Schöpfung
Jubilate 8.5.2022

Genesis 1,1-5

Gott befiehlt (יהי) das Licht (אור) in’s SeinVorab wurde berichtet (Genesis 1,1), dass Himmel (Plural) und Erde (Singular) geschaffen wurden. Wenn man einigen jüdischen Kabbalisten folgen will (warum auch nicht?) entsteht unmittelbar im Zusammenhang bzw. sogar noch vor! dieser Erschaffung von Himmeln und Erde die Sphäre der Zeichen (אתות). Die Reihenfolge des Erschaffenen vollzöge sich demnach  in folgendem Takt: Zeichen (את), Himmel (השמים), Zeichen (ואת) und Erde (הארץ). Die im Folgenden kurz erläuterte Interpretationsvariante der ersten Genesisverse lässt also eine Zeichenwelt entstehen.

Davon vermeldet die landläufige Lutherübersetzung natürlich nichts. Und auch andere Übersetzungen geben nur den bekannten Text wieder. Das hebräische Wort für Zeichen (את) wird aus dem ersten und letzten Buchstaben des hebräischen Zahlenalphabets gebildet. Und findet sich zweimal im ersten Vers der Genesis. Wird in den "seriösen" Textauslegungen aber nur als Akussativpartikel verstanden, was auch völlig angemessen ist. Jedoch sieht die Auslegung der zusätzlich in alle Details der Details schauenden Kabbalistik mehr - und sieht damit eine vor der Schöpfung von Himmeln und Erde liegende Prä-Schöpfung der Zeichen (bzw. Zeichenketten) von א bis ת bzw. in umgekehrter Reihenfolge von ת bis א. Man könnte diese Zeichen als Werkzeugkasten bzw. Toolbar des HERRN verstehen.

Der später zu formende vorerst wüst-und-leere Erdurstoff (הארץ), der bereits schon vor dem Licht da war, wird mit dem Begriff Tohuwabohu (תֹ֨הוּ֙ וָבֹ֔הוּ)bezeichnet - was philologisch exakt auch mit "alles-nichts-und-in-ihm" zu übersetzen wäre. Die sonderbaren Verhältnisse im Zustand des Tohuwabohu werden uns im Vers 2 mit drei Begriffen näher beschrieben - große Finsternis (חשך), enorme Tiefe (תהום) und riesiges Urmeer (המים). Und - der Geist Gottes brütet darüber ("Braus Gottes schwingend über dem Antlitz der Wasser." Übersetzung Martin Bubers).

Gott sah nun, dass das eben durch sein Wort geschaffene Licht gut und schön war. In Folge dieses göttlichen Gefallens (כי־טוב) am Lichte ergab sich zwangsläufig auch das Nicht-Lichte, von dem nicht berichtet wird, dass es Gefallen gefunden hätte. Es wird ebenfalls nicht berichtet, dass das Nicht-Lichte missfallen hätte! Es wird von Gott allerdings als Ungeschaffenes, als Nicht-Licht, als lichtlos qualifizierte sekundäre Finsternis (חשך) und als zwangsläufig mit dem Licht nur Zusätzlich-Entstandenes mit einem eigenen Namen (לילה - Nacht) benannt. Aber die Nacht ist eben nicht, wie es vorher beim Licht der Fall gewesen ist, durch das gerufene Wort (יהי) erschaffen worden! Das sind feine aber enorm bedeutsame Unterschiede, die man beim eiligen Lesen wohl kaum - aber bei der Meditation des Textes sehr wohl bemerken wird.

