Mit Gottes Hilfe aus der Abhängigkeit

Jens Reinländer ist seit sechs Jahren trocken. Es wird leichter, man darf nur nicht den Mut verlieren, sagt er. | Foto: Dana Toschner
  • Jens Reinländer ist seit sechs Jahren trocken. Es wird leichter, man darf nur nicht den Mut verlieren, sagt er.
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Befreit: Bei einer Therapie im Diakonie-Krankenhaus Harz hat Jens Reinländer zum christlichen Glauben gefunden. Seit 2011 ist er trocken. Hier erzählt er seine Geschichte:

Ich habe 15 Jahre lang gesoffen und weiß noch sehr genau, wie alles anfing. Zuerst war mein Alkoholkonsum normal, hier und da habe ich bei Partys getrunken. Einmal hatte ich einen Kasten Bier gekauft, weil ich ein paar Leute gebeten hatte, mir beim Umzug zu helfen. Als die nicht wie verabredet kamen, war ich frustriert und habe den Kasten alleine geleert. Über viele Jahre hinweg habe ich versucht, Probleme oder Unzufriedenheiten wegzutrinken. Ich fühlte mich einfach besser, die Probleme schienen kleiner, wenn ich getrunken hatte. Dann steigerte sich die Menge. Ich wurde zum Spiegeltrinker, das heißt, dass ich den ganzen Tag über einen bestimmten Alkoholpegel im Blut halten musste.
Ich habe schon morgens vor der Arbeit mein erstes Bier getrunken. Weil ich als Elektriker viel draußen im Einsatz bin, hat das zunächst niemand gemerkt. Nachmittags und abends ging es dann mit Whiskey Cola weiter, die war an jeder Tankstelle verfügbar. Zu Hause hatte ich Alkohol-Verstecke, es war also immer Vorrat da. Ich spiele im Jugendblasorchester Tenorhorn. Wenn ich damals zu den Proben und Konzerten gegangen bin, war ich natürlich auch nicht nüchtern. Aber ich fühlte mich gut und dachte, niemand merkt mir etwas an.
Aber das stimmt nicht, mittlerweile hatten viele mitbekommen, was mit mir los ist. 2009 sagte eine meiner Orchesterkolleginnen, die ich schon sehr lange kenne und deren Meinung mir wichtig ist, dass ich was ändern muss, wenn ich die Jugendweihe meiner Tochter noch erleben will. Dieser Satz hat mich beschäftigt. Er war der Wendepunkt. Ich habe gemerkt, dass ich ohne Hilfe nicht mehr klarkomme. Auch mein Arbeitgeber sagte, dass ich in dem Zustand nicht zur Arbeit kommen kann. Ich habe dann mit meiner Frau geredet, und sie hat mich zu einer Psychologin begleitet. Dann habe ich recht schnell einen Platz zur Entgiftung im Ballenstedter Krankenhaus bekommen. Dort habe ich zum ersten Mal gehört, dass Alkoholismus eine Krankheit ist. Allerdings ist es keine, die man so einfach abschütteln kann.
Schon zwei Wochen später habe ich wieder angefangen zu trinken. Und so ging es dann immer weiter. Ich habe sieben Entgiftungen und zwei Langzeit-Therapien hinter mir. Ich bin immer wieder rückfällig geworden, weil ich mir eingebildet habe, dass ich es schaffen könnte, kontrolliert zu trinken. Also nur ein oder zwei Bier am Tag. Aber das funktioniert nicht.
Nach der letzten 15-wöchigen Langzeit-Therapie in Elbingerode habe ich es endlich geschafft. Während der Therapie hatten wir die Möglichkeit, jeden Sonntag den Gottesdienst im Diakonissen-Mutterhaus zu besuchen. Mich haben die Gottesdienste immer zum Nachdenken gebracht, obwohl ich bis dahin eigentlich kein gläubiger Mensch war. In den Predigten erkannte ich mich wieder. Sie waren gar nicht so weltfremd, wie ich immer dachte. Ich habe beschlossen, mich darauf einzulassen.
Heute glaube ich an Gott, auch wenn ich eher unregelmäßig in die Kirche gehe. Ich lebe den Glauben für mich allein. Nach einem Gottesdienst in Elbingerode, bei dem ich Gott um Hilfe bat, meine Sucht in den Griff zu bekommen, spürte ich: Jetzt ist es vorbei. Beim Duschen hatte ich das Gefühl, eine Last von mir abzuspülen. Von da an wollte ich nicht mehr trinken. Ich hatte Hoffnung, es jetzt endlich zu schaffen. Ich fühlte mich nicht mehr allein.
Seit 2011 bin ich trocken. Ich bin stolz, dass ich das geschafft habe. Aber mir ist auch bewusst, dass ich ein Leben lang Alki bleibe. Den Alkoholismus hast du nie überwunden. Deshalb habe ich auch die Selbsthilfegruppe gegründet. Hier tauschen wir uns aus und üben Verhaltensweisen, die uns in kritischen Situationen helfen, nicht rückfällig zu werden. Wir haben zu Hause keinen Alkohol im Haus. Das schützt mich. Wenn Freunde kommen, bringen die selbst ihr Bier mit und nehmen das, was nicht getrunken wurde, auch wieder mit nach Hause.
Mein Umfeld weiß Bescheid – meine Freunde, Kollegen und die Familie. Aber es gibt Situationen, in denen ich in Versuchung gerate. Wenn ich zum Beispiel mit dem Orchester auf einem Schützenfest spiele, dann denke ich daran, in der Pause ein Bier zu trinken. Damit das nicht passiert, gehe ich eine Runde spazieren. Das Bierzelt ist sozusagen eine Stresssituation für mich. Mein Suchtgedächtnis will mir sagen: He, dir könnte es gleich besser gehen, wenn du jetzt ein Bier trinkst. Diese Situationen kennen die meisten trockenen Alkoholiker. Das Gute ist, dass es über die Jahre leichter wird. Man darf nur den Mut und die Willenskraft nicht verlieren. Weil wir uns gegenseitig unterstützen, ist die Selbsthilfegruppe wertvoll für uns. Im Moment kommen sieben Männer und Frauen. Die Gruppe richtet sich an trockene Alkoholiker, aber auch an die, die noch trinken und von ihrer Sucht loskommen wollen. Jeder hat ja seine eigene Geschichte, seine eigenen Probleme. Aber die Erfahrungen der anderen sind Gold wert. Wer sich eingesteht, dass er Hilfe braucht, der ist bei uns willkommen. Wir zeigen einen Weg aus der Sucht auf. Ich selbst führe heute ein anderes Leben als vor der Therapie. Ich habe vieles verändert. Ich bin glücklich, weil alles so gut läuft. Ich brauche keinen Alkohol mehr, um zufrieden zu sein.« Inzwischen ist Jens Reinländer seit sechs Jahren trocken und unterstützt mit der Selbsthilfegruppe »Clean Life« in Halberstadt andere dabei, einen Weg aus der Sucht zu finden.

Aufgeschrieben von Dana Toschner

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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