»Ich fühle mich nicht als Opfer«

Engagiert: Bis heute ist der 83-jährige Ernst Fauer in der Kirchengemeinde Apolda aktiv. Vor sechs Jahren sang er zusammen mit seinem Enkel im Chor beim Musical »Jesus« in der Lutherkirche. | Foto: Sabine Kuschel
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  • Engagiert: Bis heute ist der 83-jährige Ernst Fauer in der Kirchengemeinde Apolda aktiv. Vor sechs Jahren sang er zusammen mit seinem Enkel im Chor beim Musical »Jesus« in der Lutherkirche.
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Ernst Fauer, Jahrgang 1934, hält ein Papier in Händen, die Kopie eines Schreibens aus dem Jahr 1955, adressiert an den Rat des Bezirkes, Abteilung Volksbildung. Dieses Schriftstück aus seiner Personalakte belegt die Diskriminierung des christlichen Lehrers in der DDR.

Von Sabine Kuschel

Obwohl dieses Papier seine gewünschte Qualifizierung zum Oberstufenlehrer verhindert, sagt Fauer: »Ich fühle mich nicht als Opfer der DDR-Diktatur.« Von der Existenz dieses Schreibens erfährt er erst nach der Wende.
Ernst Fauer wächst in einem christlichen Elternhaus auf. Das heißt seine Eltern gehören der Kirche an, er und seine Geschwister sind getauft und konfirmiert. Aber außer zu Weihnachten pflegt die Familie keine Kontakte zur Kirche. Dass der Jugendliche zu einem bewussten, bekennenden Christen wird, verdankt er dem Konfirmandenunterricht, genauer: dem Pfarrer. »Er hat es fertiggebracht, uns Jesus nahezubringen.« Auf die Konfirmandenprüfung bereitet er sich so sorgfältig vor wie auf eine Schulprüfung. 1949 wird er gemeinsam mit 418 (!) anderen Alterskameraden konfirmiert. Durch Junge Gemeinde, Evangelisationen und Rüstzeiten wächst der junge Mann in das Christsein hinein.
Er trägt das Kreuz auf der Weltkugel an der Jacke – in den 1950er-Jahren ein Bekenntnis, das den Trägern oft Nachteile einbrachte. Von der achten bis zur 12. Klasse nehmen die Jugendlichen jeden Tag vor Unterrichtsbeginn an einer teilweise selbst gestalteten Morgenandacht in der Sakristei der Lutherkirche in Apolda teil. Danach fühlen sie sich gestärkt für die »Schikanen«, die in der Schule auf sie warten. Schwierigkeiten bereitet ihm, im Fach Gegenwartskunde, also Marxismus-Leninismus, die gewünschten Antworten zu geben. Immerhin schafft er eine Zwei. Seine Interessen: Mathematik, Physik, Chemie und Technik. »Ich wollte Lehrer werden, da ich der Meinung war, es sei jetzt besonders wichtig, dass christliche Lehrer im Schuldienst tätig sind als Gegengewicht zu den Marxisten.« Es herrscht Lehrermangel. Fauer studiert am Pädagogischen Institut Halle mit dem Ziel, Lehrer für die Klassen 5 bis 10 zu werden.
Mit dem Kreuz auf der Weltkugel geben sich Christen als solche nicht nur in ihrer atheistischen Umgebung zu erkennen, sondern auch untereinander. So fällt Ernst Fauer am Lehrerinstitut in Halle einer Studentin auf, die ebenfalls dieses Zeichen trägt. Sie wird 1957 seine Frau. Die diamantene Hochzeit Ende vorigen Jahres konnte das Ehepaar leider nicht gemeinsam feiern, da seine Frau kurz vorher gestorben ist.
