Umweltschäden
Die Rettung der Heiligen

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Stephanus in fragile Hülle, Paulus werden die Füße geputzt, dem Schutzheiligen geht es schlecht, immer wieder sorgen die Skulptur im Hohen Chor des Halberstädter Domes für Hiobsbotschaften und Schlagzeilen. Aschfahl und zerfurcht blickten sie, alle von den Jahrgängen zwischen 1425 und 1475, noch vor sechs Jahren den Kirchenraum. Viele Besucher des Gotteshauses erinnern sich kaum noch daran. Derzeit hängen neben den gereinigten Figuren mit rosiger Haut Poster, die den damaligen Zustand zeigen. Über mehrere Jahrhunderte sorgte die Luft dafür, dass die Stephanus & Co. ziemlich grau geworden waren. Viel schlimmer noch, der originalen Fassung, also der Farbschicht, hatte sich in der Zeit vom Sandstein gelöst. Methoden, um diesen Schäden beizukommen, fehlten lange Zeit. Die Halberstädter Figuren dürften im vergangenen reichlich halbem Jahrtausend nicht „gewaschen“ worden sein. Mit Pinseln, wie ursprünglich üblich, ließ sich nichts machen. Alles zu fragil, Staub und Farbe klebten pulverisiert zusammen.
In Halberstadt testete Restauratorin Corinna Grimm-Remus ein Rettungsverfahren. Sie erhielt Unterstützung von Studenten der TH Köln und der FHS Potsdam, von Technik-Profis der Bauhausuniversität Weimar sowie von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Die stellte 120 000 Euro der rund 300000 Euro, das das Projekt laut „Baustellen-Schild“ der Kulturstiftung kosten soll, zur Verfügung, damit die Heiligen gelasert und aus ihrem Staubmantel geschält werden konnten, um ihnen mit Stör-Leim und japanischer Seide wieder das farbige Kleid anzulegen. Die Seide verhindere den Verlust der losen Farbschollen auf den Oberflächen und fungierte als Träger für den Leim.
Die DBU hat sich seit 1991 auf die Fahnen geschrieben, nationales Kulturerbe wie den Halberstädter Dom vor schädlichen Umwelteinflüssen zu bewahren. Was im Inneren des Gotteshauses passiere, sei sowohl innovativ, als auch modellhaft. Lösungen aus dem Projekt der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, könnten an vielen anderen Sakralbauten helfen, Kunst aus früheren Epochen zu erhalten, die durch schlechte Luft oder Witterungsschäden gefährdet sei.
Die heute 45-jährige Corinna Grimm-Remus betrat damit Neuland. Acht von den zwölf Aposteln erstrahlen seit kurzem wieder in ganzer Schönheit, nachdem eine umfassende Notsicherung die mittelalterliche Farbigkeit der lebensgroßen Figuren bewahrte. Diese reinigte die Restauratorin, die seit vielen Jahren den Dommauern eng verbunden ist, in den vergangenen zwei Jahren berührungslos mit einer innovativen Lasertechnologie. „Nur noch lose aufliegende Farbfassungen und stark abstehende Schollen wurden dann mittels einer speziellen Facingtechnologie gefestigt.“ Gerade am Heiligen Jakobus konnte der Laser nicht das ausrichten, was die restauratoren erhofft hatten. „Den werden wird demnächst nochmal einer Nachreinigung unterziehen“, kündigt Grimm-Remus. „Aber in den Wintermonaten müssen die Arbeiten temperaturbedingt erstmal ruhen.“ Weil dadurch das Gerüst weiter stehen bleibt, werden dann wohl auch noch die die Baldachine über den Schutzpatronen und Apostelfiguren ganz vorsichtig geschrubbt.
Zu den innovativen Aspekten der Arbeit auf den fast immer im altehrwürdigen Dom aufgestellten Gerüsten, gehört der Einsatz der Experten von der Bauhausuniversität Weimar. Die dortige Fakultät Bauingenieurwesen saß von Beginn an mit im Boot, oder besser sie befand sich im Luftraum. Sie lässt Drohnen im Dom kreisen, um alle Figuren dreidimensional darzustellen und unzählige Bilddaten zu liefern. Norman Hallermann erzählt, dass es die Fluglizenz im Hohen Chor nicht einfach so gab. Schließlich könnte schon die Drohnen-Abluft Farbpartikel verwehen. Die Flugobjekte des Thüringer Diplom-Ingenieur erfassten alle Figuren in hoher Qualität und Detailtreue. „Dazu kommt, dass es sehr farbecht ist. Dadurch können wir an den kaum sichtbaren Differenzen den Verlauf von Schadensprozessen sowohl geometrisch wie farblich verfolgen. Das sind natürlich Welten gegenüber der Kartierung durch Menschen. Individuelle Fehler können so minimiert werden.“ Von jeder der Figuren gibt es nun 200 bis 220 Aufnahmen, die in 3-D-Format zugänglich sind. Es kommen Dateien im Billionenbyte-Bereich dabei heraus. Dadurch verfügt der Dom über eine Dokumentation für die Ewigkeit.
Wann die Drohnen in St. Stephanus und Sixtus wieder abheben werden? Uwe Kalisch vom Institut für Diagnostik und Konservierung an Denkmalen denkt, dass die Aufnahmen vom Westportal, das auch beflogen wurde, vielleicht in einem Jahr aktualisiert werden, bei den Pfeilerfiguren könnte man in Fünf-Jahres-Schritten voranschreiten. Kalisch lobt die Arbeit in Halberstadt. „Was hier letztlich passiert, geht schon über eine Notsicherung hinaus.“
Finanziert von der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt und der DBU läuft das Projekt noch bis Ende 2021. Dann strahlen auch die restlichen sechs Sandsteinplastiken dank der Spezialkosmetik wieder, die ihnen Corinna Grimm-Remus mit ihrem Team verpasst.   Von Uwe Kraus

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Uwe Kraus

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