Für die Gemeinde, für die Stadt

Lange Tradition: Seit 130 Jahren spielen Bläser im Eisenacher Posaunenchor. Sein bekanntester Chorleiter war später Thüringer Landesbischof.

Von Mirjam Petermann

Jeden Donnerstagabend schleppen fast zwanzig Männer und eine Frau ihre Instrumente – die einen größer, die anderen kleiner – in die zweite Etage des Eisenacher Gemeindehauses. Außer Atem sind sie danach noch nicht, denn sie spielen Blechblasinstrumente im Posaunenchor. Christian Stötzner, Kantor der Georgenkirche, ist seit 16 Jahren ihr Chorleiter und ist begeistert, wenn er über die »tolle, lustige Gruppe« spricht: »Wir spielen natürlich alle zur Ehre Gottes, aber das allein hält keinen lange. Wir sind eine gute Gemeinschaft, in der wir uns wohlfühlen.«
Ob zum 80. Geburtstag oder zum Gemeindefest, auf der Wartburg oder auf dem Marktplatz – überall ist sie zu hören, die Musik des Posaunenchors. Mit rund 250 Einsätzen jährlich gehört er zu den aktivsten Musikgruppen der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland – und einer der ältesten ist er noch dazu.
Im Frühjahr des Dreikaiserjahres 1888 konnte der lang gehegte Plan von der Grünung eines Posaunenchores umgesetzt werden. Bereits drei Jahre zuvor sammelte der Evangelische Jünglings- und Männerverein Geld für die Anschaffung von Instrumenten. Bereits um 1900 gehörten dann rund 200 gemeldete Bläser zum Chor, davon 80 aktive.
Heute spielen in jeder Stimme sechs Musiker – Trompeten und Hörner, Posaunen natürlich und zwei Tuben. Ansonsten ist die Besetzung recht homogen: Männer im Alter von 40 aufwärts. Der älteste Bläser ist 81 Jahre alt. Nicht wenige sind seit über 40 oder sogar 60 Jahren dabei. Die einzige Frau ist 19 Jahre alt und gerade nach Eisenach gezogen.
Über die Nachwuchssorgen spricht Christian Stötzner nicht allzu gern. Bewusst ist er sich dessen allerdings schon und so gibt es bereits Pläne, die Förderung der interessierten Kinder und Jugendlichen voranzubringen.
Nach der Hoch-Zeit zum Jahrhundertwechsel zählte der Chor auch in den 50er- und 60er-Jahren wieder fast an die 100 Mitspieler. Das lag an den vielen jungen Männern, die in Eisenach die Kirchenmusikschule oder das Predigerseminar besuchten oder eine Diakonenausbildung absolvierten. »Sie sangen entweder im Bachchor oder spielten im Posaunenchor«, so Christian Stötzner. In diese Zeit fällt auch die beachtenswerte Quote von 630 Einsätzen im Jahr 1964. Dann spielten nicht immer alle zusammen, es gab mehrere kleinere Gruppen.
Eine Besonderheit in Verbindung mit dem Eisenacher Posaunenchor ist das Turmblasen vom Stadtschloss am Marktplatz. Initiiert wurde es in Anlehnung an das ehemals wöchentliche Abblasen der Stadtpfeifer vom wohl berühmtesten Leiter des Eisenacher Posaunenchores: Moritz Mitzenheim. Er führte den Chor seit 1930 bis zu seiner Berufung als Landesoberpfarrer beziehungsweise Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Thüringens 1945.
Aus seiner Zeit sind dank akribisch geführter Chroniken viele Informationen über das Wirken des Chores in der Stadt erhalten. Belegt ist unter anderem die Störung von Veranstaltungen durch die Hitlerjugend oder das Verbot der Gestapo, wonach Jugendliche unter 18 Jahren im Posaunenchor nicht mehr mitwirken konnten. Auch das Blasen vom Schlossturm wurde verboten, wogegen sich die engagierten Bläser jedoch wehrten und den schwerer zu erklimmenden Georgenkirchturm als Bühne für ihre Musik und ihren Protest nutzten. Gleich nach Kriegsende beantragte Mitzenheim bei der sowjetischen Besatzung die Wiedereinführung des Turmblasens. Am Reformationstag 1945 wurde von dort zum ersten Mal wieder gespielt und seitdem die Tradition bewahrt.
Vor der eindrucksvollen Kulisse des Eisenacher Weihnachtsmarktes, eingehüllt in den Duft von gebrannten Mandeln und Glühwein, sind die Bläser an den kommenden Wochenenden des zweiten, dritten und vierten Advents um jeweils 16.30 Uhr vom Turm des Stadtschlosses zu hören.

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Online-Redaktion

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