Auswege finden
Trennendes überwinden

Martin Leiner, Gründungsdirektor des Center for Reconciliation Studies an der FSU | Foto: Foto: Doris Weilandt
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Die in Jena neu gegründete Internationale Gesellschaft für Versöhnungsforschung will Akteuren aus aller Welt Wege aus der Gewaltspirale zeigen.

Von Doris Weilandt

Versöhnung ist mitten im Streit …“ Dieser Satz Friedrich Hölderlins aus seinem lyrischen Briefroman „Hyperion“ steht als Perspektive über der Versöhnungsforschung des 2013 in Jena gegründeten Center for Reconciliation Studies (JCRS) an der Friedrich-Schiller-Universität. Er endet mit den Worten: „und alles Getrennte findet sich wieder“. An dem Forschungszentrum, das an der Theologischen Fakultät angesiedelt ist, werden Methoden, Strategien und Lösungsansätze bei der Bewältigung von weltweiten Konflikten gesucht. Spiritus Rector der Einrichtung ist Martin Leiner, Inhaber des Lehrstuhls für Systematische Theologie und Ethik.
Jetzt hat er mit weiteren Wissenschaftlern die Internationale Gesellschaft für Versöhnungsforschung (IARS) ins Leben gerufen, die einen akademischen Ansatz in der Konfliktbewältigung verfolgt. „Es ist wichtig herauszufinden, was aus dem Kreislauf von Gewalt herausführt“, sagt Leiner am Rande der Gründungskonferenz, die am wohl heißesten Tag des Jahres, am 9. August, in Jena begann. Nur wenige konnten coronabedingt persönlich kommen. Die über 100 Teilnehmer verfolgten die Vorträge zumeist per Video.
„Ich sehe das Christentum ganz zentral als Versöhner. Die Versöhnungsbotschaft des Christentums hat eine starke Wirkung auf andere Religionen: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft …“, erklärt Leiner. In den letzten Jahrzehnten haben religiöse Akteure wie Erzbischof Desmond Tutu, der Dalai Lama, Mahatma Gandhi und Nelson Mandela eine wichtige Rolle in Friedensprozessen gespielt.
Zu den Teilnehmerinnen der Konferenz gehört Pumla Gobodo-Madikizela. Unter Tutu wurde die Psychologin 1994 in die südafrikanische Wahrheitskommission berufen und hat dort auch den Chef der als Todesschwadron bezeichneten geheimen Einsatzgruppe C 1, Eugene de Kock, interviewt. In einem Buch beschreibt Madikizela danach, wie aus einem normalen Bürger ein Massenmörder wird. Sie ist in Jena keine Unbekannte. Leiner setzte sich dafür ein, dass sie als erste Frau die Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der FSU erhielt.
Auf der Konferenz sprach auch Bischof John, der Präsident der Versöhnungskommission in Ruanda, über den Prozess der Verständigung und den Versuch, die Gesellschaft nach dem Völkermord wieder zusammenzubringen. 1994 wurden innerhalb weniger Tage rund 800 000 Menschen, vor allem Tutsi, Opfer extremistischer Hutu. 2017 entschuldigte sich Papst Franziskus für das Versagen der katholischen Kirche. Einige Priester hatten schutzsuchende Tutsi an ihre Verfolger ausgeliefert und nahmen damit billigend deren Tod in Kauf. „Ruanda macht ein extremes Experiment. Es gibt nur noch Ruander. Das funktioniert aber deutlich besser als in Burundi“, schätzt der weltläufige Versöhnungsforscher Leiner ein. In viele Länder hat er enge Kontakte zu Wissenschaftlern und Universitäten, darunter Japan, USA, Südafrika und Kolumbien. Zugute kommt ihm seine Sprachgewandtheit. Er spricht mehrere Sprachen fließend und kann sich auch auf Arabisch oder Russisch verständigen. „Eine neue Sprache ist wie ein neues Leben. Man fühlt anders, denkt anders“, sagt Leiner und strahlt.
In Kolumbien war er oft, hat sich vor Ort über den Friedensprozess ein Bild gemacht und mit vielen Akteuren, auch im Urwald, geredet. Zur Universität in Antioquia gibt es enge Beziehungen. Immer wieder kommen von dort Doktoranden nach Jena an das JCRS. „In Südamerika sind die Gesellschaften gespalten in die, die das koloniale Erbe fortsetzen, meist mit Unterstützung der USA, und die, die in unterschiedlicher Form dagegen sind“, sagt der Wissenschaftler. Welche Wertschätzung die Arbeit des Jenaer Forschers genießt, zeigt die Grußbotschaft des ehemaligen Präsidenten Santos, der den Friedensprozess in Kolumbien in Gang setzte, an die Konferenz. „Es gibt gerade wieder viel Gewalt im Land. Der Friedensprozess soll gestört und zerstört werden. Viele Bauern, die zurückgekommen sind, werden gewaltsam vertrieben.“ Leiner hat erlebt, dass sie aus Angst nicht vor der Wahrheitskommission aussagen wollten, und er hat vom gewaltsamen Tod einer jungen Frau erfahren, die er kannte. Trotz dieser Rückschläge ist er überzeugt, dass Kolumbien es mehr und mehr schafft, aus der Gewaltspirale herauszukommen: „Die Gesellschaft engagiert sich stark für Veränderung, auch Museen und Universitäten bringen sich ein.“
Die neu gegründete Internationale Gesellschaft für Versöhnungsforschung will mit der wissenschaftlichen Begleitung von Friedensprozessen weltweit Wege zeigen, die zu dauerhafter Aussöhnung und Frieden führen.

Martin Leiner, Gründungsdirektor des Center for Reconciliation Studies an der FSU | Foto: Foto: Doris Weilandt
Foto: Foto:   pixabay.com/Bru-nO
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