Von dem seines eingeschlossenen Lichtes reduzierten chaotischen Urzustand des in Gen 1,2 genannten Tohuwabohu (der Urfinsternis) blieb nach der Erschaffung des Lichts (sozusagen als defizitäres Überbleibsel und Asche dieses Urstoffs) eine Art besonderer Finsternis zurück - und Gott schied sein Licht von dieser sekundären Finsternis (Gen 1,4). Diese Scheidung geschieht mit dem Werkzeug der beiden Begrifflichkeiten "Tag" bzw. "Nacht." Alle folgenden Benennungen und Bezeichnungen sind übrigens aus dem Bestand der oben (Vers 1) erwähnten doppelten Zeichenketten (את … ואת ) genommen. Die Besonderheit der sekundären lichtlosen Nachtfinsternis (Vers 4) im Vergleich zur ersten Urfinsternis (Vers 2) besteht darin, dass die zweite nun ohne die aus dem Chaos herausgerufenen lichten Bestandteile unterwegs sein muss. Diese zweite Finsternis bleibt zwar nach wie vor ungeschaffen wie auch die erste es war - aber als zweite wird sie jetzt mit einem besonderen Namen benannt (Nacht - לילה). Sie ist finstere Nacht, weil und indem das Licht nicht in ihr ist. Ob die zweite Nacht-Finsternis im Sinne von Sein überhaupt selber „ist", wird man wohl nicht genau sagen wollen. Diese zweite mit einem Namen benannte Finsternis "ist" nur, indem sie sich an das zeitweilig nächtliche Nichtsein des Tag genannten Lichtes anlehnen darf, - genau an der Stelle, wo die beiden Dämmerungen den Tag zur Nacht und die Nacht zum Tag werden lassen.

Kann man sagen, dass mit der Scheidung des geschaffenen Lichts einerseits von der unerschaffenen posturstofflichen Finsternis andererseits der "Unterschied an sich" erschaffen wurde? Und dieses sonderbare Ding "Unterschied" nunmehr in alles dasjenige hinein gesenkt wird, woraus die Welt werden sollte und immer noch wird? Dieser vorerst nur rein strukturelle Unterschied zwischen erschaffen Benanntem (Tag-Licht) und nichterschaffen Benanntem (Nacht-Finsternis) wird in Folge der Schöpfung Schritt für Schritt immer weiter im Realen verstetigt. Das heißt - die Struktur eines „Unterschieds an sich” wird in die stoffliche Wirklichkeit hinein platziert und dort als gestaltendes Ordnungsprinzip präsent: Alsbald trennt in einem zweiten Anlauf die Feste am Himmelsgewölbe zwischen oben und unten. Als Kollateralphänomene entstehen Schritt für Schritt zwei miteinander zusammenhängende und doch sehr wohl getrennte Kategorien: Zum Ersten die Abfolge (Zeit) und zum Zweiten der Ort (Raum). Zeit ist dabei die Sukzessivität von Ereignissen - und Raum ist die Szenerie für das Drama ihres sich ausrollenden Daseins.

Jahrhundertelang konnte und wollte man auf diese oder ähnliche Weise über den universellen Sinn-Zusammenhang von Allem mit Allem nachsinnen! Was für ein schönes Glasperlenspiel im Turm kristallener Elfenbeinschnitzereien. Aber irgendwann wollten und konnten sich immer weniger Menschen an der reinen Schönheit solcher theoretischen ewigen Gedanken erfreuen. Es hat ihnen in ihrer Not wohl nicht mehr geholfen ... Damit war das Ende der anspruchsvolleren Metaphysik herbei. Von jetzt ab begannen die Menschen nach Anderem und in ganz anderer Art zu fragen: „Warum bin ich sterblich? Warum muss ich leiden und bin kein Gott? Warum hat mein Nachbar mehr Geld, die hübschere Frau und die schlaueren Kinder?” Kurzum, die existentiell-anthropologische Wende hielt mit vielen fatalen Konsequenzen Einzug im Hause des Denkens und seiner immer lauter zu schnattern beginnenden Scheinwissenschaften. Man schämte sich, das Geheimnis Gottes fröhlich zu loben und zu preisen, und nahm ihm stattdessen übel, wenn es sich als Ganzes trotz aller verbohrten Mühe immer mehr verbarg und definitiv entzogen blieb. Zornig nahm man Abschied von den alten schönmachend guten Worten, brach dafür lieber wütend vor der eigenverschuldeten Gottverlassenheit in die Knie.

Trotzdem - es gibt sie immer noch. Die guten Worte der schönen Schöpfungsgeschichte. Morgen, am Sonntag Jubilate werden wir sie als Predigttext wieder aufgeschlagen ...

Autor:

Matthias Schollmeyer

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