf ausgewähltem Büttenpapier, die Buchdeckel, Prachteinbände, sind kunstvoll und indivi­duell gestaltet.
Herzstück der Ausstellung sind Chagalls Malerbücher, ein wesentlicher Teil davon seine Bibel-Illustrationen. Die Anregung zu dieser Arbeit bekommt der französische Maler russisch-jüdischer Herkunft 1931 von dem einflussreichen Pariser Kunst-händler Am­broise Vollard. Der hegt eine besondere Leidenschaft für die Künstler-bücher. In Vollards Auftrag hatte Chagall einige Jahre zuvor schon 96 Radierungen zu Nikolai Gogols »Toten Seelen« gefertigt. Nun die Geschichten des Alten Testaments, eine Aufgabe, in die sich Chagall völlig hineinbegibt. Er reist nach Palästina, mit dem Bestreben, Licht, Luft und Land der biblischen Szenerie einzufangen, nutzbar zu machen für seine Kunst. Gelingen will ihm das nicht, die Milieustudie wird ihm zur Enttäuschung. Die Wende bringt ein Besuch in den Niederlanden bei Rembrandt. Chagall arbeitet fortan mit Voll- und Halbtönen: Durch die Hell-Dunkel-Kontraste gewinnen seine Bilder an Dimension. Aber es ist nicht die Technik allein, auf der sich die Eindrücklichkeit der Radierungen gründet. Woraus seine Illustrationen schöpften, sei der poetische Gehalt der Bibelgeschichten, den Chagall in eine eigene Bildsprache übersetze, meint Erik Stephan. Daher wohl auch sein Beiname »le poète« (der Dichter), wie Chagall im Kreis der Künstler genannt wird, die sich zu Beginn des 20. Jahrhun-derts in Paris sammeln. Eingang in seine Bilder finden auch die Prägungen der frühen Jahre, die Frömmigkeitsvorstellungen seiner Kindheit, diese besondere Empfindung für die Allgegenwart Gottes, die mystischen Elemente, wie sie charakteristisch sind für das chassidische Judentum. Ganz wesentlich eingeschrieben in Chagalls Kunst aber ist sein persönliches Schicksal.
Geboren wird Marc Chagall 1887 als ältestes von neun Kindern einer armen jüdisch-orthodoxen Arbeiterfamilie nahe Witebsk in Weißrussland. Sein Weg führt ihn über St. Petersburg nach Paris, wo er 1910 sein erstes eigenes Atelier bezieht, von da, am Vorabend des ersten Weltkriegs, wieder zurück nach Russland. Es folgen Euphorie und Enttäuschung im Zuge der Oktoberrevolution und die Rückkehr nach Frankreich. Von hier emigriert Chagall 1941 nach New York. Zwei Jahre nach Kriegsende kehrt er schließlich nach Frankreich zurück. Der zweite Weltkrieg markiert eine Zäsur, über lange Zeit ist Chagall nicht in der Lage zu arbeiten. Und so entstehen die Bibel-Motive in zwei Schaffensphasen, von 1931 bis 1939 und von 1952 bis 1955. Der griechisch-französische Kunstsammler und Verleger Tériade, einer der einflussreichsten Persönlichkeiten im Kunstbetrieb des Paris der 1930er-Jahre und der Nachkriegszeit, führt das von Vollard begonnene Projekt fort. 1956 erscheint die Chagall-Bibel mit den 105 Radierungen. Eigens für die Buchausgabe fertigt Chagall noch einmal 28 Lithographien, davon 16 in Farbe.
Bis zu seinem Tod 1985 bleibt Chagall ein Wanderer zwischen den Welten, den Kulturen. Immer im Gepäck die Sehnsucht nach der fernen Heimat. Sie mag der Nährboden für seine Werke gewesen sein. Die Dramatik seiner bildnerischen Sprache, wie sie im Besonderen in den Bibel-Illustrationen zu finden ist, erwächst nämlich aus dem Spannungsverhältnis von Licht und Schatten – im doppelten Sinne: Da ist die helle Botschaft der göttlichen Verheißung auf der einen Seite, und da sind die dunklen Zeiten des Lebens, die bittere Armut der frühen Künstlerjahre, der Krieg, das Leid des jüdischen Volkes, auf der anderen.
Beispielhaft dafür steht die Illustration »Arche Noah«. Das gleißende Licht, das durch das Fenster in den dunklen Bauch des Schiffs fällt – die Perspektive von innen nach außen gerichtet. Erwartungsvoll blicken Ziege und Hahn, als Noah die Taube aussendet. Im Hintergrund, fast unscheinbar, die Mutter. Es scheint, als ließe sie die Welt »draußen«, die Sintflut, die Sorge um das »Danach«, völlig unberührt. Ihre ganze Aufmerksamkeit gehört in diesem entscheidenden Moment ihrem Kind, dem kleinen Bündel in ihrem Arm. Obgleich im Schatten, wird sie so zum eigentlich leuchtenden Element im Bild.

»Marc Chagall – ›Ich bin sicher, Rembrandt liebt mich‹ » ist bis zum 18. November in der Kunstsammlung Jena zu sehen.

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Online-Redaktion

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