PASSIONSGESCHICHTEN (13)
VON DEM BECHER

3. v. l. DER GRAL - Indiana Jones und der letzte Kreuzzug (Bildschirmfoto)
(Abenteuerfilm mit Harrison Ford und Sean Connery - 1989)
  • 3. v. l. DER GRAL - Indiana Jones und der letzte Kreuzzug (Bildschirmfoto)
    (Abenteuerfilm mit Harrison Ford und Sean Connery - 1989)
  • hochgeladen von Matthias Schollmeyer

Es gab einmal ein Ding, das hieß der Gral. Und es ist geradezu rührend, wie das Suchen nach diesem imaginären Becher die abendländische Geschichte beharrlich durchzieht. Als reizvolles Dauerabenteuer führte der Weg diejenigen, welche an der Suche teilnahmen, stets über die Grenze des Bekannten hinaus - meistens bis in morgenländische Bereiche hinein. Ohnehin der christliche Kulturglaube aus dem Osten stammt und mit dem Niedergang des Abendlandes Oswald Spengler wohl eher die Minderwertigkeit des nördlich der Alpen gelegenen Barbarentums kennzeichnen wollte, leuchtet der Wegweiser zum Morgenland ein. Wo ist der Gral?

Sein edles Gefäß stammt aus der Stadt Jerusalem, die damals noch nicht ein Exil für Europäer gewesen, sondern Erbhauptstadt des vom HERRN erwählten Volkes war. Dort vollzog sich die Kreuzigung seines Sohnes, dessen Blut mit frischer Welle aus dem geschundenen Leib sprang und - den Gesetzen der Schwerkraft gehorchend wie bereits Abels Blut - in den Erdboden zu dringen gerade im Begriffe war - als einer herzu lief und die kostbare Substanz nicht umkommen lassen wollte, sondern mutig auffing. In einem besonderen Gefäß auffing. In dem Heiligen Gral auffing, einem Becher besonderer Art.

Dieser Becher - das Internetz gibt bereitwillig allerlei Auskunft, deren hier aber nicht gedacht werden muss - ist von uralter Herkunft und mannigfach ranken sich Mythos und Trugfabel, Sage, Mär, Lüge, Legende und Wahrheit um Herkunft und Ursprung. Luzifer hätte damals einen Stein aus seiner Krone eingebüßt, als er vom Himmel verstoßen und Adam hätte das Kleinod dann wiedergefunden, als er fort aus dem Paradies hin zur Erde entsandt wurde. Lange in der Erde verborgen gewesen, wäre aus dem Stein eine Art Holz geworden - wenn doch Holz durch Versteinerung Stein werden kann, ist auch das Entgegengesetzte möglich. Wasser wird Wein und Nilflut Blut. Groß werden Erzählungen sowieso nur durch Verwandlung des eigentlich Unwandelbaren: Lazarus lebt und Gott stirbt. Engel stürzen und Menschen steigen auf. Sünder werden angenommen und Gerechte zur ewigen Strafe verdammt. Das ist der große Themenkatalog, aus deren Urtiefe Religionen entstehen und dort auch wieder vergehen, wenn sie die eigenen heiklen Themen nicht mehr verhandeln können, weil sie sich entweder dafür schämen, das Unmögliche für möglich zu erklären, oder wenn sie kniefällig vor der Götzin Vernunft geworden sind. Auch dann, wenn sie nur noch sagen möchten, was der letzte tumbe Tor sofort verstehen wird, weil er es schon kennt. Dann ist es aus. Wie dem auch sei: Da ward aus dem Steinholz eines Tages ein Becher gedrechselt - und der kam irgendwie in die Werkstatt Josephs. Und es nahm sich der Zimmermannssohn Jesus den Becher mit auf seine Reise. Sie nutzten ihn beim letzten Abendmahl in jedem Obergemach, wo Johannes an der Brust Jesu lag und Judas draus trank, wie auch Petrus gleich danach. Auch nahmen sie das Gefäß mit in den Nachtgarten. Der Becher war tatsächlich in Gethsemane, wo ein Trostengel ihn vom Himmel herab mit stärkendem Elixier füllte. Und in der Erzählung wurde der Becher bald zum Pokal, der Pokal der Gral und keiner weiß, wo der jetzt ist. Denn die Templer hatten ihn wohl als Letzte - aber dann ging er irgendwie verloren.

