Valentinstag
Vom Schlüssel zur Liebe

Der Traum von der ewigen Liebe wird noch heute geträumt – obwohl er der Realität oft nicht standhält. Braucht es aber einen Tag für das große romantische Gefühl? Eine kritische Betrachtung.

Von Andreas Oehler 

Wer schon mal dazu neigt, den Hochzeitstag oder das Datum der Verlobung zu vergessen, hat für gewöhnlich einen Ersatztermin, die Scharte wieder auszuwetzen: den Valentinstag. Bei den Floristen und in der Gastronomie herrscht dann Hochbetrieb. Wobei der Tag auch Fragen aufwirft. Selbst in der katholischen Kirche herrscht Verwirrung darüber, welcher Heilige denn nun der Namensgeber dieses Feiertags für Verliebte sei. Deshalb wurde er 1969 gleich ganz aus dem liturgischen Kalender gestrichen.

Valentin von Terni könnte es gewesen sein. Trotz eines damals verhängten Eheverdiktes soll der Bischof Liebespaare getraut haben. Deswegen wanderte er ins Gefängnis und wurde 269 enthauptet. Vorher unterschrieb er noch einen Abschiedsbrief an die Tochter des Gefängniswärters mit „Dein Valentin“. Das Musterformular für alle "Love-Letters"?

Im angelsächsischen Raum erfreut sich der Valentinstag seit langem großer Beliebtheit, nach dem Zweiten Weltkrieg bürgerte er sich auch in Deutschland ein. Was immer man von so einem Tag halten mag: Es ist ein Hochfest der Blumenindustrie. Die gab es offenbar auch schon im alten Rom, wo ebenfalls am 14. Februar, dem Tag der Göttin Juno, der Bewahrerin von Ehe und Familie, Blumen verschenkt wurden.

Es ist wohl eine anthropologische Grundkonstante, sich an rituellen Tagen gegenseitig der gemeinsamen Liebe zu versichern. Aber wie viel Sicherheit lässt sich heutzutage noch daraus ableiten? Ehen werden nicht mehr auf Lebenszeit geschlossen. In Deutschland liegt die Scheidungsrate bei 40 Prozent. Der weltumspannende Arbeitsmarkt, der den mobilen Jobnomaden kreierte, mutet vor allem jungen Paaren oft Fernbeziehungen zu. Einerseits wollen sie ihren eigenen Karriereansprüchen genügen, andrerseits suchen sie Nähe bei einem Partner in einer trauten Umgebung. Ein Seelenspagat, der für jede Beziehung eine Zerreißprobe darstellt.
In einer solchen Zwangslage gewinnen symbolische Gesten an Bedeutung. An zahlreichen Brücken der Welt befestigen inzwischen verliebte Paare kleine Vorhängeschlösser, in die sie ihre Namen eingraviert haben.

Den Schlüssel werfen sie in den Fluss oder auf die Gleise. Die tonnenschwere Last gefährdet die Statik und ruft den Denkmalschutz auf den Plan. 2014 wurde in Paris eine Brücke dadurch schwer beschädigt. Bolzenschneider machen dem Spuk meist ein Ende. Die toleranten Kölner lassen die Verliebten an der Hohenzollernbrücke gewähren.

Was soll dieser Brauch? Kein Liebender, der solche Schlösser erwirbt, träumt davon, ewig aneinandergekettet zu bleiben, ohne Schlüssel, der dieser Zwangsvereinigung ein Ende macht. Diese neue Sitte funktioniert nur, weil sie anachronistisch ist. So aus der Zeit gefallen wie das handgeschöpfte Büttenpapier und der rote Siegellack, die mittlerweile in jeder Papeterie angeboten werden – die Ausstattung für den reitenden Postillon d’Amour aus den Zeiten der drei Musketiere, als die Briefe noch mit dem Armbrustpfeil an das Fenster der Angebeteten gepinnt wurden.

Brief und Siegel existieren inzwischen nebeneinanderher mit mobilen Dating-Apps, die zur Anbahnung von Flirts oder zur Verabredung von unverbindlichem Sex verwendet werden. Dem beschleunigten Lebensgefühl des flexiblen Menschen im Zeitalter der Globalisierung mag diese Form der Liebesverbindung ohne jegliche Verbindlichkeit angemessen sein: das Herz nicht heften an Ort oder Mensch, nur das Lebensgefühl festhalten. Der Lebensabschnittsgefährte ist Prototyp des Partners im 21. Jahrhundert – auch wenn viele junge Leute von der ewigen Liebe träumen. Und den Valentinstag feiern.
(kna) 

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Online-Redaktion

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