Zukunft für die Schulstadt

Das historische Waisenhaus der Franckeschen Stiftungen in Halle | Foto: Uwe Gaasch

Halle erinnerte an Paul Raabe, den Retter der Franckeschen Stiftungen. Er wäre im Februar 90 Jahre alt geworden.

Von Claudia Crodel

Professor Paul Raabe (1927 bis 2013) galt als der bekannteste Bibliothekar Deutschlands, der in Marbach am Neckar die Bibliothek des Deutschen Literaturarchivs aufgebaut und die Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel in eine der international bedeutendsten Stätten der geisteswissenschaftlichen Forschung verwandelt hatte. Doch sein größtes Werk vollbrachte er in dem Alter, in dem andere bereits im Ruhestand sind: Die Rettung der Franckeschen Stiftungen in Halle.
Am 21. Februar wäre Paul Raabe 90 Jahre alt geworden. Dies war Anlass für die Franckeschen Stiftungen, einen Gedenkabend für den im Sommer 2013 verstorbenen »dritten Gründer« der Stiftungen zu veranstalten. »Wenn wir alle nur ein wenig von Paul Raabes Leidenschaft, Tatendrang und Stehvermögen hätten, dann braucht uns nicht bange für die Zukunft der Franckeschen Stiftungen sein«, sagte Penelope Willard, die stellvertretende Direktorin der Stiftungen.
In Oldenburg geboren und aufgewachsen, ließ sich Raabe als Diplombibliothekar in der Landesbibliothek seiner Heimatstadt ausbilden. Es folgte ein Studium der Germanistik und Geschichte in Hamburg. Von 1958 bis 1968 war er Leiter des Deutschen Literaturarchivs Marbach. Schon 1960 tat er sich dort mit einer legendären Ausstellung zum Expressionismus hervor. Seine nächste Station war die Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, die im 17. Jahrhundert als die größte in Europa galt. Dieser verhalf er zu neuem Renommee, indem er sie zur modernen, internationalen Studien- und Forschungsstätte für das Mittelalter und die frühe Neuzeit entwickelte.
In Halle ist Paul Raabe nicht nur der bauliche Wiederaufbau zu verdanken, sondern auch die Wiederbelebung der Stiftungen, deren Direktor er von 1992 bis 2000 war, als eine kulturelle und wissenschaftliche, soziale und pädagogische Einrichtung von überregionaler und internationaler Bedeutung. Nicht nur der einzigartige Gebäudekomplex der Schulstadt mit ihren kulturhistorischen Sammlungen konnte so erhalten werden, sondern es werden die Ideen und Traditionen des einstigen Gründers fortgeführt. Ein moderner Bildungskosmos ist entstanden. Auch nach seinem Weggang aus Halle zurück nach Wolfenbüttel hat er bis zuletzt weiter geforscht und geschrieben.
Professor Helmut Obst, der Raabe seit Anfang der 1990er-Jahre in Halle begleitet hatte und heute der Kuratoriumsvorsitzende der Franckeschen Stiftungen ist, erinnerte an »seine Aufbaujahre mit Raabe«. Natürlich spielte auch Raabes erste Begegnung mit den Stiftungen 1987 eine Rolle. An einem Dezemberabend war Raabe mit dem Hallenser Romanisten Ulrich Ricken über eine marode Holztreppe in den damals völlig desolaten ehemaligen Festsaal gelangt und sah im Schein der Taschenlampe überall Taubenkadaver und -kot. Doch im schwachen Licht erahnte Raabe die einstige Schönheit des heute prächtigen Freylinghausensaals. Es folgte die Tat, obwohl die Mauer noch nicht gefallen war. 1990 wurde der Freundeskreis zur Rettung der Stiftungen gegründet. Der Wiederaufbau nahm seinen Lauf. Paul Raabe war ein hochgebildeter, scharfsinnig denkender, beharrlicher Mensch, zugleich war er bescheiden und freundlich. Er war nicht nur ein Erfolgsmensch, sondern eine außergewöhnliche Persönlichkeit mit Ausstrahlungskraft. Gerade diese ist es, die für Freunde, Familie und Kollegen wichtig war und im Gedächtnis bleibt.
Und auch künftig wird er nicht in Vergessenheit geraten. In Raabes Geburtsstadt gibt es ein Paul-Raabe-Archiv, in Wolfenbüttel ist ein Platz nach ihm benannt. In Weimar, wo er seine Erfahrungen der Klassik Stiftung zur Verfügung stellte, gibt es Raabe-Vorlesungen, und die Franckeschen Stiftungen ehren ihn ebenfalls: In der Latina gibt es den Paul-Raabe-Saal. Seit 2002 ist er Ehrenbürger von Halle. Bereits 1997 hatte die Universität ihm die Ehrendoktorwürde verliehen.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Nord

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