Predigttext zum Sonntag
Dunkle Ecken ausleuchten

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Denn ihr alle seid Kinder des Lichtes und Kinder des Tages.
1. Thessalonicher 5, Vers 6


Gott lässt seine Sonne über Böse wie Gute scheinen. Da macht er keinen Unterschied. Mein Verstand versteht das. Krame ich aber in der hintersten Ecke meines Wünsch-dir-was-Zimmers, meldet sich Widerspruch: Könntest du, lieber Gott, nicht doch für Ordnung sorgen und die Bösen strafen, während wir Guten belohnt werden!?

Im Predigttext für diesen Sonntag haben wir es mit einem handfesten Dualismus zu tun: Auf der einen Seite „wir“, auf der anderen „sie“. Sie „schlafen des Nachts“. Das bringt ihnen „schnell das Verderben“. Wir aber „sind nicht von der Nacht“, wir sind „Kinder des Lichtes und Kinder des Tages“.
Solches Schwarz-Weiß-Denken hat Konjunktur. Die Zeitung mit den vier weißen Buchstaben praktiziert das seit langem. Das hat etwas für sich. Verspricht klare Orientierung. Kein Reden um den heißen Brei. Längst erreicht es unseren Alltag: Bist du für oder bist du gegen die Corona-Regeln? Auch mancher Beitrag auf der Leserbriefseite von »Glaube + Heimat« lässt Zwischentöne vermissen. Selbst ich nutze das bekannte Schema, während ich das alles aufschreibe. Als ein Kind des Lichts!?

Ich verstehe, was Paulus leitet. Sein „wir aber“ ist seelsorgerlich motiviert. Paulus stärkt die Identität der Gruppe. Er tröstet, denn die Gemeinde hat es gerade schwer. Er preist den „Tag des Herrn“, Christi Wiederkunft erscheint umso heller, je dunkler die Gegenwart ist.

Ich verstehe auch, dass Klartext manchmal nötig ist. Die Rede von Gottes Tun darf anstößig sein, sonst wird sie belanglos. Dennoch mag ich mit Paulus’ Dualismus nicht hantieren. Es fällt mir schwer, Menschen ausgeschlossen zu glauben. Die Bibel ist voller Gestalten, die mit dem Gut-Böse-Schema nicht zu fassen sind. Und Gott hält doch an jedem einzelnen fest.

Das weitergedacht, stellt auch die dunkelste Ecke meines Wünsch-dir-was-Zimmers ins Licht. Der Kollege, der subtil den eigenen Vorteil sucht? Auch er steht unter Gottes Schirm. Die Verschwörungstheoretikerin, die so dumm daherredet? Auch sie ein Geschöpf Gottes. Der lügende Präsident? Auch in ihn hat Gott eine Bestimmung gelegt.

Ein Kind des Lichts sein heißt: mit anderen Augen sehen. Auf all diese Menschen. Mich eingeschlossen. Ich finde, das ist ganz schön anspruchsvoll. Sie auch?

Jürgen Schilling, Superintendent im Kirchenkreis Halberstadt

Jürgen Schilling, Superintendent im Kirchenkreis Halberstadt | Foto: Foto: privat
Autor:

Online-Redaktion

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