DIE CORONABIBLIOTHEK
Teil 5

Inschrift des Tiberius Claudius Balbillus, Vorsteher der Bibliothek unter Kaiser Claudius
  • Inschrift des Tiberius Claudius Balbillus, Vorsteher der Bibliothek unter Kaiser Claudius
  • hochgeladen von Matthias Schollmeyer

"Kommt der Leser nicht zur Bibliothek, geht die Bibliothek zu ihm."
Marcello Cervini (1548–1555) - Protektor des Erzarchivs

Traum 1:
„Ich dringe aus der Erden hervor. Es ist das gewiss die Auferstehung, denn das Ende der Welt findet eben itzt statt. Alle armen Seelen erhalten ein Papyr, darauf steht der Ablaßz und die Zahl der Strafen. Die Zettlin werden von den Seelen mit Jammer und Klagen betrachtet. Da nun die Tränentropfen auf diese Papiryi fallen, verschwinden die Zahlen, werden ausgelöschet ganz - und das Papyr wird rein wie lauterer Schnee. Alles Papyr wird von einem großen violetten Engel eingesammlet und in Feuerflammen geworfen. Ein groß Windsbraut erhebt sich aus dem Schlote und darin steigen die Seelen hurtig wirblend auf zu Gottes goldenem Stuhl. Von dorther dringt viel Gesangs und Lachen. Sie dürfen alle eingehen zur Hymelischen Freudenfeier. Nur ich nicht. Denn ich kann nit weinen - und meine Zahl ist eine so große mit Ziffren, dass darüber hinaus keine gezieferterere mehr ausgezählet werden kann." Da erwache ich mit lautem Geschrey und Schweiß. Und schlafe wieder ein. Und träume zum zweiten ...

Traum 2:
Steig als nackender Knab hinab auf einer zonderbaren Leiter in den Hühnerstall. Daselbst keine Hühner find ich vor - nur plappernde Drachen. Sie wenden ihre Rotaeugelein zu mir und zählen Zahlen - ohne Zahl soviel. Einer von deren Schar weist mir schwarze Eier her, aus denen feine Laute zu vernehmen sind. Es klingt wie Gesang von denen Mönchen oder Nonnen aus einer Kapellen oder alten Kirchen. Ich nehme eines dieser Eier her. Darauf ist die Zahl, die keiner nicht weiß. Man kann sie nicht erkennen. Das Ei verwandelt sich flugs in meiner Hand - zu glühend feinem Golde. Ich lasse das flammende Ei erschreckt zur Erde fallen. Aber eine Stimme sagt: „Martin, Martin - das ist das Weltenei. Und du bist der Weltenmensch. Brüte, brüte, brüte bis nichts mehr gebrütet werden kann …“ In diesem Augenblick weckt mich meine Mutter und der Vater heißt mich harsch, mit ihm zu fahren hinab wieder in das grewlich Bergwerk.

Kommentar von Luther: 
„Gott ist der Traum, über den hinaus Traumatischeres nicht geträumt werden kann“

Kommentar Fr. Dominicus Hetzer:
Der Ketzer kannte also den Bischof Anselm von Canterbury und dessen ontologisches Argument. Hat es aber nicht anwenden können ...

Kommentar von Tusmenitzer: 
„Unter dem enormen Druck, mit dessen Hilfe das Höchste zu denken erzwungen werden sollte, - ich meine jenes Sonderbarste, über das hinaus Sonderbareres nicht gedacht werden kann, - musste zwangsweise auch besonders der Gedanke an etwas Fabelhaftes entstehen. Fast wäre das aber schief gelaufen! Schließlich wurde eine Saug-Glocke angesetzt, eine Beiß-Zange ebenfalls. Dann war es soweit. Der Neuankömmling in der Welt aller aus dem Bereich des reinen Geistes geborenen Dinge ist etwas ganz Besonderes geworden, - kein Geringerer als Gott entstand auf dieser Streckbank des Denkens.
Die Frommen werden nun protestieren, und die Spötter einmal mehr lachen. Wir Ernsthaften jedoch fragen uns, wie ist das möglich? Hier die Erklärung: Stellen wir uns ein Kartenspiel vor. Stellen wir uns Spieler vor, die diese Karten nutzen. Stellen wir uns Regeln vor, nach denen das Spiel funktioniert. Stellen wir uns vor, das Spiel wird tausend Jahre lang ununterbrochen gespielt. Stellen wir uns vor, dass immer einer verliert - aber nicht verlieren will. Deshalb wird kurz vor dem Schluss jedes Spiels die "Besondere Karte" ins Spiel gebracht. Sie kann die Regeln verändern, sogar brechen. Die neue Karte macht, dass man gewinnt, wenn man sie hat. Nun ist es aber so, dass dieses besondere Blatt aus dem Spiel verloren gegangen  ist. Man weiß noch vage, dass sie da gewesen sein könnte - aber man weiß auch, dass sie nie wieder wirklich auftauchen wird. Und genau so etwas Ähnliches ist der monotheistische Gott, - bildlich gesprochen. Der Joker. Die eine Karte, die alles ändert. Immer gewinnt, weil sie verloren ging.“

Jeden Tag bis zum ersten Sonntag im Advent an dieser Stelle
eine neue Traumgeschichte und
ein anderes Bild von einer
berühmten Bibliothek

Autor:

Matthias Schollmeyer

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