Das Studium schließen in seinem Jahrgang zwei Studenten »mit Auszeichnung« ab, er sowie ein Kommilitone aus der Parallelgruppe. Im Gegensatz zu ihm ist er Mitglied der FDJ und SED und bekommt eine Assistentenstelle an einer Hochschule. Fauer hingegen wird auf eine kleine Dorfschule in Brandenburg geschickt. Er unterrichtet die Klassen 5 bis 8. Dass er nicht gemäß seinem Abschluss bis zur 10. Klasse unterrichten darf, daran ist die Beurteilung des stellvertretenden Direktors für Studienangelegenheiten schuld, von der Fauer ebenfalls erst nach 1990 erfährt. In seiner Beurteilung ist vermerkt: »Trotz seiner Qualitäten … wird Herr Fauer den Anforderungen des Berufs noch nicht in allen Fällen genügen können. Auf charakterlichem und besonders fachlichem Gebiet bestehen keinerlei Bedenken. Er wird jedoch in erzieherischer Hinsicht und in seiner politischen Arbeit nicht voll überzeugen können, da er kirchlich sehr stark gebunden ist ….«
Weil der Pädagoge gern Schüler bis zur 12. Klasse unterrichten will, bewirbt er sich für ein Fernstudium. Er erhält zwar eine Bestätigung, seine Bewerbung sei mit Befürwortung an die Hochschule weitergeleitet worden. Er wird abgelehnt. Auch seine Bewerbung ein Jahr später ist erfolglos. Den Grund offenbart ihm – wiederum erst nach 1990 – jenes Schreiben von 1955 in seiner Personalakte. Darin heißt es: »Wir möchten nicht versäumen, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass wir den Kollegen Fauer für nicht geeignet halten, sich an dem genannten Fernstudium zu beteiligen. Seine kirchlichen Bindungen sind viel zu stark, als dass wir in ihm den künftigen Oberstufenlehrer, wie ihn unser Arbeiter- und Bauern-Staat braucht, erblicken können. Obwohl dieser Kollege sein Staatsexamen mit ›Auszeichnung‹ bestanden hat und trotzdem das Fach Marxismus-Leninismus darin mit sehr gut beurteilt wurde, zeigt er keine Bereitschaft, sich wirklich ehrlich gesellschaftspolitisch zu betätigen.«
Und weiter: »Wir schlagen vor, die Delegierung abzulehnen. Wir werden die Entwicklung des Kollegen Fauer weiter beobachten und einer Delegierung beim nächsten Mal zustimmen, falls seine gesellschaftspolitische Arbeit Fortschritte macht.« Ohne es zu wissen, wird dieses Schreiben des Schulinspektors, das Fauers berufliche Pläne durchkreuzte, von einer Station zur nächsten weitergereicht. Von Brandenburg zieht er gemeinsam mit seiner Frau nach Apolda, seiner Heimatstadt.
»Ich bin kein Oberstufenlehrer geworden.« Aber er ist im Rückblick mit seinem beruflichen Werdegang zufrieden. In Apolda wird in einem Betrieb für physikalisch-technische Lehrmittel ein Ingenieur gesucht, der sich als Lehrer qualifizieren sollte. Da sich niemand fand, konnte Fauer die Firma überzeugen, ihn, den Physik- und Mathelehrer, einzustellen, der bereit war, zusätzlich Maschinenbau zu studieren. Er qualifiziert sich in einem zweijährigen Fernstudium zum Diplomingenieur. Als die Ingenieurschule für Baustofftechnologie Apolda einen Lehrer für Mathematik und Physik sucht, bewirbt er sich und wird genommen.
Bis zur Rente arbeitet er dort beziehungsweise in der Nachfolgeeinrichtung, einer Fachschule für Technik und Wirtschaft als Fachschuldozent. Und blickt zufrieden auf seinen beruflichen Weg zurück. Sein Ziel hat er damit mehr als erreicht. Bestens qualifiziert. An der Ingenieurschule waren seine Kollegen entweder Oberstufenlehrer ohne technischen Abschluss oder sie hatten einen technischen Abschluss, waren jedoch keine Lehrer. Er war sowohl pädagogisch als auch technisch ausgebildet. »Mir war von vornherein klar, dass ich mit meinem christlichen Bekenntnis keine Aufstiegschancen in der DDR haben werde. Aber ich bin mit dem Erreichten zufrieden.« Er wollte Schüler bis zum Abitur unterrichten. Das wurde ihm verwehrt. Aber er lehrte Schüler weit über das Abitur hinaus.

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