Ein Bußwort zum Auftakt

Die Erklärung trugen in der Erfurter Michaeliskirche Ellen Schellbach und H.-Christoph Maletz vor. | Foto: Willi Wild
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Im Eröffnungsgottesdienst der Landessynode der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) in Erfurt wurde ein vom Landeskirchenrat verabschiedetes »Bußwort« verlesen:

I.
Im Gedenkjahr „500 Jahre Reformation“ hören wir aufmerksam die erste der Wittenberger Thesen Martin Luthers: „Indem unser Herr und Meister Jesus Christus sagte: … ‚Tut Buße‘ usw. (Matth. 4,17) wollte er, dass das ganze Leben der Glaubenden Buße sei.“
Buße bewahrt als das Bekenntnis der Glaubenden zu ihrem Sündersein den fundamentalen Unterschied zwischen Gott und Mensch, zwischen Schöpfer und Geschöpf. Die Fähigkeit zum Schuldeingeständnis und das Versprechen der Vergebung durch Gott sind Zusage und Merkmale menschlicher Würde. Mit dem Eingeständnis unserer Schuld und der Bitte um Vergebung stellen wir uns unserer Verantwortung vor Gott und den Menschen.
Buße führt zur Umkehr und verpflichtet uns, „Gerechtigkeit für alle Benachteiligten und Unterdrückten zu schaffen, dem Frieden mit gewaltfreien Mitteln zu dienen, Leben auf dieser Erde zu schützen und zu fördern“ (Ökumenische Versammlung 1989 Dresden).
Umkehr macht frei, das Leben verantwortlich zu gestalten. Umkehr hilft uns, mit unserem Handeln in der Geschichte verantwortlich umzugehen. Bei dieser Aufgabe steht unser Leben unter der Verheißung des schon angebrochenen Reiches Gottes.

II.
Wir blicken dankbar zurück, dass wir unter staatlichem Druck in der Zeit der SBZ und der DDR als Kirche dem Auftrag Jesu Christi folgen konnten. Die Machthaber und ihre Sicherheitsbehörden sind damit gescheitert, den christlichen Glauben zu beseitigen oder das kirchliche Leben ihren Zielen vollständig zu unterwerfen. Viele Christen haben widerstanden, sich nicht erpressen und locken lassen. Dafür sind wir Gott und den Menschen dankbar.
Angesichts dieser Erfahrung bekennen wir: Wir haben staatlichem Druck zu oft nicht standgehalten. Wir haben Fürbitte und Fürsprache geleistet, Unrecht jedoch oft nicht deutlich genug widersprochen. Wir haben uns bis heute nicht in der nötigen Weise unserer zu geringen Unterstützung für die Menschen gestellt, die in der Landwirtschaft, dem Handwerk und anderswo enteignet wurden, den von Zwangsaussiedlungen und Entheimatung Betroffenen, den politischen Gefangenen in der DDR und den in den Suizid Getriebenen.
Wir beklagen, dem SED-Staat nicht klarer und kompromissloser entgegen getreten zu sein. Wir haben dabei die Erkenntnisse aus der Barmer Theologischen Erklärung nicht ernst genommen. Wir erkennen darin ein geistliches Versagen.
Wir beklagen die Fälle, in denen Pfarrer und Pfarrerinnen und kirchliche Mitarbeitende mit staatlichen Stellen konspiriert, Vertrauen verletzt und Anderen Schaden zugefügt haben und dass wir unsere Verflochtenheit in diese Schuld bis heute nicht bekennen.
Wir beklagen die Fälle, in denen Mitarbeitende in Kirche und Diakonie, die aus politischen Gründen drangsaliert und auch in ihren Kirchen disziplinarisch belangt, im Stich gelassen oder gar entlassen wurden. Bis heute übernehmen wir als Kirche nicht die nötige Verantwortung für Menschen, die unter Mithilfe oder nach Verrat aus kirchlichen Kreisen inhaftiert, gedemütigt, traumatisiert oder zur Ausreise gedrängt wurden. Dazu gehört auch, dass Pfarrerinnen, Pfarrern und anderen kirchlichen Mitarbeitenden, die in schwerer persönlicher Bedrängung keinen anderen Weg als die Ausreise aus der DDR gesehen haben, die Freigabe zum Dienst in westdeutschen Kirchen verweigert wurde.

III.
Wir haben versucht, Irrwege, Unrecht, Verrat und Versagen der Kirchen und ihrer Verantwortungsträger in der Zeit zwischen 1945 und 1989 zu benennen.
Wir sehen mit Schmerz, dass Aufarbeitung und Schuldeingeständnis bisher nur teilweise geschehen sind. „Wenn Schuld konkret beim Namen genannt wird, erweisen wir uns als Selbstgerechte, die schnell ein Urteil über andere sprechen, oder wir verharmlosen, leugnen ab, fühlen uns verkannt, wenn es um unser Versagen geht.“ (EKKPS 19951). Es konnte „nicht festgestellt werden […], dass eine offene, gerade bei den Opfern Vertrauen schaffende Aufarbeitung gelungen ist.“ (ELKTh 20052).
„Mehrfach mussten die Basisgruppen sich den Raum in der Kirche gegenüber den kirchlich Verantwortlichen erstreiten. Wir sehen heute, dass sie nicht immer als selbstverständlicher Teil unserer Kirche betrachtet wurden. Gleichzeitig ist denjenigen in der Kirche zu danken, die diese Gruppen unterstützt haben.“ (Landeskirchenrat 20093).

IV.
Wir bitten Gott und die Menschen, die durch die Kirchen und ihre Mitarbeitenden geschädigt wurden, um Vergebung.
Wir sehnen uns nach Wahrheit und Gerechtigkeit. Wir wollen uns unserer Schuld stellen. Wir wollen Verantwortung übernehmen. Wir wollen Versöhnung ermöglichen.
Wir glauben, dass das Bekennen unseres Irrens, unseres Versagens und des bewusst begangenen Unrechts unter der Verheißung unseres Herrn Jesus Christus für ein erneuertes Leben steht.
Wir sehen die immer noch gestörten Beziehungen in unserer Gesellschaft und die Verletzungen 27 Jahre nach dem Ende der DDR. Wir wollen das uns Mögliche für eine Heilung der Erinnerung und für Versöhnung tun.
Wir vertrauen darauf, dass wir mit diesem Bekenntnis unserer Schuld durch Gottes Verheißung frei werden, heute und hier als Kirche Jesu Christi Verantwortung für unsere eigene Geschichte und die Folgen unseres Handelns wahrzunehmen.

Autor:

Adrienne Uebbing

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