Jeder Christ hat priesterliche Aufgaben

Praktiziertes Priestertum aller Gläubigen: Pfadfinder teilen auf dem Kirchentag das Abendmahl aus. | Foto: epd-bild

Glaubenskurs zur Theologie Martin Luthers: Priestertum aller Gläubigen

Von Peter Zimmerling

Denn was aus der Taufe gekrochen ist, das mag sich rühmen, dass es schon zum Priester, Bischof und Papst geweiht sei.« Luther hat die revolutionäre Forderung des Priestertums aller Gläubigen zuerst in seiner reformatorischen Hauptschrift »An den christlichen Adel deutscher Nation« von 1520 entfaltet. Dahinter steckte nicht nur die Wiederentdeckung eines urchristlichen Gedankens (1. Petrus 2,9), sondern auch die Hoffnung, dass Gott die Reform der Kirche nach dem Versagen der geistlichen durch die weltlichen Verantwortungsträger realisieren würde. Durch die Taufe sind alle Christen zu Priestern geweiht. Ein in hierarchische Strukturen eingebundenes Weihepriestertum hat in den reformatorischen Kirchen fortan keinen Raum.
Bisweilen wird behauptet, dass der Reformator das Priestertum aller Getauften gelehrt habe. Das ist nur insofern richtig, wenn gleichzeitig deutlich gemacht wird, dass es allein der Glaube ist, durch den ein Mensch sich die Gabe der Taufe aneignet: »Taufe, Evangelium und Glauben, die machen allein geistlich und Christenvolk.« Aus dem allgemeinen Priestertum folgt für Luther, dass jeder Christ priesterliche Aufgaben zu erfüllen hat. Er soll Gott loben, Fürbitte üben und das Evangelium verkündigen, »dass er die Leute zu Gott bringe«.
Luther geht davon aus, dass zum speziellen Amt der öffentlichen Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung jedoch eine besondere Berufung notwendig ist, da nicht alle Christen predigen können. Die Gemeinde delegiert Funktionen, die grundsätzlich jedem Christen aufgetragen sind, an Einzelne aus ihren Reihen. Für den Reformator spielt in diesem Zusammenhang das Motiv der Ordnung eine wichtige Rolle: »Wenn wir alle würden predigen, so würde es gleich werden als wenn die Weiber zum Markt gehen, so will keine der andern zuhören und wollen alle reden.« »Wenn jedermann predigen wollte, wer wollte zuhören?« Das kirchliche Amt ist im Protestantismus funktional begründet.
Daneben gibt es allerdings einen weiteren Begründungszusammenhang. Nach Luthers Verständnis beruht das Verkündigungsamt gleichzeitig auf dem Willen Gottes. Es ist eine göttliche Stiftung. »Ich hoffe ja, dass die Gläubigen … wohl wissen, dass der geistliche Stand sei von Gott eingesetzt und gestiftet …« Während der Reformator in der Auseinandersetzung mit der spätmittelalterlichen Kirche zunächst den Gedanken des allgemeinen Priestertums betonte, hob er später in der Auseinandersetzung mit den Täufern den Gedanken der göttlichen Einsetzung des kirchlichen Amtes hervor. Es ist von Gott gestiftet, damit die Kirche geordnet und im Frieden ihre Aufgabe erfüllen kann. Es ist Gottes Wille, durch die Amtsträger zu handeln. Auch wenn das Amt der Gemeinde gegenübersteht, um ihr dienen zu können, bleibt es jedoch in der Gemeinde verankert. Das wird an der Berufung ihrer Amtsträger durch die Gemeinde (zumindest jedoch an deren Einverständnis) und an Luthers Überzeugung sichtbar, dass die Gemeinde – nicht etwa die Theologenschaft – die Aufgabe besitzt, die Lehre der Amtsträger zu prüfen.
Theologisch hat für Luther das allgemeine Priestertum Zeit seines Lebens den Vorrang vor dem besonderen kirchlichen Amt. Angesichts zunehmender Säkularisierung und Entkirchlichung leuchtet es ohne Weiteres ein, dass Pfarrerinnen und Pfarrer ihren Dienst gerade heute nur zusammen mit den übrigen Gemeindegliedern tun können. Das Miteinander von Amt und Gemeinde im Engagement für die Verkündigung des Evangeliums ist ganz im Sinne des Reformators! Je mehr Gemeindeglieder dabei mittun, desto wirkungsvoller wird die Arbeit von Pfarrerinnen und Pfarrern sein.

Der Autor ist Professor für Praktische Theologie mit Schwerpunkt Seelsorge und Spiritualität an der Universität Leipzig.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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