Andacht
Es klingt zu gut, um wahr zu sein.

Liebe Mitmenschen!

Sieben Tage Wandern mit einer altersgemischten Gruppe im Riesengebirge. Ich freue mich jedes Jahr wieder darauf. Am ersten Abend spiele ich zum Tagesschluss ein Lied auf der Gitarre. Es heißt: „Gnade für uns“. Ein deutscher Text zur englischen Melodie „Amazing Grace“. In der Mitte unserer Stühle liegt ein rundes blaues Tuch. Darauf habe ich ein geschnitztes Kreuz platziert, eine Muschel, eine Gruppe von Holzfiguren, in der Mitte von Ihnen steht eine kleine Kerze. Ich lade ein, dass jede und jeder von den Wanderungen in den kommenden Tagen etwas mitbringt und in die Mitte legt. Am Ende der Woche ist es ein Kunstwerk. Pilze, Heidelbeerkraut, Schneckenhäuser, einen Blumenstrauß, Blätter, Flechten und Steine. Wir laufen je nach Fähigkeiten 20 km am Tag. Manche Ältere fahren auch mit dem Lift hoch, trinken Kaffee und fahren dann wieder runter. Zur Elbmündung, auf die Schneekoppe, auf den Schwarzen Berg oder einen Kreuzweg gehen. Es scheint eine Sehnsucht im Menschen zu sein, die manchmal rastlos macht. Der Kirchenvater Augustin sagte einmal: „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht, oh Gott, in dir.“ Die Wanderungen und die Stimmung in der Gruppe machen es leicht im „Hier und Jetzt“ mit Gott zu sein. Einen Schritt nach dem anderen gehen. Einen Stein nach dem anderen nehmen. Sich in der Gruppe an den Schätzen der anderen erfreuen. Die sanfte Weite der Berge genießen. Da breitet sich allmählich eine tiefe Ruhe im Herzen aus. Mit jeder selbst geschafften Herausforderung, wächst die Zuversicht, das eigene Zutrauen, oder der Stolz. Überall da, wo der Alltag ist, die Sorgen um die Zukunft die Oberhand gewinnen, da wird dieses liebende Beieinandersein zwischen Gott und mir, irgendwie schnell zugeschüttet. „Du, Herr, kennst mich, du siehst mich und prüfst, ob mein Herz bei dir ist.“ (Jer 12,3) Jeder Schritt, und jedes Lied, und unsere Mitte, das blaue Tuch, ist eine Art Meditation im Inneren. Da steigen Bilder auf, die das Herz wärmen und die Seele stärken. Engel, die mitgehen. Licht, das leuchtet. Der Glauben als fester Anker. Es stärkt mich zu hören: Du, Gott, kennst mich. Du, siehst mich. Du kennst meine Leiden und Wunden, meine Grenzen und Freuden. Meine quälenden Fragen, im Gehen und Beten, schweigen Sie für diesen Moment. Wie Balsam legt sich deine Liebe um mein Herz. Ja, du kennst mich und siehst mich. Du siehst uns als Gemeinschaft. In diesen Tagen spüren wir es besonders. „Dieses eine Mal will ich noch dabei sein“, sagt eine hochbetagte Mitreisende. Dieses Mal noch. Das hat sie sich auch für das nächste Jahr vorgenommen. Ihrer Krebserkrankung trotzt sie mit Leben und macht uns allen mit gesünderen Beinen noch etwas vor in Sachen Lebensmut und Zuversicht. Zum Abschluss drückt sie mir einen Zettel in die Hand und fragt, ob ich das Lied vom Anfang nochmal spielen könnte. Sie hätte einen Text von ihrer Krebshilfegruppe dabei, der zur gleichen Melodie gesungen wird, wie das Lied „Amazing Grace“. Ich staune und wir singen es gemeinsam. „Auf Wiedersehen ihr Freunde mein. Auf Wiedersehn, ihr Freunde mein, zu schnell verging die Zeit. Habt Dank für das Zusammensein und die Gemeinsamkeit. Zusammenstehn gibt Halt und Kraft, erneuert unsern Sinn, gibt Hoffnungslosen wieder Mut und bringt uns viel Gewinn. Von Ort zu Ort, von Land zu Land, erklingt das Lied darein, reicht Euch zum Bunde fest die Hand, wir wollen Freunde sein.“

Es grüßt Sie herzlich Pfarrerin Denise Scheel

Autor:

Denise Scheel

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