Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen
Ärztin: Genitalverstümmelungen an Frauen auch in Deutschland

Die ehemalige Beschneiderin Tsega vom Stamme der Tigrignas in Eritrea zeigt eine Rasierklinge mit der sie früher ihre Arbeit ausgeführt hat.  | Foto: epd-bild/Klaus Becker
  • Die ehemalige Beschneiderin Tsega vom Stamme der Tigrignas in Eritrea zeigt eine Rasierklinge mit der sie früher ihre Arbeit ausgeführt hat.
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Genitalverstümmelungen an Frauen gibt es nach Erkenntnissen der Oberärztin Cornelia Strunz auch in Deutschland. "Das kommt durchaus vor", sagte die Chirurgin am Krankenhaus Waldfriede in Berlin-Zehlendorf in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). In solchen Fällen werde eine Beschneiderin etwa aus einem afrikanischen Land "eingeflogen", wo dieser Beruf oft sehr angesehen sei. "Oder die Mädchen werden in den Sommerferien in ihrer alten Heimat beschnitten."

"Die Betroffenen melden das aber nicht, weil sie Angst vor den rechtlichen Konsequenzen für ihre Familien haben - Genitalverstümmelung gilt in Deutschland als schwere Körperverletzung", erklärte die Medizinerin, die auch Generalsekretärin der "Desert Flower Foundation" ist. Mit Unterstützung dieser Stiftung werden im Krankenhaus Waldfriede rekonstruierende Operationen durchgeführt. Benannt ist die Stiftung nach dem Buch und dem Kinofilm "Wüstenblume" (Desert Flower), der Genitalverstümmelungen an Frauen zum Thema hatte.

Bei der weiblichen Genitalverstümmelung werden die äußeren Geschlechtsorgane wie Schamlippen und Klitoris teilweise oder ganz entfernt. Nach Angaben von Hilfsorganisationen leben weltweit - vor allem in Afrika - derzeit mindestens 200 Millionen Frauen und Mädchen mit den körperlichen, psychischen und sozialen Folgen dieser Praxis. In Deutschland gehen Experten von rund 67.000 aus.

"Jede Form der Beschneidung ist grausam, sie wird ohne Betäubung und unter unhygienischen Bedingungen durchgeführt. Die meisten Frauen können sich genau daran erinnern, obwohl sie ja damals kleine Mädchen waren. Es ist für sie ein traumatisches Erlebnis, sie schauen mich mit verzerrtem Gesicht an, wenn sie mir davon erzählen", so Strunz.

Die Ärztin fordert, solche Eingriffe und ihre Konsequenzen öffentlich bekannter zu machen: "Weibliche Genitalverstümmelung kann man nur durch konsequente Aufklärung über die Folgen - auch in strafrechtlicher Hinsicht - bekämpfen. Das kollektive Schweigen über dieses Verbrechen und der soziale Druck müssen endlich aufhören", so Strunz. So gebe es etwa keine religiösen Gründe für weibliche Genitalverstümmelung. Sie sei immer durch andere kulturelle Traditionen motiviert. (kna)

Weibliche Genitalverstümmelung

Bei der weiblichen Genitalverstümmelung können die äußeren Genitalien ganz oder teilweise entfernt und die Vagina zugenäht werden. Damit bleibt nur eine kleine Öffnung für Körperflüssigkeiten. Der Eingriff wird teilweise unter unhygienischen Bedingungen mit Glasscherben oder alten Rasierklingen und ohne Betäubung vorgenommen. Besonders häufig sind Experten zufolge Mädchen im Alter von drei bis sechs Jahren betroffen, manchmal sogar Säuglinge - rund zehn Prozent der Mädchen überleben nicht.

Zu den lebenslangen Folgen gehören Geburtskomplikationen, chronische Schmerzen und Menstruationsbeschwerden. Die Verstümmelung führt zu einem erhöhten Infektionsrisiko, auch für HIV, sowie zu Traumata und großen psychischen Belastungen. Darüber hinaus trägt sie zur Müttersterblichkeit bei.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht aktuell von jährlichen Zusatzkosten von 1,4 Milliarden US-Dollar aus, die durch gesundheitliche Komplikationen in den 27 meistbetroffenen Ländern verursacht werden. Wegen der weltweiten Corona-Pandemie besteht Experten zufolge zudem die Gefahr, dass Fortschritte zunichte gemacht werden. Studien gingen davon aus, dass bis 2030 insgesamt zwei Millionen Frauen und Mädchen zusätzlich von weiblicher Genitalverstümmlung betroffen sein könnten.

Weltweit leben derzeit mindestens 200 Millionen Frauen und Mädchen mit den körperlichen, psychischen und sozialen Folgen dieser Praxis. In Deutschland gehen Experten von rund 67.000 aus. In den 30 Ländern mit zuverlässigen Daten sank der Anteil betroffener Frauen in den vergangenen 30 Jahren um insgesamt 15 Prozent. In einigen Ländern jedoch sind weiterhin fast jedes Mädchen und jede Frau beschnitten, etwa in Somalia (99 Prozent) und Mali (89).

In Somalia beispielsweise werden Mädchen zunehmend jünger: Eine Umfrage der dortigen Nationalen Statistikbehörde zeigt innerhalb eines Jahres einen Anstieg der Verstümmelung von rund 17 Prozent bei Mädchen zwischen fünf und neun Jahren. In dieser Altersklasse werden inzwischen 88 Prozent der Mädchen beschnitten.

Autor:

Katja Schmidtke

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