Freitags vor 1
Fleisch, Cola, Weihnachtsplätzchen

Glaube+Heimat 50/2020 vom 3. Advent 2020

Verzichten fällt mir nicht so schwer. Fiel es mir eigentlich nie. Auch, weil es in meiner Natur liegt, dass ich nicht so schnell von Dingen abhängig werde. Weder Alkohol, noch Tabak, keine illegalen Drogen (nicht, dass ich die jemals versucht hätte!) und auch keine Technik oder ähnliches machen mich so leicht abhängig. Und doch ist es manchmal an der Zeit, Dingen bewusst zu entsagen.  

Die Passionszeit bietet sich dafür bekanntlich an. Dann schießen wieder Fasten-Ratgeber wie heilige Pilze aus dem Boden und überall trifft man Menschen, die einem bewusst von ihrem Verzicht berichten. 
Dass auch die Adventszeit eigentlich eine Fastenzeit ist, das scheint hingegen inzwischen in eine kollektive Vergessenheit geraten zu sein. Und es bedarf keiner großem Denkanstrengungen, wieso sich das so entwickelt hat. Schließlich haben Plätzchen und Kekse Hochkonjunktur, Weihnachtsfeiern in Ehrenamt und Beruf laden zu Schlemmerbuffets ein und auf den bunten Weihnachtsmärkten wird nicht selten das berühmte Gedicht vom Glühwein zitiert, dessen Verfasser jedoch unbekannt ist:

ein glühwein,
swei glühwei,
rei lühwei,
hie hühlei,
flünei,
snlwn.

Der Advent, die Zeit der Erwartung des Retters, ist schon seit Jahrzehnten keine Fastenzeit mehr. Eher sind es die Wochen, in denen das System und seine Marketingstrategen Kauf-, Ess- und Trinklust wecken. Und das klappt - ich gestehe - auch bei mir eigentlich recht gut. Schließlich muss man ja einmal im Jahr so richtig auf die Lebkuchen hauen dürfen.
Bei genau diesem einen Mal vergessen wir allerdings nicht selten, dass wir ja auch sonst eigentlich alles haben (können), wenn wir nur wollen. Klar gibt´s im Mai keinen Stollen mehr und Glühwein schmeckt im September auch eher so semi-gut. Trotzdem ist immer alles da, wenn man es mag. Die einst kindliche Vorfreude, mit der wir in der Adventszeit uns also auf die diesjährige Ankunft des Messias vorbereitet haben, sie ist in Zeiten des Erwachsenseins und des Überfluss´ in den Hintergrund getreten. 

Es waren wohl diese und ähnliche Überlegungen, denen ich folgte, als ich schon im Herbst beschloss, dem Vorbild der Urkirche zu folgen und  im Advent zu fasten.
Doch worauf verzichten, wenn man alles haben kann? Fleisch, Süßigkeiten (dazu zählen auch Weihnachtsplätzchen!), Alkohol und Cola blieben am Ende übrig. Die Ausnahmen dazu sind eindeutig: Ich rücke nur am Adventssonntag davon ab und der Schoko-Adventskalender zählt nicht.
Inzwischen habe ich den zehnten Tag dieser Entsagung fast geschafft und ich habe gelernt, wie sehr mir manche Dinge doch fehlen können. Nämlich Fleisch, Cola und Süßigkeiten. Aber das Wissen, diese ab dem Weihnachtstag wieder ohne Ende genießen zu können, dann auch das Gedicht vom Glühwein anzustimmen, lässt mich durchhalten. Und so bin ich guter Dinge, vielleicht auch die eine oder andere geistliche Erkenntnis aus dieser Entsagung ziehen zu können.

UPDATE, freitags vor 1: Soeben erhielt ich einen Anruf vom Gesundheitsamt, das mich nach einem beruflichen Kontakt mit einer mit dem Coronavirus  infizierten Person nun für die kommenden Tage in Quarantäne setzte. Da verliere ich sogar am Fasten die Freude und faste jetzt eben persönliche soziale Kontakte. In diesem Sinne: Prost - auf Schnitzel und Lebkuchen.

Dennoch wünsche ich Ihnen und Ihren Lieben im Namen unserer Glaube+Heimat-Redaktion einen gesegneten dritten Advent und eine gute Lektüre unserer Kirchenzeitung!

Unsere Themen in dieser Ausgabe 

In der Nähe: Margot Käsmann berichtet über spirituelle Erlebnisse und beschreibt die Bedeutung von Engeln
In der Familie: Wer sind eigentlich der Heilige Joachim und die Heilige Anna?
Im Hotspot: Wie der Advent in Hochrisikogebieten verbracht wird
Im Ruhestand: Nach 30 Jahren Arbeit als Arbeitnehmervertreter verabschiedet Christian Bormann sich
Im Corona-Zeiten: Zahlreiche orthodoxe Würdenträger starben bereits mit dem tödlichen Virus.

Und außerdem

Acht Wochen warmes Essen und liebe Worte
Der Traum von Europa

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Autor:

Paul-Philipp Braun

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