Nicht ganz - Parcifal fand ihn, denn die Ritter der Tafelrunde hüteten das heilige Teil irgendwo bei Avalon im Nebel einer Burg, unnahbar unsern Schritten, die Monsalvat genannt. Merlin hochachtet das Gefäß, Lohengrins Vater hatte damit zu tun und Kundry mit ihm zu schaffen. Richard Wagner füllt heute noch die kleine Bayreuther Phantasiebude auf dem Grünen Hügel mit stundenlangen Kunsterlebnissen, die sich um den Gral drehen. Und Holywood hat schließlich Indiana Jones losgeschickt, um ihn zu suchen und finden zu lassen. Im Augenblick liegt der Becher dem Drehbuch Steven Spielbergs entsprechend in einer vorderorientalischen Felsschlucht. Irgendwo bei Petra, wenn die IS-Leute ihn inzwischen dort nicht aufgespürt haben, was Gott verhüte.

Denn der Gral macht unsterblich, er heilt alle Gebrechen und macht reich. Er ist zugleich der Stein der Weisen und die geheime Weltachse, um die sich alles dreht. Corona ist kein Problem für die, die aus ihm tranken. Er gehört niemandem und nur eine kleine unbekannte Elite von guten Menschen ahnt ein wenig, wo er aufbewahrt werden könnte. Genug …

Er darf aber nicht zum Prunkbecher verkommen, sondern muss das Trinkgefäß des wanderpredigenden Handwerkersohnes bleiben. Der bußfertige Mann findet den Weg.  Der, welcher weiß, wie der Name Gottes zustande kam, sich bildete und alles andere bildet. Und nur die, die sich nicht fürchten, ins Abgründige hinauszutreten. Denen legt sich der Becher selbst in die Hand. Und deshalb suchen ihn zwar nicht alle, aber viele. Vielleicht finden ihn mehr als wir denken. Aber weil die Findenden nicht allzu laut darüber lamentieren, sieht es so aus, als ob es den Gral gar nicht gibt und es ihn nie gab. Ohnehin scheint er eher ein geistiges als ein materielles Gefäß zu sein? Die Legende erzählt zwar, wie der arimathäische Joseph vermittels eines Gefäßes das Blut Jesu auffing. Was mit dem Blut dann aber geschah, wird nirgendwo berichtet. Darum möchte ich vorschlagen, dafür zu plädieren, dass das Blut Jesu sich in jenen Metastoff aufgelöst habe, der alles ausfüllt (gemäß der antiken Äthertheorie).  Auf diese Weise wäre das Steinholz "durchlauchtet" worden und der Gral konnte nicht ausgegossen werden. Ätherischer Geist als Metaspiritus Blut hätte auf diese Art mit der Profanmateria des Edelholzes so etwas wie jene Coniunctio oppositorum ergeben, von der C.G.Jung in seinem Alchemiebuch so bewegend schreibt. Nun - mögen die Suchenden ihren eigenen Theorien in Ehrfurcht selber nachhängen ...

Das ist auch der Sinn dieser phantastischen Erzählung. Auf diese Weise wird das Alltägliche heilig gemacht, indem das Heilige in das Alltägliche einzieht. Der Kelch, den wir bis vor einem Jahr - oft selbstvergessen und wie nebenbei - sonntäglich miteinander teilten? Das war der Gral. Er ist uns irgendwie fast doch verloren gegangen. Nun werden die Kirchen darum gebeten, auf die Realpräsenz echter Gemeinschaftlichkeit zu verzichten. Das ist ein weiterer gewaltiger Schritt zu auf die Mitte des Mysteriums. Der Gral macht sich nichts aus Viren und Statistiken. Wenn die Kirche sich die Kraft ihrer Urfeiern von denen wegbitten ließe, die ihren Tisch nicht kennen und nie von Brot und Kelch genossen haben, ist das Ende des Abendlandes in Sicht.

"Hätten die Nüchternen
Einmal nur gekostet,
Alles verließen sie,
Und setzten sich zu uns
An den Tisch der Sehnsucht,
Der nie leer wird.
Sie erkennten der Liebe
Unendliche Fülle,
Und priesen die Nahrung
Von Leib und Blut."

Novalis: Hymne 1798

Autor:

Matthias Schollmeyer

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