»Privilegierte Corporation«

Geschichte: In Magdeburg existiert seit 340 Jahren eine Prediger- Witwen- und Waisenkasse

Von Waltraut Zachhuber

Die Mitgliederversammlung der Prediger- Witwen- und Waisenkasse des Ministeriums der Alten Stadt Magdeburg traf sich dieser Tage zur jährlichen Zusammenkunft. Das klingt nach einem Relikt aus uralten Zeiten. Und das ist es auch. Denn vor 340 Jahren, im Jahre 1677, wurde die Kasse gegründet. Es war die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, der Magdeburg fast völlig ausgelöscht hatte.
Not und Armut gab es genug, auch bei Hinterbliebenen von Pfarrern. Das führte wohl zur Gründung einer Sozialkasse für sie. Aber diese Kasse war auch »eine privilegierte Corporation«, also der exklusive Verein aller Prediger der sechs Pfarrkirchen der alten Stadt Magdeburg, St. Ulrich und Levin, St. Katharinen, St. Jacobi, St. Johannis, St. Petri und Heiliggeist. Wer hier Prediger wurde, musste der Kasse beitreten und Beiträge zahlen. Das Geld stand exklusiv ihren Hinterbliebenen zur Verfügung bzw. diente als Sterbekasse für die Prediger selbst, für ein »würdiges Begräbnis«.
Wer der »Societät« angehörte und mindestens zehn Jahre an einer der Altstadtkirchen Prediger war, konnte ihr lebenslang angehören, auch wenn er später in Erfurt, Jena oder Braunschweig tätig war. Andere Pfarrer, aus Sudenburg oder der Neustadt oder auch reformierte Prediger in der Altstadt, waren nicht zugelassen, ganz zu schweigen von sonstigen kirchlichen Mitarbeitern.

Noch heute werden Beiträge eingenommen

Zehn Pfarrer gründeten 1677 die Kasse, unter ihnen Ernst Bake (St. Johannis; Sohn des Dompredigers Reinhard Bake), Christian Scriver (St. Jacobi; Dichter des Kirchenliedes »Der lieben Sonne Licht und Pracht«) und Heinrich Telemann (Heiliggeist; Vater des Komponisten). Diese »Societäts-Mitglieder« legten die Regeln fest. Außer den Jahresbeiträgen (1882: 15 Mark im Jahr) war bei jeder Wiederverheiratung ein zusätzlicher Beitrag fällig, gestaffelt nach der Altersdifferenz zwischen den Ehepartnern. War die Frau bis zu zehn Jahren jünger, ging es um 30 Mark, war sie 40 bis 50 Jahre jünger, mussten 150 Mark in die Kasse gegeben werden (alle Angaben aus 1882). Zusätzlich speiste sich die Kasse aus Grundstückseinnahmen. Gezahlt wurden den Witwen bzw. Kindern unter 24 Jahren kleine Pensionen (1882: 600 Mark jährlich).
Längst sind die Pfarrgemeinden der Alten Stadt Magdeburg – bis auf St. Johannis – in der Altstadtgemeinde aufgegangen, die inzwischen mit der Martinsgemeinde ein Kirchspiel bildet. Und von den vielen Altstadt-Pfarrstellen sind heute nur noch zwei übrig. Eine Prediger- Witwen- und Waisenkasse wäre also aus vielen Gründen nicht mehr nötig. Aber weil sie durch die Zeiten bestehen blieb, soll sie doch nicht einfach »begraben« werden. Darum werden auch heute in geringem Maße Beiträge eingenommen und »Weihnachtsgelder« an Witwen und Begräbnisbeihilfen gezahlt.
Die ehemaligen und jetzigen Pfarrer und Pfarrerinnen der Altstadtgemeinde würdigten bei ihrer Mitgliederversammlung die 340-jährige Tradition gegenseitiger sozialer Verantwortung. Herzlich dankten sie dem früheren Altstadtpfarrer Norbert Haas für seine jahrzehntelange treue Verwaltung der Kasse. So wie er wird zukünftig keiner mehr die Kasse führen können – das wird jetzt von der Kreiskirchenkasse besorgt. Aber bestehen bleiben soll die Prediger- Witwen- und Waisenkasse der Alten Stadt Magdeburg, ist sie doch ein interessanter Teil örtlicher Kirchengeschichte.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Nord

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